Richterablehnung: Entscheidung über Ablehnungsgesuch durch das Gericht selbst; dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters
Leitsatz
1. Die Zugrundelegung einer der Partei ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO), wenn ein Gericht über ein Ablehnungsgesuch selbst entschieden hat .
2. Zur dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO .
Gesetze: § 42 Abs 2 ZPO, § 44 Abs 3 ZPO
Instanzenzug: Az: V ZR 8/10 Beschlussvorgehend Az: V ZR 8/10 Beschlussvorgehend Az: I-31 U 143/07 Urteilvorgehend LG Bochum Az: 1 O 31/06
Gründe
I.
1Der Kläger hat für das Verfahren einer bereits eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Der Senat hat diesen Antrag durch die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Stresemann und Dr. Czub mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben und zudem geltend gemacht, es bestehe Misstrauen gegen die Unparteilichkeit "des Senates, namentlich gegen die Richter am BGH Krüger, Lemke, Schmidt-Räntsch, Stresemann und Czub". Ferner hat er beantragt, ihm "nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch" einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten als Notanwalt beizuordnen.
2Mit Beschlüssen vom hat der Senat in der o.g. Besetzung das Ablehnungsgesuch als unzulässig und die Anhörungsrüge teils als unzulässig, teils als unbegründet zurückgewiesen. In dem das Ablehnungsgesuch betreffenden Beschluss heißt es, es liege ein eindeutig unzulässiges Gesuch vor, bei dem die abgelehnten Richter nicht nach § 45 Abs. 1 ZPO an der Mitwirkung gehindert seien. Eindeutig unzulässig sei die Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers, weil nach § 42 ZPO nur der einzelne Richter, nicht aber das Gericht als solches abgelehnt werden könne. Nach dem Antragswortlaut werde der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs abgelehnt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Namen der fünf Mitglieder des Senats angegeben habe, die den mit der Anhörungsrüge zur Überprüfung gestellten Beschluss unterzeichnet hätten. Diese Bezeichnung sei auch unter Berücksichtigung des Gebots, dass "Ablehnungsgesuche vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (BVerfG, NJW 2007, 3771, 3773; NJW-RR 2008, 72, 74)" seien, nicht als eine zulässige Ablehnung einzelner Richter zu interpretieren. Denn nach der Antragsbegründung werde die Ablehnung auf die Vorbefassung des Senats und auf Ausführungen in der Parallelsache der Tochter des Klägers gegen die Beklagte gestützt. Konkrete, auf eine Befangenheit der einzelnen Mitglieder des Senats hinweisende Anhaltspunkte seien nicht benannt worden.
3Gegen die Zurückweisung der Anhörungsrüge hat der Kläger mit Schriftsätzen vom Gegenvorstellung erhoben und erneut erklärt, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Stresemann und Dr. Czub würden wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Insbesondere hätten sich diese Richter bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge und über das Ablehnungsgesuch zum Richter in eigener Sache gemacht. Eine pauschale Ablehnung des Spruchkörpers sei nicht erfolgt. Da die beteiligten Richter namentlich bezeichnet worden seien, könne jedenfalls bei der verfassungsrechtlich gebotenen wohlwollenden Auslegung des Ablehnungsgesuchs nicht davon ausgegangen werden, es sei der V. Zivilsenat als Spruchkörper abgelehnt worden. Mit Schriftsatz vom hat der Kläger die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter als ungenügend gerügt und geltend gemacht, die Ablehnung sei u.a. auch deshalb gerechtfertigt, weil weder über den auf Bestellung eines Notanwalts gerichteten Antrag befunden noch ein richterlicher Hinweis dahin erteilt worden sei, dass an der Mandatsniederlegung des bei dem Bundesgerichtshofs zugelassenen Rechtsanwalts Zweifel bestünden.
II.
4Dem Ablehnungsgesuch vom bleibt auch unter Berücksichtigung der späteren Ergänzungen des Klägers der Erfolg versagt.
5Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit der abgelehnten Richter aufkommen lassen (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 8 f. mwN). Solche Gründe liegen nicht vor.
61. Dass gilt zunächst im Hinblick darauf, dass die abgelehnten Richter über das erste Ablehnungsgesuch selbst befunden haben.
7a) Die Zugrundelegung einer der Partei ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Auch auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung kommt es regelmäßig nicht an (vgl. nur Zöller/Vollkommer, aaO, Rn. 28 mwN). Das gilt auch dann, wenn ein Gericht rechtsfehlerhaft über ein Ablehnungsgesuch selbst entschieden hat (BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411). Allerdings gilt es zu bedenken, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur den gesetzlichen Richter garantiert, sondern auch einen Richter, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfG 2007, 3771, 3772 mwN), und dass dieser Aspekt in besonderer Weise betroffen ist, wenn über die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit zu befinden ist. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kommt die Annahme einer solchen Besorgnis in Betracht, wenn die Auslegung des Gesetzes oder dessen Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite dieser Verfassungsgarantie in grundlegender Weise verkennt (vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411aaO; NJW-RR 2008, 72, 74; jeweils mwN).
8b) Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Dem das erste Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückweisenden Senatsbeschluss liegt die zutreffende Rechtsauffassung zugrunde, dass die abgelehnten Richter auch im Zivilprozess in bestimmten Fallgruppen ausnahmsweise über unzulässige Ablehnungsgesuche selbst entscheiden dürfen, dass hierzu nicht nur rechtsmissbräuchliche Gesuche zählen, sondern auch solche, mit denen ein Spruchkörper als solcher abgelehnt wird (BVerfG, NJW 2007, 3771, 3772), und dass bei der Frage, ob Letzteres der Fall ist, das Gesuch vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen ist (BVerfG, aaO, S. 3773; vgl. auch BVerfG, NJW-RR 2008, 72, 74). Darüber hinaus wird in der Entscheidung in den Blick genommen, dass ein Ablehnungsgesuch auch dann hinreichend individualisiert sein kann, wenn es sich unterschiedslos gegen alle Angehörigen eines Spruchkörpers richtet, und dass dies in Betracht kommt, wenn die Befangenheit aus konkreten in einer Kollegialentscheidung enthaltenen Anhaltspunkten hergeleitet wird (vgl. auch BVerwGE 50, 36, 37 f. mwN). Die auf diesen Grundsätzen aufbauende Würdigung, das Ablehnungsgesuch sei bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung gegen den Senat als Spruchkörper gerichtet, ist zumindest gut vertretbar.
92. Die im Übrigen geltend gemachten Ablehnungsgründe greifen ebenfalls nicht durch. Ebenso wie bei der Zugrundelegung einer unzutreffenden Rechtsauffassung ist auch bei fehlerhaften verfahrensleitenden Maßnahmen nicht ohne weiteres die Annahme gerechtfertigt, der Richter stehe der Sache nicht mehr mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit gegenüber (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 42 Rn. 28 ff. mwN). Besondere Umstände, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, zeigt der Kläger schon nicht auf. Das gilt insbesondere für das im Zusammenhang mit dem Antrag auf Bestellung eines Notanwalts gerügte Verhalten. Sich mit diesem Antrag zu befassen, bestand im Übrigen bislang keine Veranlassung, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom ausdrücklich beantragt hat, ihm (erst) "nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch" einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten als Notanwalt beizuordnen.
103. Ohne Erfolg rügt der Kläger schließlich, die nach § 44 Abs. 3 ZPO eingeholten dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter seien ungenügend.
11a) Soweit der Kläger die Ablehnung darauf stützt, mit der Verwerfung des ersten Ablehnungsgesuchs hätten die beteiligten Richter die Grenze zur Befangenheit überschritten, kommt es allein darauf an, ob aus der Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch selbst die Besorgnis der Befangenheit folgt. Die dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO dient der Tatsachenfeststellung. Da die in Rede stehende Entscheidung vorliegt, scheidet eine weitergehende Tatsachenfeststellung aus. Von einer Würdigung des Ablehnungsgesuchs hat der abgelehnte Richter zumindest grundsätzlich Abstand zu nehmen (vgl. BFH, NV 2000, 480 Rn. 5; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO, § 44 Rn. 9 mwN).
12b) Mit Blick auf die oben unter 2. erörterten Ablehnungsgründe waren dienstliche Erklärungen schon deshalb nicht notwendig, weil das von dem Kläger monierte Verhalten schon nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (zur Entbehrlichkeit dienstlicher Äußerungen bei unschlüssigen Gesuchen vgl. MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO, mwN; enger wohl Zöller/Vollkommer, aaO, § 44 Rn. 4).
Roth Brückner Weinland
Halfmeier Leupertz
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
HFR 2012 S. 450 Nr. 4
NJW 2011 S. 8 Nr. 51
NJW-RR 2012 S. 61 Nr. 1
LAAAD-97214