BGH Beschluss v. - 1 StR 389/16

Steuerhinterziehung durch Nichteinreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung: Beendigung der Tat mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts; Voraussetzungen für die allgemeine Verlängerung der Abgabefrist; Strafschärfung wegen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe nach Tatbeendigung

Gesetze: § 46 Abs 1 StGB, § 109 AO, § 149 Abs 2 AO vom , § 370 Abs 1 Nr 2 AO

Instanzenzug: LG München II Az: W5 KLs 69 Js 26346/11

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im Hinblick auf eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von sechs Jahren vier Monaten und zwei Wochen hat es angeordnet, dass von der Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Verfolgungsverjährung ist für die verfahrensgegenständliche Tat der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 18 Abs. 3 UStG) nicht eingetreten.

3Die zunächst fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) wurde durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens am gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wirksam unterbrochen. Sie verlängerte sich vor ihrem Ablauf mit dem Inkrafttreten des § 376 Abs. 1 AO am auf zehn Jahre (Art. 97 § 23 EGAO), weil die Tat die Voraussetzungen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfüllte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 73/13, BGHR AO § 376 Abs. 1 Verjährungsfrist 1 und vom - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471). Durch die Erhebung der Anklage am wurde die zehnjährige Verjährungsfrist nochmals unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB).

42. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch und hinsichtlich der Kompensation für die festgestellte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

53. Demgegenüber hat der Strafausspruch keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO).

6a) Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht strafschärfend herangezogen, dass der Angeklagte „bei Tatbeendigung am bereits mehrfach vorbestraft“ gewesen sei. Es hat hierbei ausdrücklich zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass ihn auch eine Verurteilung durch das Amtsgericht Ebersberg vom zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung (UA S. 5) nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten habe (UA S. 19). Die verfahrensgegenständliche Tat der Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2002 durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 18 Abs. 3 UStG) war jedoch bereits mit Ablauf des beendet. Sie stellt daher bezogen auf die erst danach ergangene Verurteilung durch das Amtsgericht Ebersberg keinen Bewährungsbruch dar. Dies ergibt sich aus folgendem:

7aa) Der Angeklagte, der ein Einzelunternehmen für Reinigungsservice betrieb, war gemäß § 18 Abs. 3 UStG verpflichtet, für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben. In diese hatte er neben der Umsatzsteuer auf getätigte Umsätze auch die Umsatzsteuer aufzunehmen, die sich aus von ihm unter gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellten Scheinrechnungen ergab (§ 14 Abs. 3 UStG aF).

8bb) Die gesetzliche Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung endete gemäß § 149 Abs. 2 AO aF am . Entgegen der Auffassung des Landgerichts hatte sich diese Frist für den Angeklagten nicht „aufgrund seiner steuerlichen Vertretung“ (UA S. 6) gemäß § 109 Abs. 1 AO bis zum verlängert.

9Allerdings hätte sich das Fristende für die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2002 aufgrund Nr. 2 Abschnitt II Abs. 1 der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom (BStBl. I 2003, 67) gemäß § 109 AO auf den verschoben, wenn der Angeklagte einen Vertreter der steuerberatenden Berufe mit der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 beauftragt hätte. Denn diese Regelung enthält eine allgemeine Fristverlängerung für den Fall, dass („sofern“) die Steuererklärung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe i.S.v. §§ 3 und 4 Nr. 3 und 8 StBerG angefertigt wird (vgl. , BGHR AO § 109 Abs. 1 Fristverlängerung 1 mwN; , BFH/NV 2010, 2232; Urteil vom - X R 24/95, BFHE 192, 32; Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., § 109 Rn. 5 und § 149 Rn. 14; Jäger in Klein aaO § 370 Rn. 72b).

10Die Voraussetzungen der Fristverlängerung lagen bei dem Angeklagten im Hinblick auf die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 indes nicht vor. Für die allgemeine Verlängerung der Abgabefrist für Steuererklärungen aufgrund der genannten Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder genügte es nicht, dass der Angeklagte „in den Vorjahren steuerlich beraten war“ (UA S. 17). Vielmehr wäre erforderlich gewesen, dass ein Vertreter der steuerberatenden Berufe mit der Anfertigung gerade dieser Steuererklärung beauftragt war. Nach den Feststellungen des Landgerichts war dies aber nicht der Fall.

11cc) Da der Angeklagte bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist am (§ 149 Abs. 2 AO aF) für das Jahr 2002 keine Umsatzsteuerjahreserklärung einreichte, ließ er im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis. Mit Ablauf dieser Frist wurde zugleich die Umsatzsteuer verkürzt, weil die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO). Damit war die vom Angeklagten verwirklichte Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts am vollendet und zugleich auch beendet (vgl. dazu , wistra 2011, 346 sowie Jäger in Klein, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 105 und 202).

12b) Der Strafausspruch beruht auf dem Wertungsfehler des Landgerichts, das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom als Vorverurteilung anzusehen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht für die verfahrensgegenständliche Tat eine niedrigere Strafe als eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hätte, wenn es bezogen auf das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg nicht von einem Bewährungsbruch ausgegangen wäre.

134. Die Urteilsfeststellungen sind von dem Wertungsfehler bei der Strafzumessung nicht betroffen und haben daher Bestand. Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

145. Die Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht im Strafausspruch lässt die angeordnete Kompensation für die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung - auch wenn diese angesichts eines Zeitablaufs von mehr als zwölf Jahren zwischen der Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und dem Beginn der Hauptverhandlung eher gering ausgefallen ist - unberührt (vgl. , BGHSt 54, 135; Beschlüsse vom - 1 StR 402/15, wistra 2016, 357 und vom - 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115). Etwaige weitere Verzögerungen wird das neue Tatgericht gegebenenfalls ergänzend zu berücksichtigen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:081216B1STR389.16.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2017 S. 147 Nr. 5
BFH/NV 2017 S. 718 Nr. 5
PStR 2017 S. 103 Nr. 5
wistra 2017 S. 234 Nr. 6
SAAAG-39162