BGH Beschluss v. - 1 StR 327/19

Rechtsmittelrücknahmeerklärung durch Schuldunfähigen

Gesetze: § 302 Abs 1 S 1 StPO, § 302 Abs 2 StPO, § 20 StGB

Instanzenzug: LG Mosbach Az: 22 Js 6969/17 jug 11 KLs

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie hinsichtlich eines näher bezeichneten Mobiltelefons eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2Gegen dieses Urteil haben sowohl der Wahlverteidiger am als auch die Pflichtverteidigerin des Angeklagten am fristgerecht Revision eingelegt. Der Wahlverteidiger hat die von ihm eingelegte Revision mit der näher ausgeführten Sachrüge mit Schriftsatz vom begründet.

3Mit Schriftsatz vom , eingegangen bei Gericht am , hat die Pflichtverteidigerin des Angeklagten erklärt, dass sie die Revision „nach ausführlicher Rücksprache“ mit dem Angeklagten zurücknehme. Dieser Rücknahme hat der Wahlverteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom widersprochen. Er erachtet die Rücknahme für unwirksam, weil der Angeklagte unter Betreuung stand, die Betreuerin der Rücknahme nicht zugestimmt habe und der Angeklagte im Zeitpunkt der Rücknahme nicht verhandlungsfähig gewesen sei.

II.

4Die Revision des Angeklagten wurde durch seine Pflichtverteidigerin wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 StPO). Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. Rn. 8 mwN).

51. Die Verteidigerin war zur Rechtsmittelrücknahme ermächtigt. Im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten vor. Für diese ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 552/16 Rn. 9 und vom - 1 StR 112/15 Rn. 10).

6Eine solche anwaltliche Versicherung enthielt die Erklärung der Verteidigerin vom . Die Rücknahme erfolgte „nach ausführlicher Rücksprache“ mit dem Mandanten, so dass die Verteidigerin zur Rücknahme ausdrücklich ermächtigt war.

72. Auch die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten unterliegt keinem Zweifel, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ermächtigung zur Rücknahme bestehen.

8a) Der Wirksamkeit der Rücknahme steht nicht entgegen, dass der Angeklagte unter Betreuung stand (vgl. insoweit auch Rn. 9). Ausweislich des vom Wahlverteidiger vorgelegten Betreuerausweises bedarf der Angeklagte für die Wirksamkeit von Willenserklärungen gegenüber Behörden nicht der Einwilligung der gesetzlichen Betreuerin.

9b) Auch bestehen an der prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten keine Zweifel. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts fest ( Rn. 11 mwN).

10aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung bzw. der Ermächtigung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- und Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 552/16 Rn. 12 und vom - 4 StR 491/15 Rn. 6; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 302 Rn. 8a mwN). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu Lasten des Angeklagten (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 552/16 Rn. 12 und vom - 3 StR 368/07 Rn. 6 mwN).

11bb) Nach diesen Maßstäben hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Angeklagte bei Abgabe der Ermächtigung zur Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war. Das sachverständig beratene Landgericht hat beim Angeklagten zwar eine leichte Intelligenzminderung und eine undifferenzierte, zu den Tatzeiten vollständig remittierte Schizophrenie festgestellt, ist aber von einer vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Weder die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten noch seine Steuerungsfähigkeit seien im Tatzeitraum aufgehoben gewesen und es seien sowohl vom Angeklagten selbst als auch von den Zeugen keinerlei Tatsachen geschildert worden, die eine fehlende oder eingeschränkte Willensfreiheit begründen könnten.

12c) Die durch die Pflichtverteidigerin erklärte Rechtsmittelrücknahme ist daher wirksam und als Prozesshandlung weder widerruflich noch anfechtbar. Sie erstreckt sich auch auf die vom Wahlverteidiger des Angeklagten eingereichte Rechtsmittelerklärung (, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 15).

III.

13Im Übrigen hätte das Rechtsmittel auch in der Sache keinen Erfolg.

14Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in vier tatmehrheitlichen Fällen. Dieser beruht auf einer umfassenden und nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Landgerichts. Auch die Rechtsfolgenentscheidung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:081019B1STR327.19.0

Fundstelle(n):
ZAAAH-39670