Leitsatz
Für eine ordnungsgemäße Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten ist es erforderlich, dass bei der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen ist. Nicht ausreichend ist die Berechnung der Frist anhand des Eingangsstempels der Kanzlei.
Ist es in der Kanzlei nur möglich, dass an einem Montag u.a. Posteingänge vom Wochenende zu bearbeiten sind, muss durch entsprechende Anweisungen und Vorkehrungen - etwa durch Aufteilen der Post in unterschiedliche Mappen oder Behältnisse - sichergestellt sein, dass der unterschiedliche Zeitpunkt des Eingangs bei Fristsachen festgehalten und bei der weiteren büromäßigen Bearbeitung der Fristsachen ohne weiteres beachtet werden kann. Geschieht dies nicht, liegt ein der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehender Organisationsmangel vor.
Gesetze:
Instanzenzug:
Gründe
I. Der erkennende Senat hat in dieser Rechtssache am einen Gerichtsbescheid erlassen, der der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) ausweislich der Postzustellungsurkunde am zugestellt worden ist. Weil die Übergabe des zuzustellenden Schriftstückes in dem Geschäftsraum der Prozessbevollmächtigten nicht möglich war, hat der Zusteller am , einem Samstag, das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt und den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstückes vermerkt. Mit Schriftsatz vom , beim Bundesfinanzhof (BFH) am selben Tag eingegangen, beantragte der Kläger mündliche Verhandlung.
Mit Schreiben vom hat der Vorsitzende des Senats die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf den verspäteten Eingang des Antrags auf mündliche Verhandlung hingewiesen. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und vorgetragen, dass die am (Montag) im Kanzleibriefkasten seiner Prozessbevollmächtigten vorgefundene Post von einer Auszubildenden geöffnet, mit dem Eingangsstempel des versehen und sodann der Anwaltssekretärin zum Zweck der Fristennotierung vorgelegt worden sei. Die Anwaltssekretärin habe versehentlich nicht erkannt, dass dem Gerichtsbescheid eine Zustellungsurkunde nicht beigeheftet gewesen sei, und die Frist ausgehend vom Eingangsstempel berechnet. Entgegen der Dienstanweisung, dass alle Zustellungsurkunden der eingehenden Post beizuheften seien, sei die Postzustellungsurkunde nicht zur Prozessakte des mit der Prozessführung beauftragten Rechtsanwalts gelangt.
II. Der Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung gegen den in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheid des Senats ist wegen Versäumung der Antragsfrist (§ 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) unzulässig. Er ist erst am beim BFH eingegangen. Die Antragsfrist von einem Monat war aber für den dem Kläger am zugestellten Gerichtsbescheid am abgelaufen.
1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist kann nicht entsprochen werden, weil der Kläger nicht dargetan hat, dass er ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 FGO). Dem Kläger ist das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) wie eigenes Verschulden zuzurechnen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 220, 345, BStBl II 2008, 766; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 56 Rz 8).
a) Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung der Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können. Beruft sich ein Prozessbevollmächtigter auf ein von ihm nicht zu vertretendes Büroversehen, so muss er darlegen, welche organisatorischen Maßnahmen er im Hinblick auf die Fristwahrung getroffen hatte und weshalb diese Maßnahmen speziell im Streitfall nicht gegriffen haben (BFH-Beschluss in BFHE 220, 345, BStBl II 2008, 766, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen an den Tatsachenvortrag genügen die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht. Es fehlen ausreichende Angaben zu der für eine einwandfreie Büroorganisation unerlässlichen Fristenkontrolle und insbesondere hinreichende Darlegungen dafür, dass im Streitfall ein Organisationsverschulden auszuschließen ist.
aa) Zweifel an einer ordnungsgemäßen Organisation der Fristenkontrolle ergeben sich bereits aus der im Wiedereinsetzungsantrag behaupteten Dienstanweisung, dass „alle Zustellungsurkunden” der eingehenden Post beizuheften seien. Die Einhaltung von Fristen bei durch Postzustellungsurkunde zugestellten Schriftstücken kann durch eine solche Dienstanweisung schon deshalb nicht sichergestellt werden, weil Postzustellungsurkunden unverzüglich der Geschäftsstelle zurückzuleiten sind (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 182 Abs. 3 ZPO), und zwar von den Zustellern. Die Postzustellungsurkunde wird dem Empfänger nicht übergeben oder dem Schriftstück beigefügt, vielmehr ist der Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 180 Satz 3 ZPO verpflichtet, auf dem Umschlag des Schriftstücks den Tag der Zustellung zu vermerken. Korrekterweise hätte somit die Anweisung an das Personal der Prozessbevollmächtigten des Klägers lauten müssen, den Umschlag des Schriftstückes der eingehenden Post beizuheften und dem Zustellungsvermerk auf diesem Umschlag das Zustellungsdatum zu entnehmen.
bb) Abgesehen von der vorgenannten Dienstanweisung lässt der Wiedereinsetzungsantrag nicht erkennen, in welcher Weise im Büro der Prozessbevollmächtigten die Fristberechnung bei Zustellungen durch Postzustellungsurkunde erfolgt und ob die insoweit geltenden Anforderungen einer ordnungsgemäßen Büroorganisation erfüllt sind. Insbesondere fehlen Darlegungen dazu, ob —wie für eine ordnungsgemäße Büroorganisation erforderlich— bei der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 71/87, BFH/NV 1988, 250; vom IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860). Nicht ausreichend wäre jedenfalls die Berechnung der Frist anhand des Eingangsstempels der Kanzlei (, BFH/NV 1988, 444; Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20 „Fristenkontrolle”). Auf eine solche Berechnung hat sich jedoch sowohl die mit der Fristberechnung betraute Bürokraft als auch der mit der Prozessführung beauftragte Rechtsanwalt beschränkt.
cc) Unter Berücksichtigung der im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Büroorganisation fehlt es schließlich an den erforderlichen Angaben dazu, in welcher Weise bei Fristsachen für die —wie im Streitfall— an einem Montag im Kanzleibriefkasten vorgefundenen Posteingänge bereits vom vorangegangenen Samstag die Erfassung des zutreffenden Zustellungszeitpunkts sichergestellt wurde. Ist es nur möglich, dass an einem Montag u.a. Posteingänge vom Wochenende zu bearbeiten sind, muss durch entsprechende Anweisungen und Vorkehrungen —etwa durch Aufteilen der Post in unterschiedliche Mappen oder Behältnisse— sichergestellt sein, dass der unterschiedliche Zeitpunkt des Eingangs bei Fristsachen festgehalten und bei der weiteren büromäßigen Bearbeitung der Fristsachen ohne weiteres beachtet werden kann. Geschieht dies nicht, liegt ein der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehender Organisationsmangel vor (, BFH/NV 1990, 649).
2. Über den unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung war ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden (BFH-Beschlüsse vom XI R 51/06, nicht veröffentlicht; vom VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70).
3. Da der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht fristgerecht gestellt worden ist, wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil (§ 90a Abs. 3 1. Halbsatz i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAD-29307