BGH Beschluss v. - IX ZB 218/04

Leitsatz

[1] Zur Annahme grober Fahrlässigkeit im Falle der Aushändigung eines Merkblatts zur Wohlverhaltensperiode.

Gesetze: InsO § 290 Abs. 1 Nr. 5

Instanzenzug: AG Göttingen 74 IK 36/03 vom LG Göttingen 10 T 94/04 vom

Gründe

I.

Am eröffnete das Insolvenzgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners; zugleich stundete es ihm die Verfahrenskosten. Am verstarb der Vater des Schuldners. Nach dessen Vortrag berief sich der Sohn der vorverstorbenen Lebensgefährtin des Vaters bald danach auf das Eigentum seiner Mutter an der Wohnungseinrichtung und forderte erfolgreich deren Herausgabe. Den weiteren Ausführungen des Schuldners zufolge erfuhr er erst am bei einem Gespräch mit Vertretern der Sparkasse G. von einem Kontoguthaben seines Vaters in Höhe von knapp 44.000 €; dies habe er dem Treuhänder mit Schreiben vom mitgeteilt.

Die (weitere) Beteiligte zu 1 hat im schriftlichen Verfahren rechtzeitig die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt und die Stundung aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen diesen Beschluss ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Schuldners.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1, § 4d Abs. 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Der Schuldner habe die Pflicht gehabt, den Treuhänder darüber zu informieren, dass ihm durch eine Erbschaft Vermögen zugefallen sei. Ob die Benachrichtigung des Treuhänders rechtzeitig gewesen sei, könne dahinstehen. Maßgeblich sei, dass der Schuldner grob fahrlässig gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen habe, indem er aus dem Nachlass 8.000 Euro entnommen und für eigene Zwecke verbraucht habe. Im Blick auf die Versagung der Restschuldbefreiung sei auch die Entscheidung des Amtsgerichts, die Stundung aufzuheben, nicht zu beanstanden.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat.

b) Ob der Schuldner objektiv gegen eine Mitwirkungspflicht verstoßen hat, indem er als Erbe vom Konto seines verstorbenen Vaters 8.000 Euro abgehoben und für eigene Zwecke verbraucht hat, kann dahinstehen. Der Schuldner beruft sich insoweit darauf, gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur verpflichtet gewesen zu sein, die Erbschaft zur Hälfte ihres Wertes an den Treuhänder herauszugeben. Jedenfalls hat der Schuldner den subjektiven Tatbestand des Versagungsgrundes in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO insoweit nicht erfüllt.

aa) Für eine vorsätzliche Pflichtwidrigkeit des Schuldners bieten die Feststellungen des Landgerichts keinen Anhaltpunkt. Dessen Annahme, der Schuldner habe grob fahrlässig gehandelt, ist rechtsfehlerhaft.

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist ein Rechtsbegriff. Die Feststellung der Voraussetzungen ist zwar tatrichterliche Würdigung und mit der Rechtsbeschwerde nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. , WM 1991, 1946, 1948; v. - IX ZR 265/91, NJW 1992, 3235, 3236). So liegt es hier.

bb) Der Verschuldensgrad der groben Fahrlässigkeit ist in § 290 InsO nicht definiert. Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (BGHZ 10, 12, 16; 89, 153, 161; aaO; v. , aaO; v. - II ZR 17/03, NJW 2005, 981, 982; ebenso etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rn. 45).

Dem Schuldner ist mit dem Eröffnungsbeschluss ein - nicht bei den Akten befindliches - "Merkblatt zur Wohlverhaltensperiode" zugestellt worden. Zum Inhalt des Merkblatts stellt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom fest:

"Darin wird der Schuldner darauf hingewiesen, dass er über einen Zeitraum von sechs Jahren gerechnet ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestimmte Pflichten (Obliegenheiten) zu erfüllen hat. Danach werden die in § 295 InsO geregelten Pflichten aufgeführt, u.a. die Verpflichtung, von Todes wegen erworbenes Vermögen zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben."

Nach dem eindeutigen Inhalt des Merkblatts sollen die in § 295 InsO genannten Obliegenheiten des Schuldners mit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einsetzen. Die Verpflichtung, Vermögen, das der Schuldner von Todes wegen erwirbt, (nur) zur Hälfte des Werts an den Treuhänder herauszugeben, wird ausdrücklich mit Bezug auf diesen Zeitpunkt erwähnt. Aus den weiteren Ausführungen des Amtsgerichts ergibt sich zudem, dass das Merkblatt zu § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO mit dem Hinweis schließt, der Schuldner könne die andere Hälfte (der Erbschaft) behalten. Wenn der Schuldner danach -wie er unwiderlegt geltend macht - der Auffassung war, er könne einen Betrag, der weit unter der Hälfte des Werts der im Erbgang erworbenen Guthabenforderung liegt, abheben und für sich verbrauchen, dann rechtfertigt dies nicht den Schluss, er habe hierbei schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall Jedermann einleuchten müsste.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Schuldner auch nicht verpflichtet, bei dem Treuhänder oder dem Insolvenzgericht nachzufragen. Er durfte vielmehr davon ausgehen, dass das ihm vom Insolvenzgericht zugestellte Merkblatt die für ihn maßgebliche Rechtslage in einer für nicht juristisch vorgebildete Personen klaren und eindeutigen Weise erläutert. Allein dies entspricht dem Zweck eines die Gesetzeslage erklärenden, dem Bürger als Verhaltensmaßregel an die Hand gegebenen Merkblattes. Das Landgericht stellt nicht fest, dass dessen Fassung beim Schuldner Zweifel an "seiner irrigen Rechtsauffassung" hätte wecken müssen.

3. Weitere Umstände, die die Anwendung des vom Landgericht angenommenen Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO tragen könnten, sind dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Die Vorinstanz lässt ausdrücklich dahinstehen, ob eine Benachrichtigung des Treuhänders mit Schreiben vom noch rechtzeitig war. Dies kann auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht verneint werden: Die Behauptung des Schuldners, dieses Schreiben an den Treuhänder, der den Zugang bestreitet, gesandt zu haben, ist in den Tatsacheninstanzen nicht widerlegt worden. In seiner Beschwerdebegründung hat sich der Schuldner darauf berufen, die Wohnungseinrichtung, deren Wert er auf ca. 40.000 € geschätzt habe, alsbald nach dem Tod des Vaters an den Sohn der vorverstorbenen Lebensgefährtin herausgegeben zu haben. Mit der sofortigen Beschwerde hat er weiter geltend gemacht, erst am bei einem Gespräch mit der Sparkasse G. von dem Guthaben erfahren zu haben. Die materielle Feststellungslast für das Vorliegen des von ihm behaupteten Versagungsgrundes trägt der Gläubiger, hier also die Beteiligte zu 1 (vgl. BGHZ 156, 139, 147; , WM 2005, 1858, 1859). Danach könnte von einer verspäteten Benachrichtigung des Treuhänders nicht ausgegangen werden. Allerdings ist die Gläubigerin zu dem Beschwerdevorbringen des Schuldners, soweit ersichtlich, nicht angehört worden.

4. Weitere, in § 290 Abs. 1 InsO aufgeführte Versagungsgründe hat die Beteiligte zu 1 nicht ausdrücklich geltend gemacht. Soweit ihr Vorbringen auch nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO zu würdigen sein sollte, fehlte es jedenfalls am subjektiven Tatbestand.

5. Mit der Aufhebung der Versagung der Restschuldbefreiung entfällt zugleich die Grundlage für die Aufhebung der Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4c Nr. 5 InsO.

6. Da die Sache mangels einer Anhörung der Gläubigerin zu dem Beschwerdevorbringen des Schuldners noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
WM 2006 S. 1438 Nr. 30
LAAAB-99751

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja