Verwaltungsgrundsätze 2020
Bezug: BStBl 2005 I S. 570
Bezug: BStBl 1989 II S. 462
Bezug: BStBl 2013 II S. 196
Bezug: BStBl 2004 II S. 1032
Bezug: BStBl 2010 II S. 455
Bezug: BStBl 1981 II S. 492
Bezug: BStBl 1987 II S. 675
Bezug: BStBl 2005 II S. 483
Bezug: BStBl 1982 II S. 772
Bezug: BStBl 2007 II S. 49
Bezug: BStBl 2013 II S. 771
Bezug: BStBl 2004 II S. 171
Bezug: BStBl 2007 II S. 658
Bezug: BStBl 1983 II S. 744
Bezug: BStBl 1993 II S. 457
Bezug: BStBl 2002 II S. 450
Bezug: BStBl 2017 II S. 992
Bezug: BStBl 1993 II S. 259
Bezug: BStBl 2001 II S. 381
Bezug: BStBl 1967 II S. 349
Bezug: BStBl 1993 II S. 801
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Bezug auf Mitwirkungspflichten sowie Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen Folgendes:
1. Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 90 AO)
1.1 Allgemeines zu den Mitwirkungspflichten
Die Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde und die Mitwirkungspflicht der Beteiligten stehen nebeneinander (, BStBl 1989 II S. 462). Die Pflicht des Beteiligten zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung hängt nicht davon ab, dass die Finanzbehörde diesen zur Mitwirkung auffordert.
Die allgemeine Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 1 Satz 1 AO betrifft die Ermittlung des Sachverhalts und wird für bestimmte Sachverhaltskonstellationen in § 90 Abs. 2 und Abs. 3 AO erweitert. Die Mitwirkungspflicht wird zudem durch gesonderte verfahrensrechtliche (z. B. in §§ 93 bis 100, 140 ff., 149, 150, 153, 154, 160, 200, 210 ff. AO) und einzelsteuergesetzliche Regelungen (z. B. in §§ 16, 17 AStG; §§ 33, 34 ErbStG; §§ 18, 19 GrEStG und § 22 UStG) ausgestaltet.
§ 200 AO tritt im Rahmen der Außenprüfung neben § 90 AO und ergänzt und erweitert die gemäß §§ 90 ff. AO bereits bestehenden allgemeinen Mitwirkungspflichten für die Außenprüfung (, BStBl 2013 II S. 196; , BStBl 2004 II S. 1032). Auch die Pflichten des Steuerpflichtigen mit Bezug zum Datenzugriff gemäß § 147 Abs. 6 AO werden durch § 200 Abs. 1 Satz 2 AO erweitert. Die Vorlagepflicht gemäß § 200 Abs. 1 Satz 2 AO erfasst ferner auch solche Urkunden, für welche den Steuerpflichtigen zwar keine gesetzliche Aufbewahrungspflicht gemäß § 147 Abs. 1 AO trifft, diese Urkunden aber vorhanden sind und folglich vorgelegt werden können (, BStBl 2010 II S. 455).
Hinsichtlich des durch § 393 AO geregelten Verhältnisses des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren und den damit einhergehenden Pflichten zur Mitwirkung des Steuerpflichtigen, vgl. Nr. 16 der AStBV (St) 2020.
Der Umfang der Mitwirkungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Verantwortung des Beteiligten für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- oder Tätigkeitssphäre angehören (, BStBl 1989 II S. 462). Der Umfang der allgemeinen Mitwirkungspflicht wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt.
Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so soll sich die Finanzbehörde an ihn wenden. Nur bei Vorliegen besonderer Gründe soll sich die Finanzbehörde an den Beteiligten selbst wenden, z. B. um ihn um Auskünfte zu bitten, die nur er selbst als Wissensträger geben kann. In diesem Fall ist der Bevollmächtigte zu unterrichten (vgl. AEAO zu § 80).
Ein Mitwirkungsverweigerungsrecht für Beteiligte besteht nicht. Ein Mitwirkungsverweigerungsrecht steht nach §§ 101 bis 106 AO nur Dritten zu.
Die Möglichkeit der Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach den DBA, der EU-Schiedskonvention (EWG/90/463; ABl. L 225 vom , S. 10) oder dem Streitbeilegungsgesetz ( , BGBl 2019 I S. 2103) oder der Antrag auf Eröffnung oder die tatsächliche Eröffnung eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens im Laufe einer Außenprüfung entbindet die Beteiligten nicht von ihren Mitwirkungspflichten gemäß § 90 AO.
1.2 Erhöhte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO)
§ 90 Abs. 2 AO bestimmt eine gegenüber § 90 Abs. 1 AO erhöhte Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht bei Sachverhalten mit Auslandsbezug (Auslandssachverhalte). § 90 Abs. 2 AO soll insbesondere verhindern, dass die Aufklärung von Auslandssachverhalten an der Beschränkung der Hoheitsrechte der deutschen Gerichte und Behörden auf das Inland scheitert oder durch sie erschwert wird. Der Beteiligte hat den Auslandssachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (, BStBl 1981 II S. 492). Dies verlangt eine vollständige und wahrheitsgemäße Darstellung des gesamten besteuerungsrelevanten Sachverhalts, und zwar unabhängig davon, ob sich die einzelnen Umstände und Tatsachen zugunsten oder zuungunsten des Beteiligten auswirken. Die Erforderlichkeit eines Beweismittels hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (, BStBl 1987 II S. 675; , BStBl 2005 II S. 483).
Der Beteiligte ist bei Auslandssachverhalten insbesondere zur Sachverhaltsaufklärung, Beweismittelbeschaffung und Beweisvorsorge verpflichtet. Im Verfahren vor den Finanzgerichten gelten diese Pflichten nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO sinngemäß.
Der Beteiligte muss deshalb unter anderem zum Zweck der Beweisvorsorge im Rahmen seiner rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten (§ 90 Abs. 2 Satz 2 AO) sicherstellen, dass Aufzeichnungen, Unterlagen und Daten einer ausländischen nahestehenden Person, welche für seine Besteuerung relevant sind, nicht vor Ablauf der inländischen Aufbewahrungsfristen vernichtet werden.
Bei der Sachverhaltsaufklärung und Beweismittelbeschaffung genügt es nicht, wenn der Beteiligte solche im Ausland befindlichen bzw. verfügbaren Beweismittel nur benennt. Der Beteiligte hat alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Danach hat der Beteiligte den zur Aufklärung des Auslandssachverhalts und Beschaffung der erforderlichen Beweismittel im jeweiligen Einzelfall zumutbaren Aufwand zu betreiben. Die erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung von Auslandssachverhalten unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zu den Beweismitteln gehören auch die Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere oder andere Unterlagen sowie Daten ausländischer nahestehender Personen, ohne die eine vollständige Ermittlung des Sachverhalts nicht möglich ist. Dies gilt auch für die Unterlagen und Daten nahestehender Personen, die der Finanzbehörde unabhängig von der vom Beteiligten angewandten Methode eine Verprobung der Angemessenheit der Preise bzw. Ergebnisse von Geschäftsvorfällen ermöglichen. Die Vorlagepflicht gilt auch für Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG), soweit sie für die Festsetzung von Verrechnungspreisen oder für die Einkünfteermittlung in Zusammenhang mit Verrechnungspreisen für bedeutsam erachtet werden, sowie für E-Mails, Messengerdienstnachrichten oder Nachrichten mittels anderer elektronischer Kommunikationsmedien, soweit diese geschäftliche Inhalte mit steuerlichem Bezug aufweisen und damit insbesondere als Handels- oder Geschäftsbrief anzusehen sind.
Bei Auslandssachverhalten hat der Beteiligte Beweisvorsorge zu treffen, damit er seine erhöhte Mitwirkungspflicht erfüllen kann. Er kann sich daher nicht darauf berufen, einen entsprechenden Sachverhalt nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen zu können, wenn er sich bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte einräumen lassen können (§ 90 Abs. 2 Satz 4 AO). Der Beteiligte ist während und nach der Verwirklichung eines Auslandssachverhalts verpflichtet, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Verwaltungsverfahren seiner erhöhten Mitwirkungspflicht nachkommen zu können (, BStBl 1982 II S. 772). Die Verpflichtung zur Beweismittelvorsorge beschränkt sich auf das im Einzelfall für den Beteiligten zumutbare Maß sowie die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Vorsorge. Der Beteiligte muss daher z. B. schon bei Abschluss eines Vertrages durch entsprechende vertragliche Regelungen dafür Sorge tragen, dass er auch später auf die im Ausland befindlichen Beweismittel zugreifen kann, um diese der Finanzbehörde vorlegen zu können. Dies gilt insbesondere dann, wenn Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen vereinbart werden, da die Vorlage der im Ausland befindlichen Beweismittel eine notwendige Voraussetzung dafür ist, die Angemessenheit der der Geschäftsbeziehung zugrunde liegenden Verrechnungspreise zu prüfen und eine derartige Beweisvorsorge auch für die Beteiligten rechtlich und tatsächlich möglich ist. Der Beteiligte kann im Einzelfall zur Vorlage derjenigen Unterlagen eines Dritten verpflichtet sein, auf deren Überlassung er zwar keinen Anspruch hat, welche er sich aber tatsächlich mit zumutbarem Aufwand beschaffen kann. Ein ordentlicher Geschäftsleiter würde sich beispielsweise in folgenden Fällen eine Vorlage der Unterlagen vertraglich vorbehalten:
Nachweise über Abgabepreise einer nahestehenden Vertriebsgesellschaft gegenüber fremden Dritten bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode,
Kalkulationsunterlagen einer ausländischen Dienstleistungsgesellschaft bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode,
Nachweise über die geleisteten Beiträge der zusammenwirkenden Unternehmen bei Beteiligung an einer Kostenumlagevereinbarung,
Nachweise über die vom Lizenznehmer mit diesen Werten erwirtschafteten Umsatzerlöse bei Überlassung von immateriellen Werten gegen umsatzabhängige Lizenzgebühren oder
Unterlagen über den Gesamtgewinn bzw. -verlust sowie den Aufteilungsschlüssel bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode.
Ist der Beteiligte unmittelbar oder mittelbar Mehrheitsgesellschafter einer Gesellschaft oder kontrolliert er die Mehrheit der Stimmrechte einer Gesellschaft, ist davon auszugehen, dass er über (gesellschafts-)rechtliche Möglichkeiten der Informations- und Beweismittelbeschaffung von dieser ihm nahestehenden Gesellschaft verfügt. Er kann sich in diesen Fällen nicht mit Erfolg auf eine Verweigerung der Mitwirkung der ihm nahestehenden Gesellschaft berufen.
Beruft sich ein Beteiligter darauf, dass er Informationen nicht erteilen oder Beweismittel nicht vorlegen kann, weil ausschließlich eine nahestehende Person darüber verfügt und diese die Herausgabe verweigert, liegt nur insoweit kein Verstoß des Beteiligten gegen seine Mitwirkungspflichten vor, als er weder rechtlich (z. B. gesellschaftsrechtlich) noch tatsächlich die Möglichkeiten hat, die Informationen oder Unterlagen bei dem Nahestehenden zu beschaffen und ihm auch eine Beweisvorsorge nicht möglich oder nicht zumutbar war. Die Verweigerung der Mitwirkung einer nahestehenden Person kann durch Vorlage des entsprechenden Schriftverkehrs glaubhaft gemacht werden. Verweigert eine nahestehende Person nachweislich ihre Mitwirkung, hat der Steuerpflichtige seine erhöhten Mitwirkungspflichten dennoch zu erfüllen, soweit ihm dies möglich ist. Die Möglichkeiten der internationalen Rechts- und Amtshilfe bleiben davon unberührt.
Sind in einer inländischen Gesellschaft und einer ihr nahestehenden ausländischen Gesellschaft, zwischen denen Geschäftsbeziehungen bestehen, dieselben natürlichen Personen als Geschäftsführer tätig (Personalunion), kann davon ausgegangen werden, dass diese Personen über tatsächliche Möglichkeiten zur Auskunftserteilung und zur Nachweisbeschaffung verfügen. Ist in solchen Fällen eine Prüfungsanordnung nicht nur gegen die inländische Gesellschaft, sondern auch gegen die ausländische Gesellschaft erlassen worden, können die inländische Gesellschaft und die ausländische Gesellschaft jeweils in ihren eigenen Steuerangelegenheiten (einschließlich der steuerlichen Aspekte der Geschäftsbeziehung zur jeweils anderen Gesellschaft) als Beteiligte nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO um Auskunft ersucht werden; dabei ist unerheblich, ob die beiden Gesellschaften durch dieselbe Person als Geschäftsführer vertreten werden.
Ist die Erteilung bestimmter Auskünfte an die Behörden nach den Vorschriften anderer Staaten unzulässig oder sogar strafbewehrt, entbindet dieses Verbot den Beteiligten nicht von seiner Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO (, BStBl 1981 II S. 492; , BStBl 2007 II S. 49). Die den Beteiligten treffende Pflichtenkollision ist von der Finanzbehörde im Rahmen der Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO zu berücksichtigen.
Die Berücksichtigung des ausländischen Rechts sowie die Auslegung von Verträgen oder ähnlichen Dokumenten und deren Würdigung obliegen der Finanzbehörde. Das ausländische Recht ist dabei so anzuwenden, wie es der ausländische Staat auslegt und anwendet. Die erhöhte Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO trifft den Beteiligten aber insoweit, als er nachzuweisen hat, dass er die Voraussetzungen der ausländischen Rechtsnorm erfüllt oder aber nicht.
§ 90 Abs. 2 AO bezieht sich auf sämtliche Sachverhalte, die für die Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen im Sinne des § 3 AO relevant sind. Dass ein für die Anwendung einer steuerlichen Norm maßgeblicher Sachverhalt nur zum Teil Auslandsbezug hat, ist für die Anwendung von § 90 Abs. 2 AO ohne Bedeutung.
Die Finanzbehörde hat dem Beteiligten für die Sachverhaltsaufklärung und die Nachweisbeschaffung eine angemessene Frist einzuräumen.
Die Finanzbehörde kann Dokumente in fremder Sprache entgegennehmen. Auf Anforderung sind diese unabhängig von ihrer Form in die deutsche Sprache zu übersetzen. Ein Übersetzungsverlangen ist auf das notwendige Maß zu beschränken. Ist bei umfangreichen Dokumenten eine Übersetzung ins Deutsche tatsächlich notwendig, ist eine Anforderung von Übersetzungen regelmäßig auf die wesentlichen Teile zu beschränken.
Wurden Dokumente nur teilweise übersetzt, führt dies nicht dazu, dass der Finanzbehörde Informationen aus den nicht übersetzten Teilen der vorgelegten Unterlagen als bekannt gelten müssen.
In begründeten Fällen kann die Vorlage einer beglaubigten oder von einem öffentlich bestellten oder vereidigten Dolmetscher oder Übersetzer angefertigte Übersetzung verlangt werden. Wird eine angeforderte und für die Prüfung notwendige Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, kann die Finanzbehörde eine Übersetzung auf Kosten des Beteiligten anfertigen lassen (§ 87 Abs. 2 Satz 3 AO) oder die Unterlagen als unbeachtlich behandeln. Die Finanzbehörde soll den Beteiligten vorher auf diese Folgen hinweisen.
Die Amtssprache ist Deutsch. Die Finanzbehörde äußert sich gegenüber ausländischen Beteiligten oder deren Bevollmächtigten oder Beiständen grundsätzlich nicht in einer anderen Sprache. Die Finanzbehörde zieht bei Verhandlungen mit dem Beteiligten deshalb auch keinen Dolmetscher auf eigene Kosten hinzu.
Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Pflichten gemäß § 90 Abs. 2 AO und ist der Sachverhalt nicht anderweitig aufklärbar, so kann zu seinem Nachteil von einem Sachverhalt ausgegangen werden, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Insbesondere dann, wenn die Mitwirkungspflicht sich auf Tatsachen und Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen bezieht, können aus seiner Pflichtverletzung für ihn nachteilige Schlussfolgerungen gezogen werden. Siehe insbesondere § 162 Abs. 2 AO zur Schätzung (vgl. AEAO zu § 162).
Bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht können Zwangsmittel (§ 328 AO) oder ein Verzögerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO) festgesetzt werden.
1.3 Besondere Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 3 AO)
1.3.1 Grundsätze der Aufzeichnungspflicht (§ 90 Abs. 3 Satz 1 AO)
Die Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 der Abgabenordnung (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung - GAufzV; , BGBl 2017 I S. 2367) bestimmt Art, Inhalt und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen. Ergänzend hierzu enthalten die Anhänge I und II zu Kapitel V der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen Steuerverwaltungen 2017 (OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017) eine Auflistung von Informationen, die regelmäßig in der Verrechnungspreisdokumentation enthalten sein sollten.
Die Aufzeichnungspflicht als besondere Ausprägung der allgemeinen Mitwirkungspflichten zielt insbesondere darauf ab (vgl. auch Tz. 5.5 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017), dass
sichergestellt wird, dass der Steuerpflichtige die Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes berücksichtigt,
die Steuerverwaltung die notwendigen Informationen erhält, um eine sachverständige Risikobeurteilung vornehmen zu können und
die Steuerverwaltung die steuerlich relevanten Informationen erhält, die sie bei der Durchführung einer Prüfung der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen (Verrechnungspreisprüfungen) benötigt.
Demzufolge tragen die Aufzeichnungen gemäß § 90 Abs. 3 AO (sog. Verrechnungspreisdokumentation) dazu bei, dass es einem sachverständigen Dritten ermöglicht wird, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen tatsächlich verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat (siehe auch BT-Drs. 15/119, S. 52).
Die Aufzeichnungspflicht ist mit dem Unionsrecht vereinbar (, BStBl 2013 II S. 771).
Unter § 90 Abs. 3 AO fallen die Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG eines Steuerpflichtigen. Im Einklang mit § 1 AStG ist ein Steuerpflichtiger in diesem Sinne auch eine Personengesellschaft oder eine Mitunternehmerschaft.
Gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen (z. B. Vermögenseinlagen) gehören nicht zu den Geschäftsbeziehungen. Damit die Finanzbehörde prüfen kann, ob ein Vorgang als gesellschaftsrechtliche Vereinbarung oder als Geschäftsbeziehung anzusehen ist, hat der Steuerpflichtige entsprechende Unterlagen aller Beteiligten (z. B. Bilanzen) vorzulegen.
Die Aufzeichnungspflichten gelten auch für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen gemäß § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG.
Die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO ersetzt nicht die Pflicht zu Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung gemäß § 3 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV; , BGBl 2014 I S. 1603, die zuletzt durch Artikel 5 der Verordnung vom , BGBl 2017 I S. 2360 geändert worden ist) und umgekehrt.
Auf grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen einer Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft mit ihr nahestehenden Personen ist der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden; entsprechend sind Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV vorzulegen. Dies gilt für grenzüberschreitende Beziehungen im Bereich des Sonderbetriebsvermögens gleichermaßen.
Für Geschäftsbeziehungen einer nicht buchführungspflichtigen Personengesellschaft ist auch die Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft selbst aufzeichnungspflichtig. Ist für die inländischen Gesellschafter der Personengesellschaft ein Treuhänder oder ein anderer Vertreter bestellt, reicht es aus, wenn die Aufzeichnungen von dieser Person erstellt werden und der inländische Gesellschafter die fristgerechte Vorlage sicherstellt.
Aufzeichnungen sind grundsätzlich in deutscher Sprache vorzulegen. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann die Finanzbehörde die Vorlage der Aufzeichnungen in einer anderen lebenden Sprache (insbesondere in englischer Sprache) zulassen, wenn ein sachgerechtes Verständnis innerhalb eines angemessenen Zeitraums sichergestellt werden kann. Bei Aufzeichnungen gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 AO (Stammdokumentation - master file) gilt dies im Besonderen.
Einem solchen Antrag ist jedoch nur unter der Bedingung zu entsprechen, dass von einer Finanzbehörde später angeforderte Übersetzungen innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt werden. Über den Antrag hat die im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags für die Festsetzung oder Feststellung der Einkünfte, auf die der Antrag sich bezieht, örtlich und sachlich zuständige Finanzbehörde unverzüglich zu entscheiden. Wird der Antrag nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gestellt, entscheidet die für die Prüfung zuständige Finanzbehörde. Wird dem Antrag entsprochen, befreit dies den Steuerpflichtigen nicht davon, in einem etwaigen finanzgerichtlichen Verfahren die Aufzeichnungen in deutscher Sprache vorzulegen; § 52 Abs. 1 FGO, § 184 GVG.
Der Antrag kann bereits vor der Anfertigung der Aufzeichnungen gestellt werden. Er ist vom Steuerpflichtigen spätestens unverzüglich nach der Anforderung von Aufzeichnungen durch die Finanzbehörde zu stellen. Die Antragstellung hat keine Auswirkung auf den Fristlauf des § 90 Abs. 3 Satz 7 und 8 AO.
Bei der Anforderung von Übersetzungen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aufzeichnungen, die in fremder Sprache vorgelegt werden, können unverwertbar sein. So ist z. B. eine Verrechnungspreisdokumentation im Wesentlichen unverwertbar, wenn die Aufzeichnungen ohne Zustimmung der Finanzbehörde in fremder Sprache vorgelegt werden und der Steuerpflichtige diese trotz Aufforderung nicht übersetzt.
Für die Erstellung der Aufzeichnungen sind die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse in dem Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Vertrag (Verpflichtungsgeschäft) für den Geschäftsvorfall abgeschlossen worden ist bzw. in dem sich die wirtschaftlichen Bedingungen ggf. so wesentlich geändert haben, dass fremde Dritte eine Anpassung der Geschäftsbedingungen vereinbart oder den Vertrag gekündigt hätten. Hierbei ist unerheblich, ob der Vertrag mündlich, schriftlich oder durch konkludentes Handeln geschlossen wurde.
Die Aufzeichnungen gemäß § 90 Abs. 3 AO müssen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen, seine Geschäftsbeziehungen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten (§ 2 Abs. 1 GAufzV). Das ernsthafte Bemühen ist anhand objektivierter Umstände glaubhaft zu machen.
Hinsichtlich der Folgen der Verletzung der Aufzeichnungspflicht wird auf § 162 Abs. 3 und 4 AO verwiesen (Rn. 80 ff.).
Die Erleichterungen des § 6 Abs. 1 GAufzV bestehen in erster Linie darin, dass die Verpflichtung zur Vorlage von Aufzeichnungen auch dadurch erfüllt werden kann, fristgerecht (§ 90 Abs. 3 Satz 7 AO) mündliche Auskünfte zu erteilen und bereits vorhandene Unterlagen vorzulegen. § 93 Abs. 4 Satz 2 AO bleibt davon unberührt.
Bei der Prüfung, ob die Betragsgrenzen im Sinne des § 6 Abs. 2 GAufzV überschritten werden, sind die Entgelte für die von ausländischen nahestehenden Personen empfangenen und für die an sie erbrachten Lieferungen bzw. Leistungen aller zusammenhängenden inländischen Unternehmen im Sinne der §§ 13, 18 und 19 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung - Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000 vom , BStBl 2000 I S. 368, zuletzt geändert durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift vom , BStBl 2011 I S. 710) zusammenzurechnen. Güter und Waren im Sinne der Vorschrift können alle materiellen Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte sein. Geschäftsbeziehungen zu inländischen nahestehenden Personen bleiben bei der Berechnung unberücksichtigt.
1.3.2 Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO)
1.3.2.1. Sachverhaltsdokumentation
Für die Sachverhaltsdokumentation hat der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über Art, Inhalt und Umfang seiner Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sowie über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu erstellen (vgl. § 1 Abs. 2 und § 4 GAufzV).
Zum Beispiel können folgende Informationen in Abhängigkeit von der Art der Geschäftsbeziehung von besonderer Bedeutung sein:
Tabelle in neuem Fenster öffnenAktivität | Funktionen | Eingesetzte Vermögenswerte | Risiken |
Forschung und Entwicklung (als eigenständige
Aktivität) | Grundlagenforschung, Produktentwicklung, Produktdesign,
Lizenzierung, Patententwicklung, Kontrolle und Management der Risiken | Patente, Lizenzen, wesentliche immaterielle Werte | Fehlgeschlagene Forschung, Marktvorteile aus erfolgreicher
Forschung, Chance auf Lizenzeinnahme Substitutionsrisiko, Marktrisiko,
Patentrisiken |
Herstellung von Produkten | Design, Forschung und Entwicklung, Produktmanagement,
Produktionsplanung, Einkauf Rohstoffe etc., Lagerhaltung Rohstoffe etc.,
Fertigung, Verpackung, Montage, Qualitätssicherung, Beschaffung, Lagerhaltung
Produkte, Logistik, ggf. Vertrieb, Verwaltung, Kontrolle und Management der
Risiken | Lizenzen, Produkt- und/oder Prozess-Know-how, Marken, Grundstücke,
Fertigungsanlagen, Abnahmegarantien | Investitionsrisiko, Kapazitäts- oder Auslastungsrisiko,
Qualitätsrisiken, Umweltrisiken, Produkthaftungsrisiken, Risiko staatlicher
Eingriffe (z. B. Umweltschutzbestimmungen, Mindestlöhne),
Gewährleistungsrisiko |
Vertrieb | Lagerhaltung, Werbung, Vertrieb, Finanzierung, Transport,
Verzollung, Montage, technische Unterstützung, Kundendienst, Preisgestaltung,
Kontrolle und Management der Risiken | Vertriebsrecht, Markenrecht, Kundenstamm, Fahrzeuge, Lagervorrichtung | Absatzrisiko (Änderung des Publikumsgeschmacks,
Konjunkturschwäche), Chance auf einen Reingewinn aus Handels- bzw.
Vertriebstätigkeit, Marktpreisrisiko, Inkassorisiko, Wechselkursrisiko,
Transportrisiko, Lagerrisiko |
Unternehmensverwaltung | Leitung, Koordination, Strategieentwicklung, Controlling,
Finanzierung, Rechnungslegung, Mitarbeitersuche und -schulung, Kontrolle und
Management der Risiken | spezifische Software, Know-how, Grundstücke, Gebäude | Geschäftsrisiko, Liquiditätsrisiko |
Finanzierung | Kreditgeschäft, Diskontgeschäft, Garantiegeschäft,
Kryptoverwahrgeschäft, Factoring, Leasing, Kontrolle und Management der
Risiken | Sicherungsübereignete Vermögenswerte, Know-how | Wechselkursrisiko, Fristentransformationsrisiko, Liquiditätsrisiko,
Debitorenrisiko |
Versicherung | Absicherung Risiken, Vermittlung, Kontrolle und Management der
Risiken | Risikotransfer, versicherungstechnisches Risiko |
Die Aufzeichnungen müssen einem sachverständigen Dritten in angemessener Zeit ein grundlegendes Verständnis der Wertschöpfung innerhalb der Unternehmensgruppe (vgl. Tz. 1.51 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017) bzw. innerhalb des einheitliehen Unternehmens (Rn. 30), des Geschäftsmodells und des Funktions- und Risikoprofils der Transaktionspartner vermitteln. Nur dann ist eine Beurteilung der Angemessenheit des Verrechnungspreises möglich.
Die mit den einzelnen nahestehenden Personen abgewickelten Geschäftsbeziehungen sind in einer Übersicht hinsichtlich ihrer Art und des betragsmäßigen Umfangs der Entgelte darzustellen (Transaktionsübersicht). Bei Darlehensverhältnissen ist auch die Darlehenssumme aufzuzeichnen. Die Vorlage der zugrunde liegenden Verträge ist zur Beurteilung grundsätzlich erforderlich.
1.3.2.2. Angemessenheitsdokumentati on
Daneben sind Aufzeichnungen über die Angemessenheit der Verrechnungspreise zu erstellen (Angemessenheitsdokumentation; vgl. § 1 Abs. 3 und § 4 GAufzV). Diese beziehen sich auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen, aus denen sich ergibt, dass der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.
Die Angemessenheitsdokumentation muss das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen, für Zwecke der steuerlichen Einkünfteermittlung den Fremdvergleichsgrundsatz zu beachten. Die Aufzeichnungen haben die angestellten Überlegungen widerzuspiegeln und für einen sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Frist nachvollziehbar zu machen.
Hierfür muss der Steuerpflichtige die Eignung der tatsächlich angewendeten Verrechnungspreismethode bzw. des hypothetischen Fremdvergleichs sowie die Angemessenheit der steuerlich zugrunde gelegten Preise bzw. des Ergebnisses begründen (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe d GAufzV). Der Steuerpflichtige ist daher verpflichtet, aufzuzeichnen, weshalb er die von ihm jeweils angewandte Verrechnungspreismethode für die am besten geeignete Methode hält bzw. weshalb der hypothetische Fremdvergleich anzuwenden ist. Zu einer Verprobung seiner Ergebnisse nach anderen Methoden ist der Steuerpflichtige nicht verpflichtet.
Die Finanzbehörden wählen die richtige Verrechnungspreismethode selbst aus, und zwar diejenige, die sich als geeignetste Methode erweist. Verwendet die Finanzbehörde bei ihrer Prüfung eine andere Methode als der Steuerpflichtige, kann dies nur zu einer Berichtigung führen, wenn die Ergebnisse der Alternativmethode wahrscheinlicher sind. Die hierfür erforderlichen Informationen sind vom Steuerpflichtigen der Finanzbehörde gegenüber vorzulegen. Können beispielsweise Unsicherheiten über die Vergleichbarkeit von Daten im Zuge einer Außenprüfung nicht beseitigt werden, kann die Finanzbehörde ihrerseits Verprobungsrechnungen durchführen, um zu beurteilen, ob das Ergebnis des Steuerpflichtigen anzuerkennen oder zu verwerfen ist. Die Zulässigkeit und das Erfordernis, die Ergebnisse einer Methode mit Hilfe des Einsatzes einer anderen Methode zu ermitteln, zu konkretisieren bzw. zu verproben, ergibt sich auch aus der ständigen Rechtsprechung (, BStBl 2004 II S. 171; , BStBl 2007 II S. 658).
Bei der Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs ist aufgrund der Bedeutung der zugrunde gelegten Annahmen und Bewertungsparameter eine sachgerechte Beurteilung der Bewertung nur dann möglich, wenn alle bei der Erstellung des Bewertungsmodells zugrunde gelegten relevanten Annahmen genau dargelegt und die Basis für die Auswahl der Bewertungsparameter beschrieben werden. Die Angemessenheit dieser Annahmen und Bewertungsparameter für den konkreten Geschäftsvorfall ist darzulegen. Darüber hinaus sollten Sensitivitätsanalysen Aufschluss darüber geben, wie sich der ermittelte Wert des Bewertungsobjekts verändert, wenn für das Modell alternative Annahmen und Parameter gewählt werden (siehe auch Tz. 6.160 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017).
Die Angemessenheitsdokumentation hat sich auf die tatsächlich abgeschlossene und durchgeführte Vereinbarung des Steuerpflichtigen mit der ihm nahestehenden Person zu beziehen. Hat der Steuerpflichtige beispielsweise einen anderen als den zivilrechtlich vereinbarten Preis der Besteuerung zugrunde gelegt, müssen die Aufzeichnungen den für die Besteuerung angesetzten Verrechnungspreis darstellen. Hat der Steuerpflichtige Verträge geschlossen, diese aber nicht entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt, haben sich die Aufzeichnungen auf die tatsächlichen Verhältnisse und damit die tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung zu beziehen.
Maßgebender Zeitpunkt für den Fremdvergleich ist grundsätzlich der Abschluss des Vertrages, nicht der Erfüllungszeitpunkt (, BStBl 1983 II S. 744). Abzustellen ist daher auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls. Der Steuerpflichtige kann sich auf nachträglich bekannt gewordene externe Fremdvergleichsdaten stützen, soweit sich diese auf den Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls beziehen. Maßgebend bleiben daher die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls. Entsprechend soll die Angabe über den Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung der Finanzverwaltung die Möglichkeit eröffnen, eine bessere Einschätzung vornehmen zu können, mit welcher zeitlichen Distanz die tatsächlich durchgeführten Geschäftsbeziehungen auf ihre Fremdüblichkeit hin überprüft wurden.
Eine Angemessenheitsdokumentation, welche auf Planrechnungen zurückgreift, ist soweit wie möglich auf Vergleichsdaten, wie fremdübliche Gewinnaufschläge oder eine marktübliche Kapitalverzinsung, zu stützen. Die zugrunde gelegten Planannahmen sind anhand der Erfahrungen aus bereits abgelaufenen Zeiträumen und auf Basis kaufmännischer, betriebswirtschaftlich fundierter, vorsichtiger Prognosen im Einzelnen zu begründen (, BStBl 1993 II S. 457). Der Steuerpflichtige hat regelmäßig einen Abgleich zwischen den Planzahlen und den tatsächlichen Zahlen durchzuführen, um rechtzeitig auf einen geänderten Geschäftsverlauf reagieren zu können. Dazu getroffene Maßnahmen sind zu begründen und aufzuzeichnen. Weicht die tatsächlich eingetretene Entwicklung erheblich von der erstellten Prognose ab, hat der Steuerpflichtige die Abweichungen aufzuzeichnen und darzulegen, dass diese auf unerwarteten Umständen (z. B. außergewöhnlichen Kosten, Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen) beruhen, die er in seiner vorsichtigen kaufmännischen Prognose nicht berücksichtigen konnte.
Für die Durchführung der Angemessenheitsprüfung sind die steuerlich relevanten Unterlagen und Bilanzen aller Beteiligten unter Einschluss der konsolidierungsfähigen Einzelabschlüsse (sog. Handelsbilanzen II) vorzulegen.
Verrechnungspreisrichtlinien des Steuerpflichtigen und der Unternehmensgruppe, zu der dieser gehört, sind Bestandteil der Aufzeichnungen (§ 2 Abs. 3 Satz 5 GAufzV). Für sie gelten die entsprechenden Anforderungen. Weicht der Steuerpflichtige im Einzelfall von der Verrechnungspreisrichtlinie ab, muss er die Abweichung begründen und die Gründe bezogen auf den jeweiligen Geschäftsvorfall aufzeichnen und die Angemessenheit der abweichenden Preisbestimmung darlegen.
Werden Informationen aus Datenbanken herangezogen, ist Voraussetzung für eine Prüfung durch die Finanzbehörde, dass der in einer Datenbank vorgenommene Suchprozess im Rahmen des technisch Möglichen nachvollziehbar und prüfbar ist. Es muss der Finanzbehörde ermöglicht werden, auf Basis der vom Steuerpflichtigen genutzten Daten selbständig Alternativrechnungen vornehmen und feststellen zu können, ob der Steuerpflichtige alle relevanten Informationen unter Verwendung verschiedener, angemessener Suchkriterien berücksichtigt hat. Da Ergebnisse eines reinen Datenbankscreenings für die Prüfung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte und somit der Angemessenheitsdokumentation regelmäßig nicht ausreichen, sind ergänzende Suchschritte und Auswahlverfahren entsprechend aufzuzeichnen und zu dokumentieren (vgl. § 4 Abs. 3 GAufzV). Die hierzu vom Steuerpflichtigen erstellten und zusammengetragenen Daten sind der Finanzbehörde im Rahmen des § 147 Abs. 5 und 6 AO in elektronischer Form zugänglich zu machen.
Im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation hat der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO unter bestimmten Voraussetzungen eine sog. Stammdokumentation („master file“) für ein Unternehmen zu erstellen. Mit dieser Regelung hat Deutschland die Empfehlungen des OECD/G20-Abschlussberichtes zu Aktionspunkt 13 des BEPS-Projekts vom in nationales Recht umgesetzt. Die Inhalte dieses Abschlussberichtes wurden in das Kapitel V und den Anhang I zu Kapitel V der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 übernommen. Das Ziel und der Zweck der Stammdokumentation besteht darin, den Steuerverwaltungen einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit und über die Systematik der Verrechnungspreisbestimmung der multinationalen Unternehmensgruppe zu geben.
Für die Voraussetzungen zur Erstellung der Stammdokumentation gilt Folgendes:
Das Unternehmen ist Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe.
Als Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift sind Betriebe zu verstehen, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielen.
Der Umsatz des Unternehmens betrug im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 100 Millionen Euro. Der Umsatzbegriff richtet sich nach § 277 Abs. 1 HGB. Maßgeblich sind die nicht-konsolidierten Inlands- und Auslandsumsätze des Unternehmens mit fremden Dritten sowie mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG. Innenumsätze zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte sind nicht einzubeziehen. Für die Überschreitung der Umsatzgrenze von 100 Millionen Euro ist es unerheblich, wie hoch der Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen ist. Eine Stammdokumentation ist auch zu erstellen, wenn die Auslandsumsätze nur einen geringfügigen Teil der relevanten Gesamtumsätze ausmachen.
Der Umfang der Stammdokumentation ist in § 5 Abs. 1 Satz 1 GAufzV und der Anlage zu § 5 GAufzV geregelt. Die Anlage listet die vorzulegenden Aufzeichnungen und Unterlagen im Einzelnen auf. Die Liste ist abschließend, § 90 Abs. 3 Satz 10 AO (Rn. 66) und § 2 Abs. 5 GAufzV sind dennoch zu beachten.
Nach § 5 Abs. 2 GAufzV soll das Ziel der Stammdokumentation mit angemessenem Aufwand für den Steuerpflichtigen erreicht werden können (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Der Überblickscharakter der Stammdokumentation soll gewahrt werden. Unterlagen, die im Rahmen der Stammdokumentation gefordert sind, den Finanzbehörden aber bereits vorliegen, müssen vom Steuerpflichtigen daher nicht erneut eingereicht werden (z. B. der Konzernabschluss); ein entsprechender Verweis in der Stammdokumentation genügt.
Der in Satz 2 der Anlage zu § 5 GAufzV eingeräumte Beurteilungsspielraum bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe, die in der Anlage enthalten sind, soll sich an den Empfehlungen des OECD/G20 Abschlussberichtes zu Aktionspunkt 13 des BEPS-Projekts und Kapitel V der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 orientieren. Dadurch wird eine international einheitliche Umsetzung der Stammdokumentation gewährleistet.
Die Stammdokumentation nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO ergänzt zwar inhaltlich die landesspezifische unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AO. Für die Stammdokumentation nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO ist aber ein gesonderter Bericht oder Berichtsteil zu erstellen, in welchem ggf. auf die länderspezifische, unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentation und bei der Finanzbehörde bereits vorliegende Unterlagen verwiesen werden kann.
Bei Nichterfüllung der Aufzeichnungspflicht gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 AO können Zwangsmittel (§ 328 AO) oder ein Verzögerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO) festgesetzt werden.
1.3.4 Vorlageverlangen (§ 90 Abs. 3 Satz 5-6 AO, § 2 Abs. 6 GAufzV)
Nach § 90 Abs. 3 Satz 5 AO in Verbindung mit § 2 Abs. 6 GAufzV liegt es im Ermessen der Finanzbehörde, ob und wann sie die Vorlage der Aufzeichnungen verlangt. In der Regel soll dies nur für die Durchführung einer Außenprüfung erfolgen. In begründeten Einzelfällen können die Aufzeichnungen auch außerhalb der Außenprüfung angefordert werden. So kann die Durchführung eines Verständigungsverfahrens Anlass sein, im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 5 AO die Vorlage von Aufzeichnungen auch außerhalb einer Außenprüfung zu verlangen.
Zur Beschleunigung eines etwaigen Verständigungsverfahrens, kann der Steuerpflichtige der hierfür zuständigen Behörde bereits vorab mitteilen, dass bei einer nahestehenden Person oder einer Betriebsstätte im Ausland eine Einkünftekorrektur vorgenommen wurde. Es ist seitens dieser Behörde dann anzuregen, dass der Steuerpflichtige alle erforderlichen Unterlagen (§ 90 Abs. 2 AO) vorlegt und Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO auch außerhalb einer Außenprüfung erstellt.
1.3.5 Vorlagefrist und Verlängerung (§ 90 Abs. 3 Sätze 7 und 9 AO)
Die Vorlagefrist beginnt mit der Bekanntgabe der Anforderung, nicht mit dem Prüfungsbeginn im Unternehmen des Steuerpflichtigen. Die Finanzbehörde kann die Vorlage auch dann innerhalb der Frist verlangen, wenn die Außenprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen verschoben wird.
Es obliegt dem Steuerpflichtigen, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die Vorlagefrist einhalten zu können. Die Finanzbehörde geht davon aus, dass der Steuerpflichtige die für die Verrechnungspreisbestimmung wesentlichen Daten und Fakten regelmäßig und zeitnah sammelt sowie sachgerecht und geordnet verfügbar hält.
Zeichnen sich im konkreten Fall bei den Bemühungen des Steuerpflichtigen, sich auf die Erfüllung der Aufzeichnungspflichten vorzubereiten, erhebliche Schwierigkeiten ab, können diese im Vorhinein mit der für die Außenprüfung zuständigen Finanzbehörde erörtert werden. Eine Anerkennung der vom Steuerpflichtigen angesetzten Verrechnungspreise ist damit nicht verbunden.
1.3.6 Ergänzung auf Anforderung (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO)
Die Finanzbehörde kann den Steuerpflichtigen gemäß § 90 Abs. 3 Satz 10 AO dazu auffordern, die vorgelegten Aufzeichnungen innerhalb einer angemessenen Frist um detailliertere oder weitere Unterlagen zu ergänzen. Eine Ergänzung ist insbesondere dann notwendig, wenn sich aus Sicht der Finanzbehörde aufgrund der bereits vorgelegten Aufzeichnungen Anhaltspunkte für weitere Nachfragen ergeben.
2. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschläge (§ 162 AO)
2.1 Allgemeines
Die Mitwirkungspflichten nach §§ 90 Abs. 1 bis 3 Satz 1 und 2, 200 AO sind insbesondere verletzt, wenn ein Beteiligter Tatsachen, die ausschließlich oder überwiegend seiner Wissenssphäre zugehören, nicht gegenüber der Finanzbehörde offenlegt. Die Finanzbehörde ist dann befugt zu schätzen. Der „Beweisverderber“ soll aus seinem Verhalten keinen Vorteil ziehen (, BStBl 1989 II S. 462).
Grundsätzlich trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für diejenigen Tatsachen, die einen Steueranspruch begründen bzw. erhöhen. Die Frage der Feststellungslast stellt sich, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht vollständig aufgeklärt werden kann. Aus der gemeinsamen Verantwortung des Steuerpflichtigen einerseits und der Finanzbehörde andererseits für die vollständige Sachaufklärung folgt u. a., dass sich dann, wenn ein Steuerpflichtiger ihm obliegende allgemeine oder besondere Mitwirkungs-, Informations- oder Nachweispflichten verletzt, grundsätzlich die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde entsprechend reduziert. Kriterien und Ausmaß der Reduzierung von Sachaufklärungspflicht und Beweismaß lassen sich nicht generell festlegen, sondern nur im Einzelfall bestimmen. Die Verletzung der Mitwirkungspflichten kann insbesondere dann, wenn sie Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betrifft, dazu führen, dass aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Gedanken der Beweisnähe zu: Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer, je mehr Tatsachen oder Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und/oder Tätigkeitssphäre angehören (, BStBl 1989 II S. 462). Die Finanzbehörde hat dennoch auch in diesen Fällen den Sachverhalt aufzuklären, soweit ihr dies zumutbar ist.
Wirkt sich die Verletzung der Mitwirkungspflichten auf mehrere Tatbestandsmerkmale einer Einkünftekorrekturvorschrift aus, tritt eine Beweismaßreduzierung für alle betroffenen Tatbestandsmerkmale der Berichtigungsvorschrift ein.
Grundlage der Schätzung ist es, in einem Akt wertenden Schlussfolgerns (, BStBl 2002 II S. 450) von dem Sachverhalt auszugehen, der der Wirklichkeit am nächsten kommt. Das Schätzungsergebnis soll dem wahren Sachverhalt möglichst nahekommen (, BFHE 188 S. 160). Die Schätzergebnisse müssen daher schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (, BStBl 2017 II S. 992). Unschärfen aufgrund der Schätzung gehen zulasten des Steuerpflichtigen.
Für die Überprüfung des tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreises und als Grundlage für die Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO kann im konkreten Einzelfall der Fremdvergleichspreis mittels einer geeigneten Verrechnungspreismethode mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit ermittelt werden (, BStBl 2004 II S. 171).
Datenbankstudien sind eine zulässige Schätzungsmethode im Sinne des § 162 AO. Bei Vergleichsunternehmen handelt es sich um einzeln festzustellende Grundlagen. Schätzungen müssen insoweit insgesamt in sich schlüssig sein.
Die Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen schließt Einkünfteberichtigungen nicht aus. Die Finanzbehörde kann über solche Aufzeichnungen hinaus weitere Auskünfte und Unterlagen anfordern (§ 88 AO) und Verprobungen nach anderen Methoden vornehmen. Dabei kann die Finanzbehörde die Verprobung im Einklang mit Rn. 49 auch auf nachträglich bekannt gewordene externe Fremdvergleichsdaten stützen. Verwertbare Aufzeichnungen sind lediglich Ausgangspunkt für die Prüfung. Die Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen schließt daher auch die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO nicht aus. Für eine Einkünfteberichtigung reichen allein Mängel in der Begründung für deren Angemessenheit seitens des Steuerpflichtigen nicht aus. Voraussetzung einer Einkünfteberichtigung ist vielmehr, dass die vom Steuerpflichtigen angewandten Verrechnungspreise mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dem Fremdvergleich entsprechen und dass der von der Finanzbehörde ermittelte Verrechnungspreis zumindest wahrscheinlicher ist.
Die Finanzverwaltung des Staates, die die Erstkorrektur vornimmt, trägt die Feststellungslast im Verständigungsverfahren (vgl. Tz. 4.17 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017).
2.2 Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO
Eine Schätzung ist nicht schon deswegen unrechtmäßig, weil sie nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen sind nicht zu vermeiden, weil die volle Kenntnis der wahren Gegebenheiten fehlt. Eine Schätzung ist erst dann rechtswidrig, wenn der Schätzungsrahmen überschritten wird, der durch die Kenntnisse der Finanzbehörde über den Fall vorgegeben ist. Schätzt die Finanzbehörde bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen (Strafschätzung), kann dies zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides führen (, BStBl 1993 II S. 259; , BStBl 2001 II S. 381).
2.3 Schätzungen nach § 162 Abs. 2 AO
Hat es der Steuerpflichtige zu vertreten, dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden müssen, weil er z. B. seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO verletzt, gehen Unsicherheiten zu seinen Lasten (gemindertes Beweismaß). Bei groben Verstößen des Steuerpflichtigen, die erhebliche Änderungen gegenüber seinen
Angaben in der Steuererklärung notwendig machen, ist die Finanzbehörde im Allgemeinen berechtigt und verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen nach dem für den Steuerpflichtigen ungünstigsten, aber noch möglichen Sachverhalt festzustellen (, BStBl 1967 II S. 349). Strafschätzungen sind auch in diesen Fällen nicht zulässig.
In Verrechnungspreisfällen soll eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 AO zur Besteuerung des Gewinns führen, der erzielt worden wäre, wenn dem Fremdvergleich entsprechende Verrechnungspreise angesetzt worden wären. An die Nachweise, die von der Finanzbehörde dafür zu erbringen sind, dürfen keine überspitzten Anforderungen gestellt werden (, BStBl 1993 II S. 801).
Sind die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 AO erfüllt, dürfen die Besteuerungsgrundlagen nach Methoden und aufgrund von Daten geschätzt werden, deren Beweiswert außerhalb einer solchen Schätzung nicht für eine Einkünfteberichtigung ausreicht (z. B. Richtsatzvergleich, Branchendurchschnittswerte).
Die Berechtigung zur Vornahme einer Schätzung ist nicht davon abhängig, dass die Finanzbehörde vorher die internationale Rechts- und Amtshilfe in Anspruch genommen hat.
2.4 Schätzungen nach § 162 Abs. 3 AO und Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO
Verstößt der Steuerpflichtige dadurch gegen seine Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO, dass er
trotz Anforderung durch die Finanzbehörde keine Aufzeichnungen oder im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorlegt oder
verwertbare Aufzeichnungen für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nicht zeitnah (§ 3 GAufzV) erstellt hat,
wird nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO widerlegbar vermutet, dass die Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG durch eine nicht fremdübliche Gestaltung gemindert worden sind. In diesen Fällen trifft den Steuerpflichtigen die Beweisführungslast, dass es zu keiner Einkünfteminderung gekommen ist.
Im Fall der verspäteten Erstellung von Aufzeichnungen für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle ist deren Beweiswert unter Berücksichtigung der Tatsache der Verspätung (Indiz) zu würdigen.
Im Wesentlichen unverwertbar sind die Aufzeichnungen dann, wenn sie es einem sachverständigen Dritten innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht ermöglichen, festzustellen und zu prüfen, welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige verwirklicht und ob er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Die Frage der Verwertbarkeit bezieht sich damit sowohl auf die Sachverhalts- als auch auf die Angemessenheitsdokumentation. Die Maßstäbe für eine ordnungsmäßige Buchführung (vgl. AEAO zu § 158) gelten entsprechend. Unverwertbar sind die Aufzeichnungen insbesondere dann, wenn
eine Sachverhaltsdokumentation fehlt oder ein unzutreffender Sachverhalt dargestellt wird (verbunden mit erheblichen Auswirkungen auf das Funktions- und Risikoprofil, z. B. Entrepreneur wird als Routineunternehmen beschrieben, Beschreibung der vertraglichen Situation anstelle des tatsächlich abweichend Verwirklichten),
eine Angemessenheitsdokumentation fehlt oder die vorgelegten Fremddaten nicht zum Funktions- und Risikoprofil passen,
die Angemessenheitsanalyse keine hinreichende Begründung der Vergleichbarkeit der verwendeten Fremddaten (z. B. Fremdpreise oder Fremdunternehmen) enthält (Vergleichbarkeitsanalyse, Tz. 3.1 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017), oder
die Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode nicht dargestellt wird.
Aufzeichnungen sind nicht deshalb in jedem Fall im Wesentlichen unverwertbar, weil sich die Angemessenheitsdokumentation auf eine geringe Anzahl von Fremdvergleichsdaten stützt. Für die Entscheidung im Allgemeinen kommt es nicht auf die Quantität der vorgelegten Aufzeichnungen, sondern auf ihre Qualität an. Die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit von Aufzeichnungen in einzelnen Punkten allein führt regelmäßig nicht dazu, dass Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind.
Von einer Entscheidung über die Verwertbarkeit bestimmter Aufzeichnungen sind die Aufzeichnungen zu anderen Prüfungsgegenständen nicht betroffen.
Stellt die Finanzbehörde fest, dass Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind, hat sie den Steuerpflichtigen unverzüglich darauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Unabhängig davon ist im Einzelfall zu prüfen, ob es der Finanzbehörde möglich und zumutbar ist, die Verwertbarkeit ohne weitere Mitwirkung des Steuerpflichtigen herbeizuführen, um Steuerzuschläge zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
Die Rechtsfolgen der Verletzung der Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO treten gemäß § 162 Abs. 3 und 4 AO geschäftsvorfallbezogen ein. Damit lösen die nicht zeitnah erfolgte Aufzeichnung eines außergewöhnlichen Geschäftsvorfalls, die Nichtvorlage von Aufzeichnungen oder die Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall keine Rechtsfolgen bezüglich anderer Geschäftsvorfälle aus. Die grundsätzlich zulässige Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen ist zu beachten (§ 3 GAufzV). Kommt der Steuerpflichtige dem Ergänzungsverlangen der Finanzbehörde entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 10 AO (Rn. 66) nicht nach oder sind die dann vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, greifen § 162 Abs. 3 und 4 AO ebenfalls geschäftsvorfallbezogen. § 162 Abs. 3 und 4 AO gelten nicht für die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO.
Wird wegen der in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO genannten Verstöße des Steuerpflichtigen eine Schätzung nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO notwendig und hat die Finanzbehörde einen Schätzungsrahmen festgestellt, kann sie diesen Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen.
Eine Schätzung kann in einem sich anschließenden Verständigungs- oder Schiedsverfahren (EU) überprüft und berichtigt werden. Dem Steuerpflichtigen obliegt es dabei jedoch, durch die Darlegung seiner Verhältnisse, Bezeichnung und ggf. Beibringung seiner Beweisunterlagen zu dem Verfahren beizutragen.
§ 162 Abs. 3 und 4 sind auch anwendbar, wenn der Steuerpflichtige die Voraussetzungen des § 6 GAufzV erfüllt, aber seine hieraus resultierenden Pflichten verletzt.
Bei der Festsetzung und der rechtlichen Beurteilung des Zuschlags ist Folgendes zu beachten:
Der Zuschlag ist eine steuerliche Nebenleistung gemäß § 3 Abs. 4 AO, der auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer entfällt. Er ist nicht abzugsfähig (§ 12 Nr. 3 EStG und § 10 Nr. 2 KStG).
Die Festsetzung eines Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO schließt weder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO) noch die Durchführung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahrens (§§ 369 ff. AO) aus.
Der Zuschlag kann gegen jeden durch § 90 Abs. 3 AO Verpflichteten festgesetzt werden, von dem die Finanzbehörde die Vorlage der Aufzeichnungen verlangt hat, auf die sich § 162 Abs. 4 Satz 1 AO bezieht, nicht aber für denselben Sachverhalt doppelt, z. B. gegen eine Personengesellschaft und gegen die an ihr beteiligten Gesellschafter, wenn Aufzeichnungen für denselben Sachverhalt sowohl von der Personengesellschaft als auch von deren Gesellschaftern angefordert worden sind. In solchen Fällen besteht ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne des § 44 AO.
Der Zuschlag ist einheitlich für jeden Veranlagungszeitraum, für den Aufzeichnungen angefordert wurden, festzusetzen. Die Anforderung kann sich z. B. auf Aufzeichnungen für das von der Finanzbehörde ausgewählte Prüfungsfeld und letztlich auf Aufzeichnungen für einen einzelnen (z. B. außergewöhnlichen) Geschäftsvorfall beziehen. Die grundsätzlich zulässige Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen ist zu beachten (§ 3 GAufzV). Deswegen kann der Zuschlag nebeneinander und jeweils in Bezug zu verschiedenen Anforderungen der Finanzbehörde auf mehreren Pflichtverletzungen beruhen: auf der Nichtvorlage von Aufzeichnungen, auf der Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen, auf der verspäteten Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen. Die Zusammensetzung des Zuschlags ist bei der Festsetzung jeweils im Einzelnen darzulegen. Die Ermessensausübung ist jeweils zu begründen. Dabei sind vor allem das Verschulden des Steuerpflichtigen, die Dauer der Fristüberschreitung und insbesondere die vom Steuerpflichtigen gezogenen Vorteile zu berücksichtigen.
Soweit ein nach § 162 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO festgesetzter Zuschlag darauf beruht, dass der Steuerpflichtige in einer Außenprüfung keine bzw. nur im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorgelegt hat und dass eine Einkünfteerhöhung aufgrund einer rechtmäßigen Schätzung nach § 162 Abs. 3 AO vorgenommen wurde, können im Rahmen der §§ 130 ff. AO Änderungen des Zuschlags möglich sein, wenn die betreffenden Einkünfte in einem Rechtsbehelfsverfahren, in einem Verständigungsverfahren oder in einem Schiedsverfahren (EU) niedriger angesetzt werden als aufgrund der Außenprüfung. Eine Änderung des Zuschlags (Neuberechnung) kommt in diesen Fällen nur in Betracht, soweit der Steuerpflichtige verwertbare Aufzeichnungen vorlegt. Werden in den genannten Verfahren nachträglich verwertbare Aufzeichnungen vorgelegt, ist der Zuschlag als solcher aufgrund des § 162 Abs. 4 Satz 3 und 4 AO wegen verspäteter Vorlage neu zu berechnen, wenn im Rahmen der §§ 130 ff. AO Änderungen des Zuschlags möglich sind.
Der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 Satz 3 AO wegen verspäteter Vorlage kann höher sein als der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 Satz 1 AO bei einer Nichtvorlage oder einer Vorlage im Wesentlichen unverwertbarer Unterlagen.
§ 162 Abs. 4 Satz 1 bis 3 AO sind nicht anwendbar, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 AO entschuldbar erscheint oder nur ein geringfügiges Verschulden vorliegt. Ein solcher Fall kann z. B. vorliegen, wenn Aufzeichnungen deswegen erst nach Ablauf der 60-Tage-Frist in deutscher Sprache vorgelegt werden, weil die Finanzbehörde nach Anforderung der Aufzeichnungen nicht unverzüglich über einen Antrag auf Erstellung und Vorlage in fremder Sprache entschieden hat oder höhere Gewalt es dem Steuerpflichtigen unmöglich gemacht hat, seine Pflichten rechtzeitig zu erfüllen.
3. Aufhebung von Verwaltungsregelungen
Das (IV B 4 - S 1341 - 1/05; BStBl 2005 I S. 570) ist weiterhin anzuwenden, soweit nicht Fragen der Anwendung der §§ 90 und 162 AO betroffen sind. Dies gilt insbesondere bezüglich der Textziffern
1 (entsprechende Anwendung des BMF-Schreibens auf Betriebsstätten),
2 (Pflichten der Finanzbehörden),
.2 (Unternehmenscharakterisierung und Verrechnungspreisbildung),
.3 (Verrechnungspreismethoden),
.5 (Bandbreiten und ihre Einengung),
.7 (Vergleichbarkeit),
.8 (Nachträgliche Preisfestlegungen bzw. -anpassungen),
.9 (Mehrjahresanalysen),
5 (Durchführung von Berichtigungen und ihre steuerliche Behandlung),
6 (Abwicklung von Verrechnungspreisberichtigungen und Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren) und
7 (Aufhebung von Verwaltungsregelungen).
BMF v. - IV B 5 - S
1341/19/10018 :001
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2020 I Seite 1325
AO-StB 2021 S. 18 Nr. 1
DStR 2020 S. 12 Nr. 50
IStR 2021 S. 320 Nr. 8
KÖSDI 2021 S. 22059 Nr. 1
WPg 2021 S. 41 Nr. 1
EAAAH-65921