BFH Urteil v. - VI R 54/07 BStBl 2010 II S. 996

Anrufungsauskunft nach § 42e EStG als feststellender Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO

Leitsatz

1. Eine dem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) stellt nicht nur eine Wissenserklärung (unverbindliche Rechtsauskunft) des Betriebsstätten-FA darüber dar, wie im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. Sie ist vielmehr feststellender Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz 1 AO, mit dem sich das FA selbst bindet.

2. Die Vorschrift des § 42e EStG gibt dem Arbeitgeber nicht nur ein Recht auf förmliche Bescheidung seines Antrags. Sie berechtigt ihn auch, eine ihm erteilte Anrufungsauskunft erforderlichenfalls im Klagewege inhaltlich überprüfen zu lassen.

Leitsätze 1 und 2: Änderung der Rechtsprechung

Gesetze: EStG § 42eFGO § 40 Abs. 1AO § 118 Satz 1AO § 89 Abs. 2AO § 204AO § 207 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen zur Verteilung von Direktwerbemitteln. Für verschiedene Kaufleute und Handelsunternehmen verteilt die Klägerin in zahlreichen Städten und Gemeinden Werbeprospekte, Flyer, Angebotszettel und sonstiges Werbematerial an Privathaushalte. Hierzu setzt sie eine größere Anzahl von Mitarbeitern als Zusteller der Werbeprospekte und Anzeigenblätter ein. Bei den 300 bis 500 Verteilern handelt es sich vorwiegend um Schüler, Jugendliche, Studenten und Rentner.

Im Zuge einer Verlegung des Unternehmens der Klägerin von W in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) beantragte die Klägerin beim (seinerzeit zuständigen) Betriebsstätten-FA eine Anrufungsauskunft (§ 42e des EinkommensteuergesetzesEStG—) dahingehend, wie die vorgenannten Mitarbeiter steuerlich zu behandeln seien. Die Klägerin erhielt am die Auskunft, die Mitarbeiter seien nach dem geschilderten Sachverhalt als Selbständige anzusehen. Zur Begründung führte das FA u.a. (wörtlich) an:

„In dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit der Mitarbeiter, da diese ohne feste Arbeitszeit, Urlaubsanspruch und Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall tätig sind. Sie sind selbständig in der Organisation und Durchführung der Tätigkeit. Die Bezahlung erfolgt erfolgsabhängig. Die Mitarbeiter tragen somit das Unternehmerrisiko. Ein Angestelltenverhältnis ist zu verneinen.”

Nach Verlegung ihres Geschäftssitzes und unter Vorlage eines Mustervertrags mit den Zustellern erneuerte die Klägerin am ihre Anfrage. Das FA teilte der Klägerin daraufhin am mit, dass es bei der bisherigen Einschätzung verbleibe. Zur Begründung führte es die vorgenannten Gründe nochmals an.

Am widerrief das FA die Anrufungsauskunft mit sofortiger Wirkung. Das FA begründete den Widerruf mit einem Urteil des , veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1015. Nach diesem Urteil seien Zusteller regelmäßig Arbeitnehmer mit der Folge, dass die ausgezahlten Bezüge lohnversteuert werden müssten. Das Urteil in EFG 1999, 1015 sei dem FA bei Erteilung der Anrufungsauskunft nicht bekannt gewesen.

Die Klägerin legte gegen die Aufhebung der Anrufungsauskunft binnen eines Monats Einspruch ein. Sie führte u.a. an, sie habe vor der Verlegung des Unternehmenssitzes die angeführte Anrufungsauskunft eingeholt. Sie —die Klägerin— habe auf der Grundlage dieser Auskunft mit rd. 400 Verteilern Verträge abgeschlossen und die gesamte Unternehmensstruktur in wirtschaftlicher Hinsicht auf diese Art der Zusammenarbeit mit selbständigen Verteilern ausgerichtet. Die rechtliche und steuerliche Beurteilung der eingesetzten Verteiler als selbständig Tätige stelle eine unternehmerische Grundlage des Betriebs der Klägerin dar. Der gesamte Geschäftsbetrieb bzw. die gesamte wirtschaftliche Konzeption des Unternehmens, insbesondere die Abrechnung mit den Verteilern, sei auf den Einsatz der Verteiler als Selbständige ausgerichtet.

Das FA führte daraufhin mit Schreiben vom an, es sei zulässig, die Bindungswirkung der Auskunft für die Zukunft aufzuheben. Das FA sei dabei an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. Insbesondere könne es seine Rechtsauffassung ändern, auch wenn sich der zugrunde liegende Sachverhalt —wie hier— nicht geändert habe. Zugleich verschob das FA den ersten Lohnsteuer-Abführungszeitraum von April 2002 auf Juni 2002.

Gegen die Einspruchsentscheidung des FA, in der der Einspruch der Klägerin als unzulässig zurückgewiesen wurde, erhob die Klägerin Klage. In seinem die Klage abweisenden Urteil führte das FG im Wesentlichen aus, eine Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) scheide aus, da es sich bei dem Widerruf nicht um einen Verwaltungsakt handele. Die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG stelle nur eine Wissenserklärung des FA darüber dar, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden seien. Es fehle an einem Regelungswillen des FA. Die Bindungswirkung des FA ergebe sich lediglich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben. Die Bindungswirkung entfalle analog § 207 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) für die Zukunft, wenn das FA die Auskunft widerrufe, was jederzeit möglich sei. Eine Klärung von Rechtsfragen könne erforderlichenfalls im Besteuerungs- oder Haftungsverfahren erfolgen. Auch eine subsidiäre Feststellungsklage (§ 41 FGO) sei deshalb nicht zulässig.

Mit der —nach Zulassung durch den Senat— hiergegen erhobenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Sollte der Widerruf der Anrufungsauskunft keinen Verwaltungsakt darstellen, müsse der Klägerin Rechtsschutz in Form einer Feststellungsklage (§ 41 FGO) gewährt werden. Unter den im Streitfall vorliegenden Umständen habe die Klägerin nach dem Widerruf der rechtmäßigen Anrufungsauskunft ein Feststellungsinteresse hinsichtlich ihrer Lohnsteuer-Verpflichtungen. Die Einrichtung der Lohnbuchhaltung und die Abführung von Lohnsteuern (und in Folge davon auch von Sozialabgaben) führten bei einem Arbeitgeber zu einer erheblichen Belastung. Es sei mit dem Zweck der Anrufungsauskunft nicht zu vereinbaren, einen (rechtswidrigen) Lohnsteuereinbehalt erst im Haftungsverfahren oder durch Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldungen zu korrigieren. Im Streitfall wäre die Klägerin im Übrigen gezwungen, sich durch den Lohnsteuereinbehalt gegenüber den Prospektverteilern vertragswidrig zu verhalten, nur um einen rechtsmittelfähigen (Lohnsteuer-)Bescheid zu erhalten.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Verwaltungsakt des FA vom (Widerruf der Anrufungsauskunft) in Gestalt des Verwaltungsakts vom und der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben, hilfsweise (unter Aufhebung der Vorentscheidung) festzustellen, dass die vorbezeichneten Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sind.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom sowie des Verwaltungsakts des FA vom (Aufhebung der Anrufungsauskunft) in Gestalt des Verwaltungsakts vom . Die genannten Entscheidungen verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

1. Die von der Klägerin erhobene —auf Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtete— Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) ist zulässig. Sowohl die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) als auch deren Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) stellen Verwaltungsakte i.S. des § 118 Satz 1 AO dar.

Nach § 42e Satz 1 EStG hat das Betriebsstätten-FA auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind.

a) In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der BFH der —primär auf die Belange des Arbeitgebers zugeschnittenen— Anrufungsauskunft nach § 42e EStG lediglich den Charakter einer bloßen Wissenserklärung zuerkannt (z.B. , BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451; vom VI R 97/90, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166; ebenso von Bornhaupt, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1980, 3, 4; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42e EStG Rz 23; Küttner/Huber, Personalbuch 2009, Stichwort Anrufungsauskunft Rz 9; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 42e Rz 6; Dißars, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 2003, 862; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 42e EStG Rz 11, m.w.N.). Der BFH verneinte das Vorliegen eines Verwaltungsakts (§ 118 Satz 1 AO), da es an einer Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen fehle.

Wandte der Arbeitgeber die lohnsteuerrechtlichen Vorschriften entsprechend der ihm erteilten Anrufungsauskunft an, so wurde sein Vertrauen auf deren Richtigkeit gleichwohl geschützt. Grundlage dieses Vertrauensschutzes war der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben, der die Beteiligten im Rechtsverkehr verpflichtet, auf die berechtigten Belange des anderen Teils Rücksicht zu nehmen und sich mit seinem eigenen Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch zu setzen. Die so verstandene Anrufungsauskunft hatte hauptsächlich die Haftungsrisiken im Blick, die sich aus der gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einbehaltung der Lohnsteuer ergeben (vgl. hierzu etwa BFH-Urteil in BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166).

Bestritt der Arbeitgeber die inhaltliche Richtigkeit der erteilten Anrufungsauskunft, so war ein Rechtsbehelf hiergegen nicht gegeben. Eine gerichtliche Entscheidung über die in der Anrufungsauskunft vertretene Rechtsauffassung des FA konnte nur im nachfolgenden Steuerfestsetzungs- oder im Haftungsverfahren herbeigeführt werden (vgl. auch Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 42e Rz 13).

b) Diese Rechtsprechung hat zunehmend Kritik erfahren. Ungeachtet unterschiedlicher Begründungen im Einzelnen wird die Anrufungsauskunft im Schrifttum überwiegend als —feststellender— Verwaltungsakt beurteilt (vgl. z.B. Barein in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 42e Rz 12; Seifert in Korn, § 42e EStG, Rz 8; Fichtelmann, Finanz-Rundschau —FR— 1980, 236; Blümich/Heuermann, § 42e EStG Rz 26; Heuermann, Systematik und Struktur der Leistungspflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren, Diss. 1998, S. 259 ff.; Fumi, EFG 2003, 1106; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 42e Rz 7; s.a. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 89 AO Rz 97 ff., 99; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 204 Rz 35).

2. Nach erneuter Prüfung hält der erkennende Senat an seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr fest. Er schließt sich dem überwiegenden Schrifttum an, wonach die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG als —feststellender— Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.

a) Nach § 118 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Unter einer „Regelung” ist dabei nicht nur eine Entscheidung zu verstehen, welche die Begründung, Änderung und Aufhebung, sondern auch die verbindliche Feststellung von Rechten und Pflichten sowie von rechtserheblichen Tatsachen und Eigenschaften zum Gegenstand hat (sog. feststellender Verwaltungsakt; vgl. u.a. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl., Rz 195; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl., § 35 Rz 51 ff.).

b) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 42e EStG hat das Betriebsstätten-FA Auskunft zu erteilen. Der Arbeitgeber hat demnach einen —auch gerichtlich durchsetzbaren— Anspruch auf Erteilung der Auskunft über die Anwendung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften. Nach Ansicht des erkennenden Senats bezieht sich dieser Anspruch jedoch nicht nur darauf, dass der Arbeitgeber förmlich zu bescheiden ist. § 42e EStG vermittelt dem Arbeitgeber auch einen Anspruch darauf, dass die Anrufungsauskunft inhaltlich richtig ist.

c) Die Anrufungsauskunft erschöpft sich auch nicht nur in einer bloßen Wissenserklärung. Die mit dem erforderlichen Bindungswillen versehene Erklärung des FA geht darüber hinaus und ist zusätzlich auf die Selbstbindung seines zukünftigen Handelns gerichtet. Der erkennende Senat ist schon bisher davon ausgegangen, dass der Anrufungsauskunft Bindungswirkung zukommt (vgl. z.B. , BFHE 212, 59, BStBl II 2006, 210, m.w.N.). Denn das FA bindet sich gegenüber dem Arbeitgeber in der Weise, Lohnsteuer weder im Wege eines Nachforderungs- noch eines Haftungsbescheids nachzuerheben, wenn sich dieser entsprechend der Anrufungsauskunft verhält. Allerdings hat der BFH die Rechtswirkungen dieser verbindlichen Auskunft erst im Steuerfestsetzungs- bzw. Haftungsverfahren entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben eintreten lassen. Eines Rückgriffs auf diesen Grundsatz bedarf es jedoch nicht. Denn die Selbstbindung des FA ergibt sich unmittelbar aus § 42e EStG (so schon BFH-Urteil in BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166, unter II. 3. c; ebenso Barein in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 42e Rz 12, m.w.N.; vgl. auch Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42e Rz B 11 ff.).

d) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht nur eine einseitige Bindung des Betriebsstätten-FA an die Anrufungsauskunft. Die Auffassung, die Anrufungsauskunft stelle deshalb keine „Regelung” i.S. des § 118 Satz 1 AO dar, weil der Arbeitgeber sich hieran nicht halten müsse, teilt der Senat nicht. Für die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft, in der die maßgeblichen Rechte und Pflichten des Arbeitgebers festgestellt werden, gilt insoweit nichts anderes als für verbindliche Auskünfte (Zusagen) i.S. des § 89 AO n.F. und des § 204 AO. Auch insoweit wird allgemein angenommen, dass lediglich eine einseitige Bindung der Verwaltung ohne Fremdbindung des Steuerpflichtigen besteht (vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 204 AO Rz 2).

e) Diese Grundsätze greifen auch ein, soweit es sich um die Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) einer Anrufungsauskunft handelt. Stellt die Anrufungsauskunft einen Verwaltungsakt dar, so muss dies erst recht für deren Aufhebung gelten. Das FA geht insoweit zutreffend selbst davon aus, dass die von ihm ausgesprochene Aufhebung (sog. actus contrarius) die Rechtswirkungen der ursprünglichen Anrufungsauskunft zum Wegfall bringt (vgl. hierzu auch , EFG 2008, 1915 mit Anm. Loose). Auch dies erhellt, dass einer Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) Regelungscharakter zukommt.

3. Die geänderte Rechtsauffassung des Senats steht mit der Rechtsentwicklung in ähnlichen Normenbereichen im Einklang und vermeidet ansonsten auftretende Wertungswidersprüche.

a) Der Gesetzgeber hat durch das Förderalismusreform-Begleitgesetz vom (BGBl I 2006, 2098, 2106) die Vorschrift des § 89 Abs. 2 AO in die Abgabenordnung eingefügt. Danach kann der Steuerpflichtige aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit eine verbindliche Auskunft (Zusage) darüber verlangen, wie ein in der Zukunft liegender Besteuerungstatbestand steuerlich zu beurteilen ist. Die Vorschrift stellt die bisher schon unbestrittene Befugnis des FA zur Erteilung verbindlicher Auskünfte nunmehr gesetzlich klar.

Bei der verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO handelt es sich nach zutreffender und unbestrittener Auffassung um einen Verwaltungsakt nach § 118 Satz 1 AO mit allen Konsequenzen der Form der Bekanntgabe (§ 122 AO), der Abänderbarkeit (§§ 129 bis 131 AO, § 2 Abs. 3 der Steuer-Auskunftsverordnung) und der Einspruchs- und Klagemöglichkeit (vgl. auch die amtliche Begründung der Steuer-Auskunftsverordnung, BRDrucks 725/07 S. 5 und Anwendungserlass zur AbgabenordnungAEAO— zu § 89 Tz. 3.5.5; s.a. , DStR 2008, 99 ff.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Auskunft der Rechtsauffassung des Antragstellers entspricht („positive Auskunft”) oder nicht („negative Auskunft”). Auch nach der damit übereinstimmenden Auffassung der Finanzverwaltung stellt die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO einen —begünstigenden— Verwaltungsakt (besonderer Art) dar, gegen den der Einspruch (§ 347 AO) gegeben ist (s. AEAO zu § 89 Tz. 3.7). Sie enthält die Zusicherung einer bestimmten künftigen steuerlichen Behandlung (vgl. auch Franke/von Cölln, Betriebs-Berater 2008, 584 ff.).

b) Nach § 204 AO soll die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen auf Antrag verbindlich zusagen, wie ein für die Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in Zukunft steuerlich behandelt wird. Auch die Erteilung und Ablehnung dieser verbindlichen Zusage sind Verwaltungsakte, gegen die Einspruch bzw. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegeben sind (allg. Meinung; vgl. z.B. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 204 AO Rz 2; Klein/Rüsken, a.a.O., § 204 Rz 15; Barein in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 42e Rz 12; Fumi, EFG 2003, 1106).

c) Bereits der Blick auf diese angeführten Vorschriften erhellt, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtigen aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit (zunehmend) Rechtsschutz in Form verbindlicher Auskünfte/Zusagen bereits vor der eigentlichen Steuerfestsetzung gewährt. Wird indessen ein solcher Rechtsschutz schon aus den bezeichneten Gründen gewährt, so darf der Rechtsschutz im Bereich des § 42e EStG für den Arbeitgeber, der zudem Entrichtungspflichtiger ist und für Lohnsteuerzwecke vom Fiskus in Anspruch genommen wird (zu den einschlägigen Arbeitgeberpflichten vgl. auch Drüen, FR 2004, 1134 ff.), nicht schwächer ausfallen.

4. Die bisherige Rechtsauffassung über die Anrufungsauskunft wurde der besonderen Stellung des Arbeitgebers nicht gerecht. Sie war im Wesentlichen und einseitig auf die Minderung bzw. den Ausschluss des Haftungsrisikos des Arbeitgebers (§ 42d EStG) fokussiert (vgl. hierzu Drüen, Inanspruchnahme Dritter für den Steuervollzug, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft 31, 167, 196). Der Arbeitgeber ist indes nicht nur durch ein latentes Zahlungs- und Haftungsrisiko, sondern bereits durch potentielle Lohnsteuerpflichten und einer damit einhergehenden Pflicht, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, belastet (ebenso Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 42e Rz 13, unter c). Wie der Streitfall zudem in besonderer Weise aufzeigt, können bereits die Einrichtung einer bestimmten Lohnbuchhaltung, mannigfaltige lohnsteuerliche Pflichten und die Abführung von Lohnsteuern zu einer erheblichen (Kosten-)Belastung führen.

Diesen besonderen Belastungen des Arbeitgebers trug die bisherige Rechtsauffassung, ausreichender Rechtsschutz könne auch noch durch Anfechtung einer Lohnsteuer-Anmeldung oder ggf. eines Nachforderungs- und Haftungsbescheids gewährt werden, nicht hinreichend Rechnung. Effektiver Rechtsschutz gebietet vielmehr, dass der Arbeitgeber frühestmöglichst und definitiv Klarheit über die Anwendung lohnsteuerrechtlicher Normen erhält. Hierzu räumt ihm die Vorschrift des § 42e EStG das Recht ein, nicht nur die Auffassung des FA zu erfahren, sondern auch Sicherheit über die zutreffende Rechtslage zu erlangen und seine —des Arbeitgebers— Rechte und Pflichten in einem besonderen Verfahren im Voraus (ggf. gerichtlich) verbindlich feststellen zu lassen (zur Absicherung zukünftiger Dispositionen durch Vorwegentscheidungen, vgl. auch Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 697 ff.). Nur auf diese Weise wird dem Zweck der Anrufungsauskunft hinreichend entsprochen, präventiv Konflikte zwischen dem Betriebsstätten-FA und dem Arbeitgeber zu vermeiden und auftretende lohnsteuerliche Fragen, die häufig auch die Kostenkalkulation des Arbeitgebers und —wie hier— die zivilrechtliche Ausgestaltung von Verträgen mit Mitarbeitern berühren, zeitnah einer Klärung zuzuführen. Die Klägerin weist insoweit zu Recht auch darauf hin, dass es mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens schwerlich vereinbar erscheint, dem vom Fiskus in die Pflicht genommenen Arbeitgeber, der mit dem Inhalt einer Anrufungsauskunft nicht einverstanden ist, anheim zu stellen, die Lohnsteuer zunächst (rechtswidrig) einzubehalten und abzuführen, den einschlägigen Rechtsschutz jedoch erst später durch Anfechtung entsprechender Lohnsteuer- bzw. Haftungsbescheide zu suchen.

5. Die Klage ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der erteilten Anrufungsauskunft liegen nicht vor.

Der Senat kann offen lassen, ob sich die Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) der Anrufungsauskunft nach den §§ 130 ff. AO richtet oder —wie das FG meint— eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 207 Abs. 2 AO zutreffend ist. In beiden Fällen hatte das FA jedenfalls eine Ermessensentscheidung zu treffen und hierin die für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände sorgfältig abzuwägen. Dies ist nicht geschehen. Schon deshalb können die angefochtenen Entscheidungen keinen Bestand haben. Im Übrigen hat sich das FA in seiner Aufhebungsverfügung in der Frage der Beurteilung der Mitarbeiter der Klägerin lediglich auf das vorbezeichnete —zum Zeitpunkt der Erteilung der Anrufungsauskunft überdies bereits veröffentlichte— Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 1999, 1015 berufen (zur einschlägigen Rechtsprechung des Senats vgl. auch Beschluss vom VI B 53/03, BFH/NV 2004, 42). Auch dies reicht nicht aus. Eine neuerliche, andersartige Gewichtung und Abwägung der Umstände, die die ursprüngliche (nunmehr fortwirkende) Anrufungsauskunft als nicht rechtmäßig hätten erscheinen lassen können, hat das FA nicht vorgenommen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

















Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:





























Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 996
BB 2009 S. 1666 Nr. 32
BFH/NV 2009 S. 1528 Nr. 9
BFH/PR 2009 S. 374 Nr. 10
BStBl II 2010 S. 996 Nr. 18
DB 2009 S. 1682 Nr. 32
DStR 2009 S. 1582 Nr. 31
DStRE 2009 S. 1027 Nr. 16
DStZ 2009 S. 709 Nr. 19
EStB 2009 S. 306 Nr. 9
FR 2010 S. 42 Nr. 1
GStB 2009 S. 37 Nr. 10
HFR 2009 S. 985 Nr. 10
KÖSDI 2009 S. 16595 Nr. 8
NJW 2009 S. 3118 Nr. 42
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2009 S. 2461
SJ 2009 S. 7 Nr. 16
StB 2009 S. 299 Nr. 9
StBW 2009 S. 5 Nr. 16
StBp. 2009 S. 276 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2009 S. 589
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2009 S. 657
StuB-Bilanzreport Nr. 23/2010 S. 916
HAAAD-25937