BGH Beschluss v. - 2 StR 469/22

Revisionsrücknahme: Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung bei festgestellter Schizophrenie des Angeklagten

Gesetze: § 302 Abs 1 S 1 StPO, § 415 Abs 1 StPO, § 415 Abs 3 StPO, § 20 StGB, § 21 StGB

Instanzenzug: Az: 50 KLs 32/21

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen hat die Pflichtverteidigerin des Angeklagten fristgerecht Revision eingelegt und mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Mit Schreiben vom hat der Angeklagte erklärt, „nach reiflicher Überlegung“ die Revision zurückzunehmen und eine Abschrift dieser Erklärung seiner Verteidigerin zukommen zu lassen. Mit Schriftsatz vom hat die Pflichtverteidigerin eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung beantragt.

II.

2Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. Rn. 8 mwN).

31. Dabei ist ohne Bedeutung, dass das Rechtsmittel von der Verteidigerin eingelegt wurde, die Rücknahme indes der Angeklagte selbst erklärt hat (vgl. § 297 StPO; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 368/07; vom – 5 StR 531/13 jeweils mwN). Die Rücknahmeerklärung wahrt auch die hierfür erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 302 Rn. 7 mwN). Sie ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils gerichtet.

42. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bei Abgabe der Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war.

5a) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Einl. Rn. 97, § 302 Rn. 8a). Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt – allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 302 Rn. 8a mwN). Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung – wie ausgeführt – erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 368/07; – 1 StR 327/19, jeweils mwN). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341; vom – 3 StR 368/07 mwN; vom – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180; vom – 1 StR 327/19). Wenn während der Verhandlung das Tatgericht keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von dem Sachverständigen oder dem Verteidiger nicht geäußert wurden, kann die Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318 und vom – 4 StR 405/12, NStZ-RR 2013, 154, jeweils mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 302 Rn. 8a).

6b) Daran gemessen hat der Senat keine Zweifel an der Verhandlungs- und prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Rücknahmeerklärung.

7aa) Das Schreiben des Angeklagten vom gibt keine Hinweise darauf, der Angeklagte könne Inhalt und Bedeutung der Rücknahmeerklärung verkannt haben. Anhaltspunkte für eine unzulässige Willensbeeinflussung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

8bb) Zwar hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine krankhafte seelische Störung in Form einer Schizophrenie festgestellt, die zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zur Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat. Dadurch wird jedoch die nach anderen Grundsätzen zu beurteilende prozessuale Fähigkeit, sich sachgerecht verteidigen und Verfahrenshandlungen in ihrer Wirkung und Bedeutung zu erfassen, nicht in Frage gestellt. Weder aus dem Protokoll der Hauptverhandlung noch den Urteilsgründen ergeben sich Hinweise darauf, dass Bedenken an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden haben. Er hat aktiv an der an acht Sitzungstagen durchgeführten Hauptverhandlung mitgewirkt, indem er sich mehrfach zu Person und Sache eingelassen und – nach Rücksprache mit seiner Verteidigung – prozessuale Erklärungen zur Verlesung von Protokollen oder zum Verzicht auf persönliche Vernehmung von Zeugen abgegeben hat.

9cc) Der Wirksamkeit der Rücknahme steht nicht entgegen, dass der Angeklagte unter Betreuung stand und der Betreuer, dessen Aufgabenkreis nicht auch die Vertretung in Strafsachen umfasst, der Rücknahme der Revision widersprochen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 327/19; – 1 StR 369/13, StraFo 2013, 469; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 302 Rn. 3 i.V.m. § 298 Rn. 1 mwN).

10dd) Eine Anfechtung der Rücknahme wegen Motivirrtums ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen; die Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341; vom – 5 StR 314/14; vom – 2 StR 103/15 jeweils mwN; MüKo-StPO/Allgayer, § 302 Rn. 35). Soweit der Angeklagte nach dem Vorbringen der Pflichtverteidigerin die Rücknahme aufgrund von unzutreffenden Überlegungen über deren Folgen erklärt hat, handelt es sich um etwaige Beweggründe, die nicht auf einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit beruhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 29/22, StV 2023, 210; vom – 3 StR 595/19, StraFo 2020, 458, 459).

113. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

III.

12Im Übrigen hätte das Rechtsmittel auch in der Sache keinen Erfolg; es wäre aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:230523B2STR469.22.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-44594