Oberfinanzdirektion Karlsruhe - G 1102/11 – St 344

Grundsteuer;
Wohnungsbegriff nach § 5 Abs. 2 GrStG i. V. mit Antrag auf Befreiung nach § 3 Abs 1 Nr. 3a GrStG

Zur Frage, ob die in einem ansonsten nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 GrStG steuerbefreiten Wohnheim eingerichteten Wohnbereiche der Grundsteuer zu unterwerfen sind, bitte ich Folgendes zu beachten:

Dient Grundbesitz, der für steuerbegünstigte Zwecke benutzt wird, zugleich Wohnzwecken, gilt die Befreiung für Wohnräume, wenn der steuerbegünstigte Zweck nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 GrStG nur durch ihre Überlassung erreicht werden kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 GrStG). Hieraus folgt, dass Räume, die objektiv als Wohnung zu beurteilen sind, ihre Eigenschaft nicht dadurch verlieren, dass ihre Überlassung zu Wohnzwecken im Rahmen einer pflegerischen bzw. therapeutischen Gesamtkonzeption erfolgt (, BFH/NV 2006, S. 1707).

Der Begriff der Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG knüpft an den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff an. Danach ist unter Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Hierzu ist es erforderlich, dass die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit, Bad oder Dusche und Toilette vorhanden und – für Bewertungsstichtage ab  – die als Wohnung in Betracht kommenden Räumlichkeiten gegenüber anderen Wohnungen oder Räumen baulich getrennt sind und somit eine in sich geschlossene Wohneinheit mit eigenem Zugang bilden.

Außerdem müssen die zu einer Wohneinheit zusammengefassten Räume eine bestimmte Mindestwohnfläche aufweisen.

Ist die Führung eines selbständigen Haushalts in einer solchen in sich abgeschlossenen Wohneinheit objektiv möglich, ist diese Einheit auch dann als Wohnung zu beurteilen, wenn sie baulich nicht auf die typischen Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten ist oder mehrere Bewohner darin tatsächlich keinen gemeinsamen Haushalt führen.

Zu der Frage, welche Mindestwohnfläche für die Annahme einer Wohnung in einem Studentenwohnheim erforderlich ist, haben die für bewertungsabhängige Steuern und Verkehrssteuern zuständigen Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder anlässlich ihrer Sitzung vom 13. bis (TOP I/6, Bew I/12) beschlossen, für Zwecke der Einheitsbewertung und Grundsteuer die Entscheidung des ( BStBl. 1990 II, S. 705) auch weiterhin anzuwenden. Danach ist für die Annahme einer Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG eine Wohnfläche von mindestens 20 m2 erforderlich. Zur Mindestgröße einer Wohnung im Bewertungs- und Grundsteuerrecht vergleiche auch Bew – Kartei zu § 75 BewG Karte 15.

Die mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG v.  ( BGBl. 2008 I, S. 3018) in § 181 Abs 9 Satz 4 BewG aufgenommene Regelung, wonach Wohnflächen mindestens 23 m2 betragen müssen, betrifft den Wohnungsbegriff – entsprechend der Überschrift des sechsten Abschnitts des Bewertungsgesetzes – nur für eine Bewertung zu Zwecken der Erbschaftsteuer ab dem und ist somit auf die Bewertung von Alten- u. Studentenwohnheime für Grundsteuerzwecken nicht übertragbar.

Grundsätzlich ist die Frage des Vorliegens einer Wohnung im steuerrechtlichen Sinn anhand der örtlichen Gegebenheiten zu beurteilen. Auf die in der Anlage angeführte Rechtsprechung, die ggf. bei Studentenwohnheimen zu prüfen ist, wird verwiesen.

Gegebenenfalls ist eine Fehlerfortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG durchzuführen.

Anlage Ergangene BFH-Entscheidungen in chronologischer Reihenfolge

  • , BStBl 1985 II, 151

    Leitsatz:

    Für die Beurteilung der Frage, ob die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllt, ist jedenfalls für Stichtage ab wesentlich, dass diese Zusammenfassung von Räumen eine von anderen Wohnungen oder Räumen, insbesondere Wohnräumen, baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit bildet. Grundsätzlich müssen die Räume Wohnzwecken dienen oder zu dienen bestimmt sein. Es muss ein eigener Zugang bestehen. Darüber hinaus müssen die Räume eine bestimmte Mindestfläche aufweisen. Außerdem ist grundsätzlich erforderlich, dass die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Nebenräume wie Küche, zumindest ein Raum mit Kochgelegenheit, ein Bad oder eine Dusche und eine Toilette vorhanden sind.

  • , BStBl 1985 II, 582

    Leitsatz:

    1. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (, BFHE 126, 565, BStBl 1979 II, 255) fest, wonach eine Mehrheit von Räumen jedenfalls dann nicht als Wohnung i. S. des § 75 Abs. 5 und 6 BewG angesehen werden kann, wenn die Gesamtfläche weniger als 23 qm beträgt.

  • , BStBl 1987 II, 306

    Leitsatz:

    1. Kleinstappartements in Studentenwohnheimen mit 15,70 qm bis 16,50 qm Gesamtfläche sind keine Wohnungen i. S. von § 5 Abs. 2 GrStG.

    Orientierungssatz

    1. Der Begriff Wohnung in § 5 Abs. 2 GrStG ist grundsätzlich in gleicher Weise auszulegen, wie ihn die ständige Rechtsprechung des BFH zum Bewertungsrecht ausgelegt hat (vgl. ).

  • , BStBl 1990 II, 705

    Leitsatz:

    1. Eine Wohneinheit, bestehend aus einem Wohn-Schlafraum, Bad/WC und einem Flur, von insgesamt mindestens 20 qm, die sich in einem Appartementhaus (hier: Studentenwohnheim) befindet, ist eine Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG.

    Orientierungssatz

    1. Unter einer Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG ist die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Dazu ist u. a. erforderlich, dass die abgeschlossene Wohneinheit eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet. Unter welcher Voraussetzung eine selbständige Haushaltsführung möglich ist und welche Fläche mindestens vorhanden sein muss, entscheidet sich nach der Verkehrsauffassung (vgl. ständige BFH-Rechtsprechung zum Begriff „Wohnung” im Bewertungsrecht).

  • (NV), BFH/NV 1994, 410

    Leitsatz:

    1. Ein Einzelappartement in einem Studentenwohnheim mit einer Gesamtfläche von 30 qm, bestehend aus einem ca. 25 qm großen Wohn-/Schlafraum mit Küchenecke sowie Flur und Bad mit Toilette, das durch eine Abschlusstür von anderen Räumen getrennt ist, stellt eine Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG dar.

    2. Ein in einem Studentenwohnheim gelegenes Zwei-Zimmer-Appartement, bestehend aus zwei ca. 11 qm großen Wohn-/Schlafräumen, einem Flur mit Kochecke und einem Sanitärraum mit Dusche und Toilette, das durch eine Flurabschlusstür von anderen Räumen getrennt ist, ist auch dann als Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG anzusehen, wenn es an zwei Studenten getrennt vermietet wird.

    Entsprechendes gilt für baulich abgeschlossene Drei-Zimmer-Appartements (bestehend aus drei Wohn-/Schlafräumen, einem gemeinsamen Gruppenwohnraum, Flur, Küchenraum, Badezimmer mit Toilette) und Vier-Zimmer-Appartements (bestehend aus vier Wohn-/Schlafräumen, Flur, Küchenraum und Bad mit Toilette).

  • , BStBl 1994 II, 415

    Leitsatz:

    1. Ein während des ganzen Jahres nutzbares Ferienhaus, dessen Wohnfläche 49 qm beträgt und das neben einem Aufenthaltsraum mit Küchenzeile ein Bad und drei Schlafräume enthält, stellt eine Wohnung i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG dar. Dabei ist ohne Belang, dass die jeweiligen Bewohner bedürftigen Bevölkerungskreisen angehören, häufig wechseln und das Ferienhaus nur vorübergehend –zu Erholungszwecken– nutzen.

  • , BStBl 1999 II, 496

    Leitsatz:

    1. Wohnungen sind auch dann nicht von der Grundsteuer befreit, wenn sie einer gemeinnützigen Körperschaft gehören und von dieser zu steuerbegünstigten Zwecken verwendet werden. Räume, die objektiv als Wohnung zu beurteilen sind, verlieren diese Eigenschaft nicht dadurch, dass ihre Überlassung zu Wohnzwecken im Rahmen einer pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption erfolgt.

    Orientierungssatz

    1. Zum Begriff der Wohnung. Die nach der Rechtsprechung des BFH zum Bewertungsrecht entwickelte typologische Umschreibung des Wohnungsbegriffs gilt entsprechend auch für den Wohnungsbegriff i. S. des § 5 Abs. 2 GrStG.

    2. Bei der Beurteilung, ob eine Wohnung in diesem Sinne vorliegt, ist auf die objektive bauliche Gestaltung abzustellen. Unbeachtlich ist, ob subjektiv aus der Sicht des einzelnen Nutzers, diesem ein alle Voraussetzungen des Wohnungsbegriffs erfüllender Raum ausschließlich zur Verfügung steht (hier: Patienten in einem Wohnheim).

    3. Der Eigenschaft als Wohnung steht es nicht entgegen, dass die Raumeinheiten baulich nicht auf die typischen Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten sind. Der Wohnungsbegriff verlangt auch nicht, dass ein gemeinsames Wohnzimmer vorhanden sein muss.

    4. Werden in ein Wohnheim Personen mit dem Ziel aufgenommen, dass sie im Rahmen einer Betreuung wieder eine Selbständigkeit erlangen, die ihnen ein Leben ohne medizinische, psychologische und organisatorische Hilfe ermöglicht, so steht dies dem Aspekt der Nutzung von Raumeinheiten auf Dauer zur Führung eines selbständigen Haushalts nicht entgegen.

    5. Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, nach welcher der Wohnzweck kein steuerbegünstigter Zweck i. S. des GrStG ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz ().

Oberfinanzdirektion Karlsruhe v. - G 1102/11 – St 344

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
VAAAE-08860