BGH Beschluss v. - VI ZR 133/06

Leitsatz

[1] Eine Klage auf Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (im Anschluss an Senat, Urteile vom - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876 f.; vom - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874 f.).

Eine solche Feststellungsklage ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, bleibt offen (im Anschluss an Senat, Urteil vom - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874, 875 m.w.N.)

Gesetze: ZPO § 256 Abs. 1

Instanzenzug: LG Frankfurt/Main 2/21 O 116/98 vom OLG Frankfurt/Main 8 U 155/03 vom

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sich die Klägerin gegen die Abweisung ihrer Anträge auf Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten für sämtliche materiellen Schäden wendet, die ihr als Folgen des ärztlichen Eingriffs am entstanden sind und entstehen werden und soweit sie sich gegen die Abweisung ihres Antrags auf Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten für die immateriellen Schäden wendet, die ihr als Folgen dieses Eingriffs entstehen werden und nicht von der Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld umfasst sind.

1. Die angefochtene Entscheidung verletzt mit der Abweisung dieser Feststellungsanträge den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Zwar ist ein Gericht nicht verpflichtet, zu jedem Angriffsmittel im Einzelnen Stellung zu nehmen (§ 313 Abs. 3 ZPO; Senat, Beschluss vom - VI ZR 227/04 - n.v.; - NJW 2005, 1432, 1433). Auch ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann festzustellen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE 96, 205, 216 f.). Solche Umstände liegen hier vor.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Abweisung der Feststellungsanträge ausschließlich auf die psychischen Schäden abgestellt, die nach Ansicht der Klägerin künftig zu befürchten, nach Ansicht des Berufungsgerichts aber von dem Zahlungsausspruch über das Schmerzensgeld umfasst seien. Das vermag die Abweisung der Feststellungsbegehren nicht zu tragen.

2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 276 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876; vom - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874, 875).

Ein zulässiger Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist (vgl. dazu Senat, Urteil vom - VI ZR 381/99 - aaO; von Gerlach VersR 2000, 525, 531 f.), bedarf unter den Umständen des Streitfalls keiner abschließenden Entscheidung.

Nach diesen Grundsätzen hatte das Berufungsgericht Veranlassung näher darzulegen, aus welchem Grund es die Feststellungsanträge der Klägerin umfassend zurückgewiesen hat. Das beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg.

3. Der Antrag, die Ersatzverpflichtung der Beklagten für sämtliche materiellen Schäden festzustellen, der mit einem bereits eingetretenen Schaden begründet wurde, war nach den genannten Grundsätzen der Rechtsprechung zulässig; davon ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler ausgegangen.

Der Antrag war auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen auch nicht unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Aufklärung zu dem Eingriff vom für verspätet und den Eingriff dementsprechend als haftungsbegründend für das zugesprochene Schmerzensgeld gewertet. Zugleich ist es davon ausgegangen, dass die mit der Operation verbundenen Schmerzen und Beschwerden sowie die daraus folgenden Beeinträchtigungen, insbesondere die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung bedürften, welche gute Erfolgsaussichten habe. Das Entstehen von Kosten für eine psychosomatische Behandlung und damit die Entstehung eines materiellen Folgeschadens ist nach der Lebenserfahrung wahrscheinlich. Die Kosten einer solchen Behandlung wären mithin ein Folgeschaden des rechtswidrigen Eingriffs, der geeignet ist, die begehrte Feststellung zu tragen. Die Klägerin hat zudem vorgetragen, dass weitere materielle Schäden zu befürchten seien.

Hiernach durfte das Berufungsgericht den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen Schäden aus der Operation vom nicht ohne hinreichende Begründung abweisen.

4. Im Ergebnis Entsprechendes gilt für die Abweisung der Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger immaterieller Beeinträchtigungen.

Auch insoweit ist ein Feststellungsinteresse zu bejahen, weil ein Grund bestehen kann, mit dem Eintritt von Spätschäden wenigstens zu rechnen (vgl. Senat, BGHZ 116, 60, 75; Urteil vom - VI ZR 106/90 - VersR 1991, 704, 705).

Das Berufungsgericht konnte auch diese Feststellungsklage nicht ohne weitere tatsächliche Feststellungen als unbegründet abweisen. Es hat in der nicht ausreichend aufgeklärten und daher rechtswidrigen Operation vom einen haftungsrechtlich relevanten Eingriff gesehen. Damit lagen die rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schmerzensgeld vor, wie das Berufungsgericht mit der Zubilligung einer solchen Entschädigung selbst erkannt hat. Eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für künftige immaterielle Schäden schied nur aus, wenn ausschließlich voraussehbare Schädigungsfolgen in Betracht standen, die von der Zubilligung des Schmerzensgelds umfasst wären (Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgelds; vgl. dazu Senat, Urteil vom - VI ZR 322/04 - VersR 2006, 1090, 1091). Dieses Ergebnis hat das Berufungsgericht ausschließlich mit psychischen Beeinträchtigungen begründet. Die Klägerin hatte jedoch durch Vorlage des Gutachtens Dr. P. vom vorgetragen, es seien nicht nur psychische Schäden, sondern auch organische Schäden wie Schrumpfungen von Narben und des Genitale eingetreten und die Auswirkungen der Entfernung von Eierstock und Eileiter seien nicht voraussehbar. Damit waren zukünftige immaterielle Beeinträchtigungen aufgrund organischer Operationsfolgen möglich. Hierzu hätte das Berufungsgericht Stellung nehmen müssen, denn derartige Folgen machen den Eintritt von darauf beruhenden Beschwerden nach der Lebenserfahrung wahrscheinlich. Dann aber kam eine Abweisung der Feststellungsklage auf Ersatz künftiger immaterieller Schäden ohne weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht.

Auch in diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob zur Begründetheit der Feststellungsklage eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 381/99 - aaO m.w.N.). Diese wäre im hier zu entscheidenden Fall zu bejahen.

5. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsurteil auf der Nichtbeachtung des Vortrags der Klägerin beruht, ist es in dem ausgesprochenen eingeschränkten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

6. Die weitergehende Nichtzulassungsbeschwerde hat dagegen keinen Erfolg. Sie zeigt nicht auf, dass die Rechtssache im Übrigen grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insbesondere ist insoweit eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Klägerin nicht ersichtlich. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 601 Nr. 9
BAAAC-39398

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja