BFH Urteil v. - I R 112/08

Abweichende Festsetzung von Erstattungszinsen; verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls stellt keinen Grund für eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen dar

Leitsatz

Die Einbeziehung von Erstattungszinsen in die steuerliche Bemessungsgrundlage kann unbillig im Sinne des § 163 AO sein, wenn diesen Zinsen nicht abziehbare Nachforderungszinsen gegenüberstehen und beide Zinspositionen auf ein und demselben Ereignis beruhen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn Erstattungs- und Nachforderungszinsen gegenüber ein und demselben Steuerpflichtigen angefallen sind.

Fallen aufgrund Verlagerung von Einkünften zwischen Schwestergesellschaften bei einer Gesellschaft Erstattungszinsen und bei der anderen Gesellschaft Nachzahlungszinsen in gleicher Höhe an, ergibt sich eine Unbilligkeit im Sinne des § 163 AO nicht daraus, dass die eine Gesellschaft die Erstattungszinsen versteuern muss, während die andere Gesellschaft die Nachzahlungszinsen nicht als Betriebsausgaben abziehen kann.

Gesetze: AO § 163, AO § 233a, KStG § 10 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten über die Festsetzung der Körperschaftsteuer 1999 (Streitjahr).

2Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, veräußerte im Jahr 1993 alle Geschäftsanteile an einer GmbH (L-GmbH) an die U-GmbH (U-GmbH). An der Klägerin einerseits und der U-GmbH andererseits waren dieselben Gesellschafter zu jeweils 50 % beteiligt. Im Anschluss an die Anteilsveräußerung kam es zu weiteren Veräußerungsvorgängen; zudem wurde die U-GmbH im Jahr 1994 auf die L-GmbH verschmolzen.

3Nach einer Betriebsprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) davon aus, dass die Klägerin im Rahmen der Verschmelzung Wirtschaftsgüter in das Vermögen der L-GmbH eingelegt habe. Das habe zur Folge, dass die Körperschaftsteuer 1994 der Klägerin gegenüber niedriger und zugleich gegenüber der L-GmbH entsprechend höher festzusetzen sei als zuvor. Über diese Würdigung herrscht zwischen den Beteiligten kein Streit. Das FA erließ entsprechende Steuerbescheide und setzte darüber hinaus der Klägerin gegenüber Erstattungszinsen und in gleicher Höhe gegen die L-GmbH Nachzahlungszinsen fest. Die Klägerin vereinnahmte die Erstattungszinsen im Streitjahr.

4Im Rahmen ihrer Veranlagung für das Streitjahr beantragte die Klägerin, die Erstattungszinsen aus Billigkeitsgründen nicht in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer einzubeziehen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Die deshalb erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen ().

5Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Körperschaftsteuer ohne Berücksichtigung der vereinnahmten Erstattungszinsen festzusetzen.

6Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat dem Antrag der Klägerin, das FA zu einer abweichenden Steuerfestsetzung zu verpflichten, zu Recht nicht entsprochen.

81. Nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Eine „Unbilligkeit” i.S. dieser Regelung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auf sachlichen oder auf persönlichen Gründen beruhen (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Rz 8, m.w.N.). Eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist im Streitfall weder von der Klägerin geltend gemacht worden noch nach Aktenlage erkennbar.

92. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom VI R 13/05, BFH/NV 2008, 794). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (, BFH/NV 2008, 102, 105, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (, BFH/NV 2002, 545, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO (, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155, m.w.N.).

103. Im Streitfall ist hiernach für eine Billigkeitsmaßnahme kein Raum.

11a) Eine Unbilligkeit i.S. des § 163 AO ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin die Erstattungszinsen versteuern muss, während bei der L-GmbH die Nachzahlungszinsen nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind (§ 10 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes). Denn die unterschiedliche ertragsteuerrechtliche Behandlung von Nachzahlungszinsen einerseits und Erstattungszinsen andererseits beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers und kann daher nicht im Billigkeitswege korrigiert werden.

12b) Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) kann allerdings die Einbeziehung von Erstattungszinsen in die Bemessungsgrundlage unbillig sein, wenn diesen Zinsen nicht abziehbare Nachforderungszinsen gegenüberstehen und beide Zinspositionen auf ein und demselben Ereignis beruhen ( BStBl I 2000, 1508). Diese Beurteilung bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf Fälle, in denen Erstattungs- und Nachforderungszinsen gegenüber ein und demselben Steuerpflichtigen angefallen sind. Ein solcher Sachverhalt liegt, was auch die Klägerin nicht verkennt, im Streitfall nicht vor; denn die Klägerin einerseits und die L-GmbH andererseits sind aus der Sicht des Steuerrechts zwei eigenständige Rechtssubjekte. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann die genannte Verwaltungsanweisung auch nicht auf die hier zu beurteilende Situation übertragen werden.

13Denn die in § 233a AO angeordnete Verzinsung zielt darauf ab, den —zumindest möglichen— Liquiditätsvorteil abzuschöpfen, der dem einzelnen Steuerpflichtigen durch die verspätete Festsetzung der Steuer entsteht. Auf die Frage, ob dem Steuergläubiger insgesamt ein Schaden entstanden ist, kommt es insoweit nicht an. Deshalb ist bei der Frage danach, ob die Festsetzung von Zinsen unbillig ist, nur auf die Verhältnisse des jeweiligen Zinsschuldners abzustellen; die Verhältnisse eines anderen Rechtssubjekts müssen insoweit außer Betracht bleiben (, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716; vom XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178). Diese Überlegung muss gleichermaßen durchgreifen, wenn es —wie im Streitfall— um die Berücksichtigung von Zinsen im Rahmen der Steuerfestsetzung geht.

14Nicht entscheidungserheblich ist insoweit, dass an der Klägerin einerseits und an der L-GmbH andererseits dieselben Gesellschafter in jeweils demselben Verhältnis beteiligt sind. Denn das Steuerrecht sieht, was die Person des Steuerschuldners angeht, bei juristischen Personen keinen Durchgriff auf die dahinter stehenden Rechtssubjekte vor. Die von der Klägerin angesprochene „wirtschaftliche Betrachtungsweise” ist in diesem Zusammenhang ohne Belang; sie betrifft nur die Ermittlung und Zuordnung von Besteuerungsgrundlagen, besagt aber nicht, dass z.B. die Gesellschafter einer GmbH Schuldner der gegenüber der GmbH entstandenen Steuer sein können. Deshalb sind in dem hier interessierenden Zusammenhang die beiden an dem Vorgang beteiligten Kapitalgesellschaften als von ihren Gesellschaftern getrennte Rechtsträger und mithin unabhängig von den Beteiligungsverhältnissen zu betrachten. Auf dieser Basis scheidet die von der Klägerin begehrte Berücksichtigung der Verhältnisse der L-GmbH im Streitfall aus.

15c) Ohne Erfolg bleibt schließlich der Vortrag der Revision, dass die streitigen Steuerbescheide erst im Jahr 1999 ergangen seien und dass die L-GmbH die ihr gegenüber festgesetzten Nachzahlungszinsen gewinnmindernd hätte geltend machen können, wenn die Bescheide noch im Jahr 1998 erlassen worden wären. Denn zum einen ist der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen (, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 233a Rz 52, m.w.N.). Zum anderen macht die Klägerin nicht geltend, dass das FA den Erlass der zur Zinsfestsetzung führenden Steuerbescheide schuldhaft verzögert habe; nach dem unwidersprochenen Vorbringen des FA hat sich die Betriebsprüfung aus inhaltlichen Gründen über längere Zeit hingezogen und sind die Bescheide alsbald nach Übersendung des Prüfungsberichts erlassen worden. Abgesehen davon betrifft der genannte Einwand ohnehin nur die Verhältnisse der L-GmbH; wenn diese durch ein pflichtwidriges Verhalten des FA Rechtsnachteile erlitten hätte, könnte sich die Klägerin darauf nicht berufen. Im Ergebnis hat das FG den Rechtsstreit daher zutreffend entschieden, weshalb die Revision gegen sein Urteil unbegründet ist.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 606 Nr. 4
UAAAD-37708