BGH Beschluss v. - IX ZB 29/13

Gesamtvollstreckungsverfahren im Beitrittsgebiet: Befugnis des Verwalters zur Einberufung einer Gläubigerversammlung zwecks Beschlussfassung über die Entlassung des Sonderverwalters

Leitsatz

Der Verwalter ist nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, in welcher über die Abberufung eines Sonderverwalters und die Aufhebung der Sonderverwaltung beschlossen werden soll.

Gesetze: § 8 Abs 1 S 2 GesO, § 15 Abs 1 S 2 GesO, § 59 Abs 1 S 2 InsO, § 75 Abs 1 Nr 1 InsO

Instanzenzug: Az: 08 T 237/12 Beschlussvorgehend Az: 91 N 654/94

Gründe

I.

1Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Verwalter) ist Verwalter in dem am eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der E.                     AG. Im November 1999 zahlte er 1.483.164 DM (758.329,71 €) an die Sozialplangläubiger aus. Dieser Betrag überstieg ein Drittel des zu verteilenden Erlöses (vgl. § 17 Abs. 3 Nr. 1c GesO). Mit Beschluss vom wurde der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: Sonderverwalter) zum Sonderverwalter bestellt und beauftragt, aus der Zahlung folgende Schadensersatzansprüche der Masse gegen den Verwalter zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.

2Der Verwalter holte ein Rechtsgutachten eines Hochschullehrers zu den Fragen ein, welche Kompetenzen der Gläubigerversammlung hinsichtlich der Sonderverwaltung zustünden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Sonderverwalter der Masse schadensersatzpflichtig werden könne und ob auch das Gesamtvollstreckungsgericht zu Schadensersatz verpflichtet sei. Mit Schriftsatz vom hat er die Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragt, die über folgende Tagesordnungspunkte beschließen soll:

1. Verweigerung der Zustimmung der Klageerhebung des Sonderverwalters gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter wegen Schadensersatz mit einem vorläufigen Streitwert von 758.329,71 € gemäß Klageentwurf vom .

2. Beendigung der Sonderverwaltung und Entlassung des Sonderverwalters Rechtsanwalt Dr. S.   .

3Der Gläubigerausschuss, welcher der Auszahlung im Jahre 1999 zugestimmt hatte, hat einen gleichlautenden Antrag gestellt. Das Gesamtvollstreckungsgericht hat auf den Antrag des Gläubigerausschusses eine Gläubigerversammlung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt "Erhebung einer Schadensersatzklage durch den Sonderverwalter" anberaumt, den Antrag des Verwalters jedoch wegen fehlender Antragsbefugnis abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Verwalters, mit welcher dieser die Einberufung einer Gläubigerversammlung zum Thema "Beendigung der Sonderverwaltung und Entlassung des Sonderverwalters" erreichen wollte, ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Verwalter diesen Antrag weiter.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil die Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach § 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. , WM 2004, 490 f; vom - IX ZB 269/03, WM 2005, 1610, 1611), und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt (vgl. ZIP 2013, 1782): Das Recht des Gesamtvollstreckungsverwalters, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, sei auf seine Aufgaben im Verfahren beschränkt und diene nicht der Wahrnehmung der Interessen Dritter. Diejenigen Aufgaben, die dem Sonderverwalter übertragen worden seien, gehörten nicht zu den Aufgaben des Verwalters. Überdies liege die angestrebte Beschlussfassung außerhalb der Kompetenz der Gläubigerversammlung. Die Gesamtvollstreckungsordnung räume dieser nicht das Recht ein, die Abberufung des Verwalters zu beantragen.

62. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

7a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Gläubigerversammlung zwar auch im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung befugt, die Abberufung eines gerichtlich bestellten Sonderverwalters zu beantragen oder wenigstens anzuregen. Die für die Abberufung des Gesamtvollstreckungsverwalters geltende, auf den Sonderverwalter entsprechend anzuwendende (vgl. , WM 2007, 607 Rn. 21 ff; vom - IX ZB 187/08, WM 2009, 565 Rn. 4 f zur entsprechenden Anwendung des § 59 InsO auf den Sonderinsolvenzverwalter) Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO steht nicht entgegen.

8Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO kann der Verwalter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vom Gericht abberufen werden. Anders als nach § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ist die Entlassung des Verwalters nicht von einem Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses abhängig. Schon ihrem Wortlaut nach verbietet die Vorschrift der Gläubigerversammlung nicht, sich mit der Frage zu befassen, ob die Abberufung des Verwalters oder des Sonderverwalters beantragt oder angeregt werden soll. Dass sie - anders als nunmehr § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO - die Abberufung auf Antrag der Gläubigerversammlung, des Gläubigerausschusses oder des Verwalters selbst nicht einmal erwähnt, lässt den Schluss darauf, dass solche Anträge unzulässig seien, ebenfalls nicht zu. Der Senat hat wiederholt den fragmentarischen Charakter der Gesamtvollstreckungsordnung hervorgehoben. Bei ihrer Auslegung ist besonders zu beachten, dass der Gesetzgeber, um den knappen Formulierungsstil der Gesamtvollstreckungsverordnung der ehemaligen DDR beizubehalten, bei umfangreichen Regelungen des übernommenen Konkursrechts in der Regel nur die Grundnorm übernommen hat. Gleiches gilt, soweit bei der Änderung und Ergänzung der Gesamtvollstreckungsverordnung wichtige Grundgedanken der Insolvenzrechtsreform, die zu jenem Zeitpunkt bereits in einem Referentenentwurf niedergelegt waren, in das für die neuen Bundesländer geschaffene Übergangsrecht übernommen worden sind (vgl. , BGHZ 142, 208, 210). Der im Jahre 1989 vom Bundesministerium der Justiz als Sonderdruck veröffentlichte Referentenentwurf sah in § 66 Abs. 1 Satz 2 eine dem heutigen § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende Regelung vor.

9Die Insolvenzordnung weicht bewusst von § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ab, indem sie in § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO vorsieht, dass die Entlassung des Verwalters (auch) von Amts wegen erfolgen kann. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 70) hatte die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 KO den Nachteil, dass ein Verwalter auch bei schweren Pflichtverletzungen oder offensichtlicher Amtsunfähigkeit nicht sofort abberufen werden konnte, sondern insbesondere dann, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt worden war, noch längere Zeit im Amt blieb. Zudem bestand die Gefahr, dass ein Verwalter, der in unredlicher Absicht bestimmte Gläubiger begünstigte, deshalb nicht aus seinem Amt entfernt werden konnte, weil wegen des Widerstandes des begünstigten Gläubigers ein Entlassungsantrag nicht zustande kam. Die Insolvenzordnung räumt dem Insolvenzgericht daher die Möglichkeit ein, den Verwalter während des gesamten Verfahrens von Amts wegen zu entlassen. Die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO, die im Vorgriff auf die zu erwartende bundesweit geltende Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO und in Anlehnung an diese geschaffen wurde, wird in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs als Muster einer derartigen Befugnis bezeichnet. Dass sie - anders als § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO - die Möglichkeit eines Antrags des Verwalters, des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung nicht erwähnt, heißt nicht, dass derartige Anträge unzulässig sind.

10Die Sonderverwaltung dient oft - wie auch im vorliegenden Fall - dazu, einen Schadensersatzanspruch der Masse gegen den Verwalter geltend zu machen, was dem einzelnen Gläubiger verwehrt ist (vgl. , BGHZ 159, 25, 26; vom - IX ZR 301/12, WM 2014, 2009 Rn. 11). Die Gläubiger müssen die Bestellung eines Sonderverwalters beantragen oder jedenfalls anregen dürfen; da sie nur als Gläubigerversammlung handlungsfähig sind, setzt dies eine Gläubigerversammlung voraus, bei welcher die Frage der Sonderverwaltung auf der Tagesordnung steht. Ebenso ist die Gläubigerversammlung befugt, Stellung zu der Frage zu nehmen, ob ein vom Sonderverwalter ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden soll. Im Urteil vom (aaO Rn. 15) hat der Senat dies als selbstverständlich vorausgesetzt. Ebenso selbstverständlich kann die Gläubigerversammlung Beschlüsse dazu fassen, ob die Entlassung des Verwalters oder des Sonderverwalters - oder etwa aus Kostengründen - die Aufhebung der Sonderverwaltung beantragt oder jedenfalls angeregt werden soll. Darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das Gericht und der Sonderverwalter an Beschlussfassungen der Gläubigerversammlung gebunden sind, ist hier nicht zu entscheiden, weil es lediglich um die Frage einer zulässigen Tagesordnung geht.

11b) Im Ergebnis kommt es auf diese Frage nicht an. Der Verwalter ist nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung mit dem Ziel zu beantragen, über die Amtsführung des Sonderverwalters, über die Entlassung des Sonderverwalters aus dem Amt oder über die Beendigung der Sonderverwaltung beschließen zu lassen.

12aa) Nach § 15 GesO wird die Gläubigerversammlung durch das Gericht einberufen. Sie muss einberufen werden, wenn das vom Verwalter beantragt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 GesO). Die Vorschrift ist derjenigen des § 93 Abs. 1 Satz 2 KO nachgebildet. Der Antrag des Verwalters ist bindend; ein Ermessensspielraum steht dem Gericht nicht zu. Auch Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Eine entsprechende Regelung enthält § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

13bb) Der Sonderverwalter wird jedoch in Fällen bestellt, in welchen der Verwalter seine Aufgaben aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht wahrnehmen kann (so die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs zu § 77 InsO-E, BT-Drucks. 12/2443, S. 131; vgl. auch , WM 2007, 609 Rn. 9). Die Verwaltungstätigkeit des Verwalters wird hierdurch nicht eingeschränkt, weil der Sonderverwalter in einem Bereich tätig wird, der nicht zu den Aufgaben des Verwalters gehört. Das gilt insbesondere in dem hier gegebenen Fall, in welchem der Sonderverwalter Ersatzansprüche der Gläubigergesamtheit gegen den Verwalter geltend machen soll. Der Verwalter ist insoweit nicht "Verwalter" im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Konkursordnung, der Gesamtvollstreckungsordnung oder der Insolvenzordnung, hier also des § 15 Abs. 1 Satz 2 GesO. Er hat in dem Bereich, für welchen die Sonderverwaltung eingerichtet worden ist, keinerlei Kompetenzen. Damit ist er nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 GesO befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen.

14Der Ausschluss jeglicher Befugnisse des Verwalters im Hinblick auf die Sonderverwaltung führt zu sachgerechten, die Interessen aller Beteiligten berücksichtigenden Ergebnissen. Die Sonderverwaltung wird im Interesse der Gläubigergesamtheit angeordnet, welcher an der ungestörten und zügigen Erledigung der dem Sonderverwalter gestellten Aufgaben, insbesondere der Klärung der etwa gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe gelegen sein muss. Dem Verwalter steht mangels Betroffenheit in eigenen Verfahrensrechten und im Interesse einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens kein Rechtsmittel gegen die Einsetzung eines Sonderverwalters zu (vgl. , WM 2007, 609 Rn. 6 ff, 10; vom - IX ZB 187/08, WM 2009, 565 Rn. 7). Er ist nicht berechtigt, entsprechend § 59 Abs.1 InsO die Abberufung des Sonderverwalters zu beantragen (, WM 2007, 607 Rn. 26 f). Anträge auf Einberufung einer Gläubigerversammlung, in welcher über die Aufhebung der Sonderverwaltung oder die Entlassung des Sonderverwalters beschlossen werden soll, können die Arbeit des Sonderverwalters ebenfalls verzögern, erschweren oder - wenn so die Verjährung des geltend zu machenden Anspruchs eintritt - vollends unmöglich machen. Es ist nur folgerichtig, dem Verwalter dieses verfahrensrechtliche Instrument nicht in die Hand zu geben. Die Rechte des Verwalters, sich gegen unberechtigte Vorwürfe zu verteidigen, werden hierdurch nicht unbillig eingeschränkt. Die Berechtigung der gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe kann dann, wenn hierzu unterschiedliche Ansichten bestehen, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten eingehend geprüft werden.

Kayser                         Vill                     Lohmann

                 Fischer                    Pape

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1345 Nr. 23
BB 2015 S. 1426 Nr. 24
DB 2015 S. 6 Nr. 22
DStR 2015 S. 12 Nr. 22
NJW-RR 2015 S. 1397 Nr. 22
WM 2015 S. 1065 Nr. 22
ZIP 2015 S. 1076 Nr. 22
PAAAE-90964