Rechtsmittelrücknahme in Strafsachen: Rücknahmeerklärung durch schuldunfähigen Angeklagten; Befugnis zur Feststellung der Unzulässigkeit der Revision infolge wirksam erklärter Revisionsrücknahme
Gesetze: § 302 StPO, § 346 Abs 1 StPO, § 349 Abs 1 StPO, § 415 Abs 1 StPO, § 415 Abs 3 StPO
Instanzenzug: Az: 19 KLs 240 Js 19379/16
Gründe
I.
1Die Angeklagte ist durch wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in vier Fällen, Diebstahls in 14 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden, zudem ist ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden.
2Gegen dieses Urteil hat der Pflichtverteidiger der Angeklagten am fristgerecht „rechtswahrend“ Revision eingelegt. Am ist bei Gericht ein als „Einspruch“ bezeichnetes Schreiben der Angeklagten vom eingegangen, welches auf Überprüfung der vorläufigen Unterbringung gerichtet war. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger die Revision „namens und im Auftrag der Angeklagten“ zurückgenommen. Mit Beschluss vom hat das Landgericht der Angeklagten die Kosten der von ihr eingelegten und wieder zurückgenommenen Revision auferlegt.
3Nachdem die Angeklagte über die Rechtskraft des Urteils informiert worden war, hat sich am ihre sozialpädagogische Betreuerin bei Gericht gemeldet und erklärt, dass die Angeklagte mit der Rechtskraft nicht einverstanden sei, sie habe nicht gewollt, dass die Revision zurückgenommen werde, sie habe aber eine weitere Tätigkeit dieses Verteidigers nicht gewünscht, weswegen sie auch selber Revision eingelegt habe. Der Verteidiger hat auf Nachfrage des Landgerichts hierzu erklärt, er habe die Angeklagte am besuchen wollen, telefonisch habe sie erklärt, ihn nicht sehen zu wollen, auf seine Ankündigung, die Revision zurückzunehmen, habe sie mit „ja“ geantwortet. Im Rahmen einer späteren Besprechung habe sie auf den Vorhalt, dass sie Weisung zur Rücknahme erklärt habe, ausgeführt, dass sie doch selbständig Einspruch gegen das Urteil eingelegt habe.
4Unter anderem in einem am eingegangenen Schreiben der Angeklagten hat sie beantragt, ihren „rechtzeitig eingelegten Einspruch“ zu bearbeiten. Hierzu führt sie aus, den Einspruch vom „“ am „“ als Einschreiben versandt zu haben, so dass dieser am „ ... rechtzeitig“ angekommen sei.
5Der Pflichtverteidiger hat am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Angeklagte beantragt. Diesen Antrag hat das als unzulässig verworfen, wobei es Zweifel an dem Vorliegen einer Ermächtigung des Verteidigers zur Rücknahme geäußert hat. Gegen diese Entscheidung hat die Angeklagte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Dem Pflichtverteidiger ist das Urteil am zugestellt worden, worüber die Angeklagte eine Mitteilung mit Ausfertigung des Urteils nach § 145a Abs. 3 StPO erhalten hat. Mit Beschluss vom hat das Landgericht die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrem Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO.
II.
61. Der Antrag wurde fristgerecht gestellt und ist auch im Übrigen zulässig (zur erforderlichen Beschwer vgl. , NStZ 2005, 583 mwN).
72. Der Antrag ist begründet.
8a) Die Revision der Angeklagten wurde am durch ihren Verteidiger wirksam zurückgenommen, § 302 Abs. 1 StPO. Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 und vom - 3 StR 421/14).
9aa) Der Verteidiger war zur Rechtsmittelrücknahme ermächtigt. Im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung der Angeklagten vor. Für diese ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich - und auch telefonisch - erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 558/16; vom - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 f. und vom - 2 StR 461/94).
10Eine solche anwaltliche Versicherung lag in seiner Erklärung vom , er nehme die Revision namens und im Auftrag der Angeklagten zurück. Der Verteidiger hat im Einzelnen dargelegt, unter welchen Umständen ihn die Angeklagte bei dem Telefonat am ermächtigt hatte. Diese Angaben des Verteidigers ergeben ein schlüssiges Bild. Der Senat hat keinen Anlass, hieran zu zweifeln. Der Hergang wird auch von der Angeklagten nicht in Frage gestellt. Sie macht insoweit nur geltend, mit ihrer bejahenden Antwort auf die Frage des Verteidigers nach der Rücknahme etwas anderes bezweckt zu haben, nämlich dass dieser Verteidiger nicht mehr für sie tätig wird. Auch ihr Hinweis auf das vermeintlich fristgerecht von ihr selbst eingelegte Rechtsmittel belegt ihre Annahme, mit ihrem erklärten Willen zur Rücknahme nur das vom Anwalt eingelegte Rechtsmittel zu erfassen. Dies steht im Einklang mit dem auch in späteren Eingaben der Angeklagten zu Tage tretenden Begehren, über das von ihr eingelegte Rechtsmittel zu entscheiden.
11bb) Auch die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten unterliegt keinen Zweifeln, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ermächtigung zur Rücknahme bestehen. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts fest (vgl. ).
12Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung bzw. der Ermächtigung hierzu, in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird - wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt - allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (, NStZ-RR 2016, 180; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 302 Rn. 8a). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 368/07 mwN und vom - 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180).
13Nach diesem Maßstab hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Angeklagte bei Abgabe der Ermächtigung zur Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war. Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der Angeklagten zwar eine Schizophrenie festgestellt und die Voraussetzungen des § 21 StGB für gegeben erachtet, da die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zu den Tatzeiten erheblich vermindert gewesen sei. Für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung ist dies jedoch für sich genommen ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 und vom - 3 StR 368/07). Hierbei war zum einen zu berücksichtigen, dass Zweifel des Tatgerichts an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten nicht ersichtlich sind, ausweislich der Urteilsfeststellungen die Symptome der Krankheit bei der Angeklagten durch die medikamentöse Behandlung deutlich zurückgegangen sind. Zudem ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Angeklagten, noch aus den Erklärungen der Angeklagten gegenüber ihrem Verteidiger oder der sozialpädagogischen Betreuerin, dass sie in ihrer Freiheit der Willensentschließung und -betätigung beeinträchtigt gewesen war. Vielmehr belegen ihre Eingaben, dass die Angeklagte in der Lage ist, für ihre Interessen einzutreten und dabei die Bedeutungen ihrer Erklärungen zu erkennen. So hat sie sich immer wieder auf ihr Rechtsmittel vom bezogen und zutreffend geltend gemacht, dass sie als juristischer Laie keinen Überblick darüber haben könne, ob es Einspruch oder Revision heiße. Im Nachgang zu der Rücksprache der sozialpädagogischen Betreuerin bei Gericht am hat die Angeklagte dafür Sorge getragen, dass ihr unter dem Datum „“ verfasstes Schreiben per Fax an das Gericht geschickt wurde, um ihr Vorbringen einer eigenhändigen Rechtsmitteleinlegung zu untermauern. Sie hat persönlich sowohl gegen den fristgerecht Beschwerde eingelegt als auch gegen den Beschluss vom entsprechend der Rechtsmittelbelehrung noch am Tag des Erhalts des Beschlusses „Antrag zur Entscheidung beim Revisionsgericht“ gestellt.
14Danach stellt sich ihr Irrtum über die Reichweite der Ermächtigung zur Rücknahme und die Rechtzeitigkeit des eigenhändig eingelegten Rechtsmittels als ein Irrtum dar, dem rechtliche Fehlvorstellungen zugrunde liegen, nicht aber eine auf die schizophrene Erkrankung zurückgehende Beeinträchtigung der Willensbildung oder -betätigung (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 und vom - 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318). Ein Motivirrtum ist aber ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Ermächtigung ().
15b) Die Angeklagte hat die dem Verteidiger erteilte Ermächtigung auch nicht wirksam widerrufen. Dies wäre nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist (). Das von der Angeklagten selbstverfasste, als „Einspruch“ bezeichnete Schreiben ging zwar vor der Rücknahmeerklärung ein, jedoch lässt sich daraus ein Widerruf der zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens noch gar nicht erteilten Ermächtigung nicht entnehmen. An die danach wirksame Revisionsrücknahme ist die Angeklagte gebunden, die Rücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 558/16 und vom - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24). Durch die am erfolgte Rücksprache der sozialpädagogischen Betreuerin der Angeklagten bei Gericht konnte die Revisionsrücknahme daher nicht zurückgenommen werden.
16c) Der mit dem die Revision der Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, war aufzuheben. Die Unzulässigkeit der Revision infolge wirksam erklärter Revisionsrücknahme kann nur das Revisionsgericht feststellen (§ 349 Abs. 1 StPO). Für eine Entscheidung des Tatrichters nach § 346 Abs. 1 StPO ist daneben kein Raum (). Es verbleibt auch dann bei der alleinigen Befugnis des Revisionsgerichts, wenn dieser Unzulässigkeitsgrund mit hier ebenfalls gegebenen Mängeln der Form- oder Fristeinhaltung zusammentrifft (vgl. , NStZ-RR 2016, 24).
III.
171. Soweit das das Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig verworfen hat, war dieser Beschluss aufzuheben.
18Das Landgericht war für diese Entscheidung nicht zuständig, § 46 Abs. 1 StPO. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Ablehnung der Wiedereinsetzung durch das unzuständige Gericht nicht in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. hierzu RG, Beschluss vom - IV 1678/07, RGSt 40, 271), ist das Revisionsgericht an der Aufhebung eines durch das unzuständige Gericht erlassenen Beschlusses nicht gehindert (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 143/60 und vom - 4 StR 587/76; RReg. 1 St 322/61, NJW 1961, 1982; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 346 Rn. 32).
192. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war als unzulässig zu verwerfen.
20Der Wiedereinsetzung steht schon die wirksame und damit nicht widerrufbare oder anfechtbare Rücknahmeerklärung entgegen, die zum Verlust des Rechtsmittels führt (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 558/16 und vom - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24). Eine Wiedereinsetzung ist rechtlich ausgeschlossen und daher unzulässig (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318 und vom - 4 StR 293/99).
IV.
21Im Übrigen hätte das Rechtsmittel in der Sache keinen Erfolg. Angesichts der Besonderheiten des Tatgeschehens - die Angeklagte verschaffte sich u.a. wiederholt Zugang zu Studentenwohnheimzimmern, um diese als Schlafplatz zu nutzen sowie Lebensmittel und Wertgegenstände zu entwenden, wobei sie in einem Fall zur Ermöglichung ihrer Flucht eine hinzu tretende Geschädigte mit Faustschlägen attackierte - ist die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts, das auch auf die jenseits der angeklagten Taten von der Angeklagten begangenen Aggressionsdelikte abgestellt hat, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:200217B1STR552.16.0
Fundstelle(n):
XAAAG-53775