Kein Gestaltungsmissbrauch bei Wiederkauf von zuvor mit Verlust veräußerten Aktien
Leitsatz
Es stellt keinen Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO dar, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Wertpapiere mit Verlust veräußert und unmittelbar anschließend oder zumindest kurz danach gleichartige Wertpapiere zu unterschiedlichen Preisen wieder erwirbt.
Gesetze: AO § 42, EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Jahr 1999 (Streitjahr) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für 2000 erklärten sie negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erkannte diese nur teilweise an und nahm einen Verlustrücktrag nach § 23 Abs. 3 Satz 7, § 10d des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) in Höhe von -546.272 DM im während des Klageverfahrens geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vor.
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Im Dezember 2003 beantragten die Kläger, den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nach § 23 Abs. 3, § 10d EStG erneut zu ändern und einen weiteren im Jahr 2000 erzielten Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 160.338,78 DM zu berücksichtigen. Der Verlust resultierte in Höhe von 58.491,65 DM aus Transaktionen mit den Aktien der X (Kauf am 26. Juni, 16. und ; Gesamtverkauf von 8.830 Stück am —Kurswert pro Aktie von 28,21 DM—; Wiederkauf von 8.970 Stück am —Kurswert pro Aktie: 27,05 DM—) und in Höhe von 101.847,13 DM auf Transaktionen mit den Fondsanteilen der Y (Kauf am 4. September und ; Gesamtverkauf von 1.727 Stück am —Kurswert pro Anteil: 117,31 DM—; Wiederkauf von 1.500 Stück am —Kurswert pro Anteil: 111,50 DM). Das FA lehnte die Berücksichtigung ab; der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2007, 1024). Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 der Abgabenordnung i.d.F. des Streitjahres (AO) liege nicht vor. Ein von vornherein gefasster Gesamtplan könne hinsichtlich des Verkaufs der Wertpapiere und des in nahezu gleicher Stückzahl zwei Tage später erfolgten Wiederkaufs der gleichen Wertpapiere am angesichts einer möglichen Neubewertung von Chancen und Risiken nicht festgestellt werden. Zudem könne der Steuerpflichtige bei § 23 EStG durch die Wahl des Veräußerungszeitpunktes (wirtschaftliche Betätigungsfreiheit) über den Eintritt des Steuertatbestandes frei entscheiden.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. § 42 AO verlange eine am Gesetzeszweck des § 23 EStG vorbeizielende Gestaltung, deren Unangemessenheit sich nach den —vom FG nicht hinreichend berücksichtigten— Gesamtumständen des Einzelfalls richte. Im Streitfall fehle es an nachweisbaren wirtschaftlichen Gründen für den nach dem Verkauf absichtlich erfolgten Wiederkauf der Wertpapiere; insoweit trügen die Kläger die Feststellungslast. Mithin sei der Verkauf nur aus steuerlichen Gründen zur (unechten) Verlustrealisierung geschehen; daher könne der Verlust gemäß § 42 AO nicht berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Denn das FG hat im Ergebnis zu Recht im nachfolgenden Wiederkauf der zuvor mit Verlust veräußerten Wertpapiere keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO gesehen und einen Verlustrücktrag nach 1999 zugelassen.
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1. a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unterliegen private Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern (als den in Nr. 1 der Vorschrift genannten Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten), insbesondere bei Wertpapieren, als sonstige Einkünfte der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung —unter Beachtung des auch insoweit geltenden Grundsatzes der Nämlichkeit (vgl. , BFHE 173, 107, BStBl II 1994, 591; vom IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712)— nicht mehr als ein Jahr beträgt (sog. gestreckter oder zweiaktiger Tatbestand; vgl. , BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.1.b). Das gilt auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG; vgl. auch , BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830, unter III.2.d bb). Veräußerungsverluste sind nach § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG aber nur eingeschränkt zu berücksichtigen. Durch dieses in sich geschlossene und aufeinander abgestimmte System der Verlustnutzung und -begrenzung sollen u.a. Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit und insbesondere missbräuchliche Gestaltungen i.S. des § 42 AO verhindert werden (vgl. Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz F 27, 29).
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b) Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind im Streitfall —unstreitig— erfüllt. Denn die Wertpapiere wurden innerhalb der maßgeblichen Jahresfrist (Erwerb im Juni, September und Oktober 2000 und Verkauf im Dezember 2000) angeschafft und wieder —wenn auch mit Verlust— veräußert. Der zweiaktige Tatbestand ist damit verwirklicht, und zwar unabhängig vom nachfolgenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere als erstem Teilakt eines eventuell erneut in Gang gesetzten Steuertatbestandes.
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Die Kläger haben den aus der Veräußerung der Wertpapiere erwirtschafteten Verlust auch i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG „erzielt"; sie haben mit Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt. Dieses Merkmal des Steuertatbestandes wird durch die verhältnismäßig kurze (Jahres-)Frist in typisierender Weise objektiviert (, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom IX R 29/06, BFHE 221, 97, BStBl II 2009, 296, unter II.1.c).
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2. Das Tatbestandsmerkmal „Veräußerungsgeschäft” wird auch nicht gemäß § 42 Satz 2 AO beseitigt.
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a) Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. von § 42 AO ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die —gemessen an dem erstrebten Ziel— unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789; vom IX R 17/07, BFH/NV 2008, 426, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteile in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, und vom IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II 2004, 648, m.w.N.).
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b) Entspricht es aber Sinn und Zweck des § 23 EStG, (nur) realisierte Wertänderungen (in Gestalt von Veräußerungsgewinnen und -verlusten) aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen (s. , BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259), stellt es keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar, wenn der Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere unmittelbar anschließend oder zumindest kurzfristig nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wiedererwirbt (gl.A. Wernsmann, a.a.O., EStG § 23 Rz A 72, F 29; s.a. , EFG 2004, 1775; a.A. , EFG 2007, 192). Insoweit bewegt er sich mit seinen Dispositionen angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden Kursrisikos (Volatilität) im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Denn es steht in seinem Belieben (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.2.; BFH-Urteil in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259, unter II.2.b(1)), ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder kauft und ggf. wieder verkauft. Insoweit handelt es sich bei dem Verkauf von Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen um eigenständige und damit separat zu beurteilende Vorgänge, so dass der Veräußerungsvorgang nicht i.S. des § 42 Satz 2 AO eliminiert wird (s.a. , BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752, unter II.1.b bb, betr. Optionsgeschäfte; vom I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, unter B.II.1.b bb, r.Sp., zum sog. Dividenden-Stripping bei taggleichem An- und Verkauf).
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3. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Vorentscheidung jedenfalls im Ergebnis als richtig. Die Revision ist daher zurückzuweisen. Die Kläger haben mit dem An- und Verkauf der Wertpapiere innerhalb der Jahresfrist den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt (s. oben unter II.1.b). Im Ergebnis zutreffend hat das FG im durch die Kläger erfolgten Wiederkauf der zwei Tage zuvor mit Verlust veräußerten Wertpapiere angesichts des von den Klägern eingegangenen erkennbaren Kursrisikos (s. oben unter I.) keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO gesehen und einen Verlustrücktrag nach 1999 zugelassen.
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Daher kann auch dahinstehen, ob das FG bei der Ablehnung eines Gesamtplans der Kläger die konkreten Umstände des Streitfalles hinreichend berücksichtigt hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 387 Nr. 3
MAAAD-36756