BGH Beschluss v. - IV ZR 386/02

Leitsatz

[1] Hätte eine Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Einlegung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden müssen und erledigt sich dieser Zulassungsgrund vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts in anderer Sache, ist die Revision gleichwohl zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat. Anderenfalls ist die Beschwerde unter Hinweis auf die fehlende Erfolgsaussicht zurückzuweisen (im Anschluß an - BGH-Report 2004, 1189 unter 2 b; Beschluß vom - V ZR 260/03 - unter II 2 b bb).

Gesetze: ZPO 2002 § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug: OLG Bamberg vom LG Coburg

Gründe

I. Die Parteien sind Versicherungsgesellschaften und streiten darum, wer von ihnen letztlich für die Kosten des Rücktransports eines in Afrika schwer erkrankten Versicherten nach Deutschland einzustehen hat. Der Versicherte war Mitglied der D. R. , die mit der Klägerin eine Flugrückholkostenversicherung abgeschlossen hatte, den Rücktransport durchführte und dem Versicherten in Rechnung stellte. Diese Kosten wurden zunächst von der Klägerin getragen, die nach den Versicherungsbedingungen aber Regreß nehmen konnte, soweit dem Versicherten ein Deckungsanspruch gegen einen anderen, primär haftenden Versicherer zustand. Im vorliegenden Fall war der über die D. R. bei der Klägerin Versicherte außerdem bei der Beklagten krankenversichert. Gegenüber dem Regreßanspruch der Klägerin hat sich die Beklagte unter anderem auf ein Abtretungsverbot in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auf die Unwirksamkeit der von der Klägerin verwendeten Klauseln über deren nur subsidiäre Haftung sowie auf die Unanwendbarkeit des § 67 Abs. 1 VVG für den hier geltend gemachten Rückgriffsanspruch berufen.

Die Vorinstanzen haben der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde.

II. Die Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. a) Die Beklagte macht geltend, die Revision müsse zur Klärung der folgenden drei Grundsatzfragen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen werden, nämlich ob ein formularmäßiges Abtretungsverbot in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der privaten Krankenversicherung wirksam sei, ob Subsidiaritätsklauseln im Rahmen von Flugrückholkostenversicherungen einer Inhaltskontrolle standhielten und ob eine Regreßberechtigung aus § 67 Abs. 1 VVG auch dann angenommen werden könne, wenn der Subsidiärversicherer Zahlungen in Kenntnis seiner nachrangigen Zahlungsverpflichtung leiste.

b) Diese Fragen sind durch das Urteil des Senats vom (IV ZR 113/03 - VersR 2004, 994) geklärt worden. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles rechtfertigen keine Abweichungen oder Ergänzungen. Allein deshalb kann die Beschwerde hier jedoch nicht zurückgewiesen werden.

2. a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist hier bereits am eingelegt worden, also vor dem Urteil des Senats vom . Im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde hätte der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht verneint werden können. Mithin konnte der Beschwerdeführer davon ausgehen, daß in einem Revisionsverfahren über die im Allgemeininteresse liegende Klärung der Zulassungsfragen hinaus in seinem individuellen Interesse auch eine volle Überprüfung des Berufungsurteils auf Rechtsfehler stattfinden werde (zu den Zielen des Revisionsverfahrens nach neuem Recht vgl. allgemein BVerfG NJW 2004, 1371; Wenzel, NJW 2002, 3353 f.).

Diese verfahrensrechtliche Position darf dem Beschwerdeführer nicht durch das Revisionsgericht dadurch entzogen werden, daß durch seine - vom Beschwerdeführer nicht veranlaßte oder auch nur voraussehbare - Arbeits- und Entscheidungsreihenfolge die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Zulassungsgründe vor der Entscheidung über seine Nichtzulassungsbeschwerde in einem anderen Verfahren geklärt werden (so auch - BGH-Report 2004, 1189 unter 2 b; Beschluß vom - V ZR 260/03 - unter II 2 b bb - zur Veröffentlichung bestimmt). Eine solche Verfahrensweise würde gegen die in Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG verbürgten Erfordernisse der Rechtsmittelklarheit, der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns sowie der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes verstoßen (vgl. BVerfGE 49, 148, 164; 74, 228, 234; 96, 27, 39).

b) Anders kann es allerdings liegen, wenn sich die Zulassungsgründe vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde etwa aufgrund einer dem Revisionsgericht unzugänglichen Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse des zu beurteilenden Sachverhalts erledigt haben (wie im - NJW 2003, 1609 unter II 2 a). Denn für die Frage, ob die Revision im Hinblick auf § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen ist, kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde an ( - NJW-RR 2003, 352; Beschluß vom aaO; Beschluß vom - XI ZR 193/02 - NJW 2003, 2319 unter 2 c; Beschluß vom - XII ZR 303/02 - NJW 2003, 3352 unter II 6; Beschluß vom aaO unter II 2 b aa).

c) Danach sind in verfassungskonformer Auslegung von §§ 543 Abs. 2 Satz 1, 544 Abs. 4 ZPO bei einer Beschwerde, die im Zeitpunkt ihrer Einlegung wegen grundsätzlicher Bedeutung hätte zugelassen werden müssen, bei der sich dieser Zulassungsgrund aber wie hier durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts in anderer Sache erledigt hat, die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers gleichwohl in vollem Umfang vom Revisionsgericht zu prüfen. Die Revision ist zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat. Andernfalls ist die Beschwerde unter Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten zurückzuweisen (vgl. Beschluß vom aaO; Beschluß vom aaO unter II 2 b bb (2.)).

3. Dementsprechend hat der Senat das hier angegriffene Berufungsurteil auf Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten überprüft. Soweit in der Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsfehler gerügt werden, stehen sie im Zusammenhang mit den geltend gemachten Zulassungsgründen und können aus den im Senatsurteil vom (aaO) genannten Gründen keinen Erfolg haben. Soweit der Beschwerdeführer insbesondere geltend macht, im vorliegenden Fall bestehe - anders als im Falle des Senatsurteils vom - keine Vorleistungspflicht des Subsidiärversicherers und ohne eine solche Verpflichtung sei die vereinbarte Subsidiaritätsklausel unwirksam (§ 9 AGBG), rechtfertigt dieser Einwand keine andere Beurteilung. Nach Maßgabe der Ziffer 6.4 der dem Vertrag zwischen der Klägerin und der D. R. zugrunde liegenden "Geschriebenen Bedingungen" erfolgen die Schadenszahlungen monatlich für all diejenigen Schäden, bei denen die Unterlagen vollständig vorliegen (dazu vgl. Ziffer 6.3 der Bedingungen); Ziffer 6.6 bestimmt ergänzend, daß der Rückgriff auf andere eventuell bestehende Kostenträger durch den Versicherer erfolgt. Eine Vorleistung durch die Klägerin entspricht damit den vertraglichen Vereinbarungen; mit ihr wird innerhalb des bestehenden Versicherungsverhältnisses ein Schaden ersetzt, der unter den genommenen Versicherungsschutz fällt (vgl. IVa ZR 143/87 - VersR 1989, 250 unter 3).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
JAAAB-99354

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein