Hinweispflicht des Gerichts; Verletzung des rechtlichen Gehörs; nicht mit Gründen versehenes Urteil
Gesetze: FGO § 76; FGO § 119 Nr. 6
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wohnte in den Streitjahren 1993 bis 1997 im Bezirk des Finanzamts A. Nach den vom Finanzgericht (FG) getroffenen Feststellungen erwarb er im Jahr 1993 ein Grundstück in B, das zum Bezirk des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) gehört. Auf dem Grundstück befand sich ein „Privatclub”. Dieses Anwesen hatte die inzwischen verstorbene Ehefrau des Klägers vom Voreigentümer gepachtet und als Dirnenunterkunft genutzt. Den Dirnen war es erlaubt, ihrem Gewerbe nachzugehen. Die gewerblichen Vermietungseinkünfte wurden von der Ehefrau des Klägers im Rahmen ihrer Steuererklärungen gegenüber dem Finanzamt A erklärt. Nach dem Grundstückserwerb durch den Kläger wurde das Grundstück weiterhin an dessen Ehefrau verpachtet. Ob der Kläger seither darin einen Bordellbetrieb unterhielt, ist zwischen den Beteiligten streitig. Hiervon geht das FA im Hinblick auf die Erkenntnisse in einem gegen den Kläger durchgeführten Strafverfahren vor dem Landgericht (LG) Z aus. In diesem Verfahren war der Kläger u.a. wegen Förderung der Prostitution rechtskräftig verurteilt worden. Das LG Z stellte fest, der Kläger habe (jedenfalls) in der Zeit von Anfang 1996 bis zu seiner am erfolgten Festnahme in dem Privatclub einen bordellartigen Barbetrieb unterhalten.
Nach Abschluss dieses Strafverfahrens wurde gegen den Kläger im April 2000 ein Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer eingeleitet. Die Ermittlungsbehörden gelangten zu der Erkenntnis, der Kläger habe in dem Privatclub einen Bordellbetrieb unterhalten und daraus gewerbliche Einkünfte erzielt. Das FA schloss sich dem an. Es erließ gegen den Kläger für die Jahre 1993 bis 1997 gesonderte Gewinnfeststellungsbescheide und Gewerbesteuermessbescheide, in denen gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb in B im Schätzwege festgestellt wurden.
Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage machte der Kläger geltend, in den Streitjahren habe er keinen Bordellbetrieb unterhalten. Sein Grundstück sei lediglich von seiner Ehefrau als Dirnenwohnheim vermietet worden. Soweit er, der Kläger, die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe im Rahmen des Strafverfahrens teilweise eingeräumt habe, habe dies dem beschleunigten Abschluss des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens und insbesondere dazu gedient, seine schwer erkrankte Ehefrau zu schützen. Diese sei ebenfalls angeklagt gewesen. Ihr sei jedoch die Einstellung des Strafverfahrens in Aussicht gestellt worden.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger in den Streitjahren einen Bordellbetrieb unterhalten habe. Diese Überzeugungsbildung stützte sich auf den Sachverhalt, den das LG Z festgestellt habe. Die in der dortigen Hauptverhandlung abgegebenen Einlassungen des Klägers seien zutreffend. Die Schlussfolgerungen der Strafkammer, der Kläger sei „Chef im Hause” gewesen, seien zutreffend. Die vor dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme lasse hieran keinen Zweifel aufkommen. Die Einlassung des Klägers, er habe, um seine schwer kranke Frau zu schonen, „alle Schuld auf sich genommen”, sei angesichts dessen, dass das Verfahren gegen sie nach drei Verhandlungstagen eingestellt worden sei, nicht plausibel.
Weiter heißt es im angefochtenen Urteil: „Das Gericht geht ferner davon aus, dass der Sachverhalt, den die Strafkammer nur für einen Teil der Jahre festgestellt hat, die Gegenstand dieses Feststellungszeitraums sind, für den gesamten streitbefangenen Zeitraum vorgelegen haben. Anhaltspunkte dafür, dass eine Änderung in den Geschäftsgepflogenheiten im Privatclub stattgefunden haben könnte, liegen nicht vor.”
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger geltend, das Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern. Das FG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung sowie den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt. Es habe die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen übernommen, obwohl er, der Kläger, hiergegen substantiierte Einwendungen erhoben habe. Zudem habe das FG den schriftsätzlich erhobenen Beweisantrag übergangen, seinen Strafverteidiger als Zeugen dazu zu hören, dass seine Einräumungen im Strafverfahren nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Solche Einräumungen und „Deals” seien in Strafverfahren üblich. Sie dienten dazu, das Verfahren zu beschleunigen. Hinzu komme, dass er seine Ehefrau habe schützen wollen. Er habe das Übergehen dieses Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung nicht rügen können. Denn nach dem Ergebnis der Vernehmung der übrigen Zeugen habe festgestanden, dass das FA hierauf seinen Steueranspruch nicht stützen könne. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass das FA die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide bewilligt habe. Dies sei auf Veranlassung des damaligen Berichterstatters geschehen. Dieser habe zum Ausdruck gebracht, die Schilderung des Klägers, wie es zu seinen Einlassungen im Strafverfahren gekommen sei, sei auch für das finanzgerichtliche Verfahren von Bedeutung. Es entspreche dem Gebot des fairen Verfahrens, dass das FG einen Hinweis geben müsse, wenn es hiervon abrücken wolle.
Zu Unrecht habe das FG seine Annahme, er, der Kläger habe in den Streitjahren einen Bordellbetrieb unterhalten, auf das Ergebnis der vom FG durchgeführten Beweisaufnahme gestützt. Überwiegend hätten die vernommenen Zeuginnen angegeben, er, der Kläger, sei nicht der „Chef” gewesen. Lediglich die Zeugin S habe das Gegenteil bekundet. Wer aber im Innenverhältnis zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau Betriebsinhaber gewesen sei, könne von der Zeugin nicht beurteilt werden. Ebenfalls nicht aussagekräftig sei die Aussage der Zeugin T. Deren Aussage betreffe lediglich einen Zeitraum von einer Woche. Die Beweiswürdigung durch das FG sei zudem willkürlich. Deshalb sei die Revision auch aus diesem Grund zuzulassen.
Das angefochtene Urteil sei auch teilweise nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Soweit das FG selbst in seinem Urteil zum Ausdruck gebracht habe, im Strafverfahren seien Feststellungen nur zu einem Teil der Jahre erbracht worden, bleibe unklar, ob das FG nur das Jahr 1997 oder auch das Jahr 1996 meine. Jedenfalls für die Jahre 1993 bis 1995 sei das angefochtene Urteil nicht mit Gründen versehen. Denn das FG habe in seinem Urteil lediglich floskelhaft zum Ausdruck gebracht, es gehe davon aus, dass der im Strafverfahren festgestellte Sachverhalt auch in den übrigen Jahren vorgelegen hätte. Eine eigentliche Begründung hierfür fehle.
Der Kläger beantragt, die Revision gegen das angefochtene Urteil in vollem Umfang zuzulassen.
Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde zu verwerfen.
II. Die Beschwerde ist, soweit sie die Streitjahre 1996 und 1997 betrifft, unzulässig. Hinsichtlich der übrigen Streitjahre ist die Beschwerde zulässig und auch begründet.
1. Die Beschwerdebegründung zu den Streitjahren 1996 und 1997 entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 FGO.
a) Die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil sei, soweit es die Streitjahre 1996 und 1997 betreffe, deshalb nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO), weil unklar sei, ob das FG die strafgerichtlichen Feststellungen nur für 1996 oder auch für das Folgejahr übernommen habe, ist nicht schlüssig erhoben.
Zwar kann § 119 Nr. 6 FGO auch dann verletzt sein, wenn in dem Urteil die Gründe nur zum Teil fehlen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 24). Ob eine unklare Begründung einer fehlenden Begründung gleichsteht, kann im Streitfall offenbleiben. Jedenfalls liegt dieser Verfahrensfehler nicht vor, wenn das Urteil bei verständiger Würdigung insoweit einen eindeutigen Inhalt hat. Der Kläger hätte daher konkret darlegen müssen, dass das Urteil auch unter Berücksichtigung seines gesamten Inhalts keine eindeutige Aussage treffe.
Der Kläger berücksichtigt insoweit nicht, dass das FG in seinem Urteil (dort S. 5) zum Ausdruck gebracht hat, der in dem strafgerichtlichen Urteil festgestellte Sachverhalt treffe zu. In dem Urteil des LG Z vom , auf welches das FG Bezug genommen hat, wurde festgestellt, der Kläger habe in der Zeit von 1996 bis Anfang 1998 einen Bordellbetrieb unterhalten. Vor diesem Hintergrund ist eindeutig, dass das FG die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen für die Streitjahre 1996 und 1997 übernommen hat.
b) Der Kläger legt auch nicht dadurch schlüssig einen Verfahrensmangel dar, dass er rügt, das FG habe zu Unrecht die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen übernommen. Zwar kann es verfahrensfehlerhaft sein, wenn ein FG solche Feststellungen übernimmt, obwohl der Kläger hiergegen substantiierte Einwendungen erhoben und entsprechende Beweisanträge gestellt hat, denen das FG nicht nachgeht (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198; , juris Nr: STRE200650598). In einem solchen Fall kann ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO), den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) sowie gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gegeben sein.
Einen solchen Fall schildert der Kläger indessen nicht. Denn das FG ist zur Begründung dafür, dass der Kläger (jedenfalls) in den Streitjahren 1996 und 1997 einen Bordellbetrieb unterhalten hat, zwar „dem vom Strafgericht festgestellten Sachverhalt gefolgt”. Es hat insoweit in erster Linie darauf abgehoben, dass der Kläger in dem Strafverfahren selbst eingeräumt hat, von den Frauen die Hälfte des Dirnenlohns verlangt und erhalten zu haben. Auch habe er diesen Lohn, der in eine Gemeinschaftskasse einzulegen war, täglich abgerechnet und den Anteil, der den Frauen zugestanden habe, an diese ausbezahlt. Zudem habe er den Frauen die Preise genannt, die sie für ihre Dienstleistungen verlangen sollten. Dies seien jedoch nur Richtpreise gewesen. Er habe darauf gedrängt, dass sich die Frauen regelmäßig ärztlich untersuchen ließen und sie regelmäßig hierzu ins Gesundheitsamt gefahren. Schließlich habe er neue Frauen in die Arbeitsabläufe und in das Abrechnungswesen eingewiesen.
Dass er im Strafverfahren diese Angaben gemacht hat, hat der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht bestritten. Seine Einwendungen gehen lediglich dahin, dass er in Abrede stellt, diese Angaben hätten der Wahrheit entsprochen. Insoweit hat aber das FG nicht lediglich die Würdigung im strafgerichtlichen Urteil zur Glaubhaftigkeit dieses Geständnisses übernommen. Es hat vielmehr nach Vernehmung mehrerer Zeuginnen das Geständnis eigenständig gewürdigt und es als der Wahrheit entsprechend erachtet. Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass das FG dem klägerischen Beweisantrag, seinen Strafverteidiger als Zeugen zu hören, nicht nachgegangen ist. Denn insoweit hat der Kläger sein Rügerecht verloren (siehe unter 1.d).
c) Auch mit seinem Vortrag, das FG habe Aussagen der von ihm vernommenen Zeuginnen unzutreffend gewürdigt, legt der Kläger keinen Revisionszulassungsgrund dar. Ob eine Zeugenaussage glaubhaft und geeignet ist, den Beweis für eine bestrittene Tatsache zu erbringen, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Diese ist dem materiellen Recht zuzuordnen. Demgemäß leidet eine Beweiswürdigung, wenn sie unzutreffend sein sollte, nicht unter einem Verfahrensmangel, sondern sie ist materiell-rechtlich fehlerhaft (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 205/05, juris Nr: STRE200650344, m.w.N.).
Ein materiell-rechtlicher Fehler begründet —auf der Rechtsgrundlage des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO— nur dann einen Grund für die Zulassung der Revision, wenn die Entscheidung greifbar gesetzwidrig ist. Die angefochtene Entscheidung muss objektiv willkürlich erscheinen oder auf sachfremden Erwägungen beruhen. Auch darf die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar sein (Senatsbeschluss vom X B 126/05, BFH/NV 2006, 1125; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 68 ff.). Unter einem solchen Mangel leidet die Würdigung der Beweise durch das FG ersichtlich nicht. Es war jedenfalls vertretbar, der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen des Strafverfahrens ein Teilgeständnis abgelegt hat, einen hohen Beweiswert einzuräumen. Denn das FG hat die Einlassung des Klägers, er habe seine Frau schützen wollen, für widerlegt angesehen, nachdem das Strafverfahren gegen diese am dritten Verhandlungstag vorläufig eingestellt worden war (§ 153a der Strafprozessordnung —StPO—) und diese ab diesem Zeitpunkt nicht mehr des Schutzes bedurfte. Auch die Annahme des FG, die Aussagen der Zeuginnen, welche die vom Kläger im Rahmen seines Geständnisses eingeräumten Handlungen teilweise bestätigt haben, seien glaubhaft, zeigt keine sachwidrigen Erwägungen auf. Gleiches gilt, soweit das FG die Aussagen anderer Zeuginnen, welche zum Ausdruck gebracht haben, der Kläger sei in dem Privatclub nicht der Chef gewesen, mit dem Argument keinen Glauben geschenkt hat, deren Erinnerungsvermögen an die lange zurückliegenden Vorgänge, sei verblasst.
d) Der Kläger hat auch das Übergehen eines Beweisantrags nicht schlüssig gerügt.
Die schlüssige Rüge eines solchen Verfahrensmangels, der einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO und Art. 103 Abs. 1 GG darstellen würde, setzt jedoch voraus, dass dargelegt wird, das Rügerecht sei nicht infolge Rügeverzichts verloren gegangen oder dies sei deshalb unbeachtlich, weil sich dem FG eine Beweiserhebung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Denn zu den Verfahrensmängeln, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung —ZPO—), gehört nach der ständigen Rechtsprechung auch das Übergehen eines Beweisantrags (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843, m.w.N.). Ein Verzichtswille ist hierbei nicht erforderlich (, BFH/NV 2004, 207).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger räumt selbst ein, dass er seinen schriftsätzlich gestellten Antrag, seinen früheren Strafverteidiger als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, aus welchen Gründen er, der Kläger, die Tatvorwürfe im Strafverfahren zum Teil eingeräumt habe, in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt und die unterlassene Beweisaufnahme auch nicht gerügt hat, obwohl er rechtskundig vertreten war.
Der Kläger behauptet zwar, eine solche Rüge sei nicht möglich gewesen, weil der Verfahrensverstoß erst aufgrund des Urteils erkennbar geworden sei. Dass dies der Fall war, legt er aber nicht schlüssig dar. Er berücksichtigt insbesondere nicht, dass ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem der vom Kläger benannte Zeuge nicht zu der Verhandlung geladen und dort auch nicht erschienen war. Auch war die Vernehmung dieses Zeugen in dem Beweisbeschluss des nicht angeordnet worden, obwohl dessen Vernehmung im Schriftsatz des Klägers vom beantragt worden war. Aufgrund dieser Umstände musste der rechtskundig vertretene Kläger in Erwägung ziehen, das FG werde seinem Beweisantrag nicht entsprechen. Es oblag ihm daher, vorsorglich die unterlassene Beweiserhebung zu rügen. Wegen dieser Besonderheit unterscheidet sich der vorliegende Streitfall von demjenigen, welcher der Entscheidung des BFH in BFH/NV 2004, 207 zugrunde lag.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die fehlende Erkennbarkeit folge daraus, dass das FG keinen entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung gegeben habe. Das FG ist im Allgemeinen nicht verpflichtet, den Prozessbeteiligten seine vorläufige Beweiswürdigung oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung zahlreicher Einzelumstände offenzulegen. Eine solche Pflicht lässt sich weder aus § 76 Abs. 2 FGO noch aus dem Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör herleiten (Senatsbeschluss vom X B 132/02, BFH/NV 2004, 495). Eine Hinweispflicht kann allerdings dann bestehen, wenn sich sonst das Urteil als eine sog. Überraschungsentscheidung erweisen würde. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein Rechtskundiger nicht zu rechnen brauchte. Eine solche Konstellation kann gegeben sein, wenn der Spruchkörper im Verlauf des Verfahrens einen rechtlichen Hinweis gibt und später im Urteil entgegengesetzt entscheidet, ohne die Beteiligten zuvor auf diese abweichende Beurteilung hinzuweisen. Denn in einem solchen Fall werden die Grundrechte des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs verletzt (, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 3202; , BFH/NV 2003, 1440).
Dass diese Voraussetzungen im Streitfall vorgelegen hätten, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Eine solche Hinweispflicht besteht regelmäßig dann nicht, wenn der Vollsenat von einer Rechtsansicht abweicht, die der Berichterstatter zu einem früheren Zeitpunkt gegenüber den Prozessbeteiligten geäußert hat. Denn ein rechtskundig vertretener Prozessbeteiligter kann im Allgemeinen nicht darauf vertrauen, der Spruchkörper werde der Rechtsansicht des Berichterstatters folgen (, juris Nr: STRE200251063). Im Übrigen ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers lediglich, dass der frühere Berichterstatter die Ansicht vertreten hat, es sei von Bedeutung, unter welchen Begleitumständen das Teilgeständnis abgegeben worden sei. Hiervon ist der Vollsenat nicht abgerückt. Denn er hat den vom Kläger in den Vordergrund gestellten Gesichtspunkt geprüft und mit nachvollziehbarer Begründung verneint, dass das Teilgeständnis wahrheitswidrig war.
Dem FG musste sich die Vernehmung des früheren Strafverteidigers des Klägers auch nicht von Amts wegen aufdrängen. Eine solche Zeugenvernehmung kann im Rahmen der Sachaufklärungspflicht insbesondere dann geboten sein, wenn allein durch eine solche Maßnahme Erkenntnisse zum tatsächlichen Geschehensablauf gewonnen werden können (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 190/05, BFH/NV 2006, 1681). Eine solche Lage war im Streitfall nicht gegeben. Denn das FG hat den Wahrheitsgehalt des vom Kläger im Strafverfahren abgegebenen Teilgeständnisses mittels der Vernehmung mehrerer Zeuginnen geprüft.
2. Hinsichtlich der Streitjahre 1993 bis 1995 hat der Kläger schlüssig gerügt, dass das Urteil insoweit nicht i.S. von § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen ist. Dieser Verfahrensfehler liegt auch tatsächlich vor.
a) Ein Urteil ist dann nicht (ganz oder teilweise) mit Gründen versehen, wenn den Prozessbeteiligten die Grundlage entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (, BFH/NV 2006, 2198). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn Urteilsgründe bezogen auf einzelne Streitgegenstände vollständig fehlen. Urteilsgründe fehlen auch dann, wenn die Erwägungen in dem angefochtenen Urteil nur in inhaltslosen Floskeln bestehen (, BFH/NV 2000, 968). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das FG in seiner Urteilsbegründung nicht lediglich fehlerhafte Erwägungen anstellt oder nicht auf alle vorgetragenen Argumente eingeht, sondern die Begründung eine Auseinandersetzung mit den tragenden Erwägungen der Beteiligten vermissen lässt. Ein Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO kann aus diesem Grund gegeben sein, wenn in dem Urteil Ausführungen dazu völlig fehlen, aufgrund welcher Beweise das Gericht zu seinem Ergebnis gelangt ist (, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707; , BFH/NV 2004, 1411).
Einen solchen Sachverhalt hat der Kläger geschildert. Dieser liegt auch tatsächlich vor.
Das FG hat zur Begründung seiner Annahme, der Kläger habe auch in den Streitjahren 1993 bis 1995 einen Bordellbetrieb unterhalten, lediglich ausgeführt, hiervon sei auszugehen, weil eine Änderung der Geschäftsgepflogenheiten in dem Privatclub nicht feststellbar sei. Diese Begründung erweist sich als inhaltsleere Floskel. Denn das FG hat die in den Jahren 1993 bis 1995 bestehenden Geschäftsgepflogenheiten gerade nicht festgestellt. Das FG setzt sich hinsichtlich dieser Streitjahre nicht einmal ansatzweise mit dem Vorbringen des Klägers auseinander, er habe —in diesen Streitjahren— keinen solchen Bordellbetrieb unterhalten. Das FG lässt seine Feststellung im Tatbestand außer acht, der Voreigentümer habe den Privatclub an die Ehefrau des Klägers vermietet, die ein Dirnenwohnheim betrieben habe. Das FG hatte deshalb Anlass zu prüfen, ob bzw. bis zu welchem Zeitpunkt lediglich eine gewerbliche Vermietung der Räume des Privatclubs anzunehmen ist. Hierbei hätte es in seine Überlegungen auch einbeziehen müssen, dass das LG Z in seinem Strafurteil aus strafprozessualen Gründen davon ausgegangen ist, eine solche bloße gewerbliche Vermietung habe bis zum Jahr 1995 vorgelegen. Die Strafkammer hat ausgeführt (Urteilsabdruck S. 5 f.), es sei „nicht ausgeschlossen, dass der Privatclub in den ersten Jahren nach Übernahme durch die Eheleute R. weiterhin als 'eine Art Dirnenwohnheim' genutzt” worden sei. Der Kläger sei „zumindest ab 1996 entschlossen (gewesen), nicht bloß ein 'Dirnenheim' zu führen”. Die vom LG Z vernommenen Zeuginnen waren ausschließlich solche, die ab dem Jahre 1996 im „Privatclub” arbeiteten (Urteil S. 7 ff.).
Das FG hat sich in Bezug auf die Jahre 1993 bis 1995 auch nicht mit den Erkenntnissen auseinandergesetzt, die es im Rahmen seiner Beweisaufnahme gewonnen hat. Ausweislich des Protokolls über die Zeugenvernehmung vor dem FG haben die beiden Zeuginnen, die ihren Angaben zufolge während der Jahre 1993 bis 1995 in dem Privatclub beschäftigt waren, angegeben, die Ehefrau des Klägers sei in dem Privatclub „die Chefin” bzw. „Chef” sei nicht der Kläger gewesen. Vor diesem Hintergrund musste sich dem FG die Prüfung der Frage aufdrängen, ob in diesen Jahren die Ehefrau des Klägers Inhaberin des Bordellbetriebs war, sofern in diesen Jahren ein solcher Betrieb tatsächlich bestanden haben sollte. Gegebenfalls hätte das FG in Erwägung ziehen und belegen müssen, ob der Kläger trotz des Auftretens seiner Ehefrau nach außen gleichwohl der Inhaber des Betriebs war, sofern diese auf Weisung und für Rechnung des Klägers tätig war (sog. Strohmannverhältnis; vgl. hierzu z.B. , BFHE 176, 285, BStBl II 1999, 275).
b) Da von einem nachfolgenden Revisionsverfahren keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist, hält es der Senat für angezeigt, das angefochtene Urteil, soweit es die Streitjahre 1993 bis 1995 betrifft, durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das FG im Rahmen der erneuten Verhandlung der Streitsache gehalten sein wird, den Kläger eingehend zu befragen, ab welchem Zeitpunkt er den Bordellbetrieb unterhalten hat. Denn aufgrund des heutigen Senatsbeschlusses steht jedenfalls für die Streitjahre 1996 und 1997 rechtskräftig fest, dass er in diesen Jahren Inhaber eines solchen Gewerbebetriebs war. Auch besteht für den Kläger anders als im Strafverfahren im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens eine Mitwirkungspflicht. Kann im finanzgerichtlichen Verfahren der Sachverhalt deshalb nicht vollständig aufgeklärt werden, weil der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, kann dies im Rahmen der Beweiswürdigung zur Folge haben, dass aus dem Verhalten des Klägers für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden können (Senatsurteil vom X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 480 Nr. 3
KÖSDI 2007 S. 15425 Nr. 2
VAAAC-36542