Büro- und Praxisgemeinschaft keine Mitunternehmerschaft
Leitsatz
Im Unterschied zu einer Gemeinschaftspraxis (Mitunternehmerschaft) hat eine Büro- und Praxisgemeinschaft lediglich den Zweck, den Beruf in gemeinsamen Praxisräumen auszuüben und bestimmte Kosten von der Praxisgemeinschaft tragen zu lassen und umzulegen. Ein einheitliches Auftreten nach außen genügt nicht, um aus einer Bürogemeinschaft eine Mitunternehmerschaft werden zu lassen.
Gesetze: EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2EStG § 16 Abs. 1 Nr. 2,EStG § 18 Abs. 3, 4
Instanzenzug: (EFG 2003, 1618) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Mitunternehmeranteil steuerbegünstigt veräußert worden ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) T —von Beruf Steuerberater— und die Rechtsanwälte L und B als gemeinsame Vertragspartner verbanden —so § 1 des Gesellschaftsvertrags (GV) vom — ihre selbständigen Kanzleien in H und LE nach außen in Form einer Sozietät und nach innen in Form einer Bürogemeinschaft. Sie gründeten mit Wirkung vom eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Zweck die gemeinsame Berufsausübung war (§ 2 Abs. 1 GV) und trafen u.a. folgende Vereinbarungen:
Jeder Vertragspartner übt seine Tätigkeit unabhängig und in eigener Verantwortung aus. Nach außen tritt die Gesellschaft unter gemeinsamem Briefpapier und Praxisschild auf (§ 5 Abs. 1 GV). Die Vertragspartner stellen ihre Rechnungen unter dem gemeinsamen Namen, aber für eigene Rechnung aus (§ 5 Abs. 2 GV). Es werden getrennte Konten geführt, für die jeder Gesellschafter allein haftet (§ 5 Abs. 3 GV). Einnahmen und Ausgaben der jeweiligen Partner werden in getrennten Buchungskreisen erfasst. Jeder Partner ermittelt das Betriebsergebnis für seinen jeweiligen Bereich völlig getrennt von den Partnern (§ 5 Abs. 4 GV). Für die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung werden die einzelnen Bereiche zusammengefasst und entsprechend ihres jeweiligen Ergebnisses der Steuer unterworfen (§ 5 Abs. 5 GV).
Alle der gemeinschaftlichen Berufsausübung der Partner dienenden Gegenstände bleiben Vermögen des einzelnen Partners, der den Vermögensgegenstand in die Partnerschaft einbringt (§ 6 Abs. 1 GV). Der eingebrachte Praxiswert bleibt Vermögen des jeweiligen Partners. Der aus neu erworbenen Mandaten entstehende Praxiswert steht dem jeweiligen Partner uneingeschränkt allein zu (§ 6 Abs. 2 GV).
In H haben die Vertragspartner gemeinschaftliche Büroräume. Angeschaffte Einrichtungen werden, soweit nichts anderes vereinbart wird, Eigentum der Sozietät (§ 7 Abs. 1, 2 GV). Die Partnerschaft schließt für jeden Partner und Mitarbeiter eine Berufshaftpflichtversicherung in gleicher Höhe (Deckungssumme zunächst 2 000 000 DM). Für den Ersatz von Vermögensschäden, die durch Verletzung des Beratungs- bzw. Anwaltsvertrags entstehen, haftet die Partnerschaft dem geschädigten Auftraggeber als Gesamtschuldner, soweit nicht nur ein Partner Auftragnehmer war. Im Innenverhältnis haftet jeweils der Partner, der den Schaden zu vertreten hat, den anderen Partnern, soweit der Schaden nicht durch die Versicherungssumme gedeckt ist (§ 8 GV).
Jeder Vertragspartner ist bei der Einstellung und Entlassung von Personal unabhängig. Einer Zustimmung des Partners bedarf es nicht (§ 9 GV). Die mit der Bürogemeinschaft in Zusammenhang stehenden Kosten werden verursachungsgerecht ermittelt (§ 10 GV).
Die Parteien vereinbaren die gegenseitige Vertretung bei Krankheit oder Urlaub (§ 11 GV). Stirbt ein Partner, erhalten die Erben aus der Gesellschaft den buchmäßigen Wert des gemeinschaftlichen Vermögens (§ 14 GV).
Mit Vertrag vom veräußerte der Kläger einen Anteil in Höhe von 25 % seiner Beteiligung an der Sozietät an U zu einem Preis von 425 000 DM; dabei wurde vereinbart:
Der nach Abzug der vereinbarten Tätigkeitsvergütung von je 10 000 DM/Monat verbleibende Gewinn wird im Verhältnis 3/4 zu 1/4 verteilt. Stirbt ein Partner, erhalten die Erben eine Abfindung in Höhe des Anteils des Zeitwerts der Vermögensgegenstände abzüglich des Anteils der Schulden zuzüglich des anteiligen Praxiswerts. Der Praxiswert beträgt 130 % des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre.
Zum sind der Kläger und U aus der GbR im Wege der „Realteilung” ausgeschieden und haben ihre Anteile in die neu gegründete Gesellschaft E eingebracht.
Im Anschluss an das Ergebnis einer Betriebsprüfung lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) durch Bescheid vom für 1996 die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die L-T-B-U & Partner GbR ab; nach dem Gesamtbild der Verhältnisse sei die GbR keine Mitunternehmerschaft, weil die Beteiligten nicht in ausreichendem Maß ein Mitunternehmerrisiko tragen würden. Durch Bescheid vom stellte das FA die Einkünfte der T & U Steuerberatersozietät aus selbständiger Arbeit auf 866 684 DM fest. In diesem Zusammenhang führte das FA aus, da die Steuerberatersozietät erst durch Eintritt der U gegründet worden sei, handele es sich bei der Veräußerung eines Teils der Einzelpraxis des Klägers nicht um eine steuerbegünstigte Veräußerung eines Mitunternehmeranteils (§§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes —EStG— i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG).
Mit Schreiben vom erhob der Kläger gegen den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung 1996 für die T & U Steuerberatersozietät und den Bescheid über die Ablehnung der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1996 für die L-T-B-U & Partner GbR Klage.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung (§§ 179 Abs. 1, 2, 180 Abs. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung —AO 1977—) lägen nicht vor. Die Gesellschafter der GbR seien keine Mitunternehmer i.S. der §§ 18 Abs. 4 Satz 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG; das Mitunternehmerrisiko der Gesellschafter sei nur schwach ausgeprägt. Im Übrigen sei auch eine Teilanteilsveräußerung nicht begünstigt. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1618 veröffentlicht.
Mit der Revision macht der Kläger geltend:
1. Die GbR sei nach außen als Sozietät aufgetreten. Die Sozietät sei bei der Steuerberater- und der Rechtsanwaltskammer als solche geführt worden. Gemäß § 705 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) habe eine unbeschränkte persönliche Haftung bestanden. § 705 BGB sei nicht vertraglich abbedungen worden.
2. Die Gewinnverteilung sei entsprechend den Gesellschafterleistungen vorgenommen worden. Die Erfassung von Einnahmen und Ausgaben in getrennten Buchungskreisen habe der schnelleren und übersichtlicheren Ermittlung der anteiligen Leistungsbeiträge gedient.
3. Die Regelung des § 6 GV habe nicht ausgeschlossen, dass bei Liquidation oder Veräußerung der Praxen die Gesellschafter an den stillen Reserven partizipiert hätten. Nach § 7 Nr. 2 GV sei Gesamthandsvermögen gebildet worden. Auch habe nach § 14 GV die GbR die Versorgung der Witwen und Waisen erbringen müssen; die vertragliche Regelung des § 14 GV sei praktisch nicht durchsetzbar gewesen. Die Erben hätten gemäß § 738 BGB eine Abfindung zu Verkehrswerten fordern können.
4. Die Frage, ob eine steuerlich anzuerkennende Mitunternehmerschaft vorliege, sei von Bedeutung, da der Große Senat in der Entscheidung vom GrS 2/98 (BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123) an der bisherigen Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs —BFH— (Begünstigung der Teilanteilsveräußerung) festgehalten habe.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung 1996 für die T & U Steuerberatersozietät aufzuheben sowie —unter Aufhebung der entsprechenden Ablehnung— eine einheitliche und gesonderte Feststellung für die L-T-B-U & Partner GbR durchzuführen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
1. Das FG gehe zutreffend davon aus, dass es sich bei dem Zusammenschluss um zwei voneinander getrennt zu sehende Personengesellschaften handele. Der Anteilserwerb der U sei als Erwerb eines Anteils an der Einzelpraxis des Klägers zu beurteilen.
2. Entscheidend seien die im Innenverhältnis getroffenen Maßnahmen. Die allgemeine Haftungsregelung des § 705 BGB sei durch vertragliche Vereinbarung außer Kraft gesetzt worden.
3. Dem Hinweis auf gebildetes Gesamthandsvermögen komme keine Bedeutung zu, da es sich bei möglicherweise angeschafften Gegenständen nicht um wesentliche Grundlagen handele. Auch § 14 GV mache deutlich, dass keine Beteiligung an den stillen Reserven beabsichtigt gewesen sei, da die zu versorgenden Personen lediglich den buchmäßigen Anteil am gemeinschaftlichen Vermögen erhielten.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
II.
Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen. Das angegriffene Urteil ist revisionsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Voraussetzung einer (freiberuflichen) Mitunternehmerschaft gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 18 Abs. 4 EStG ist, dass der Mitunternehmer Mitunternehmerrisiko trägt und Mitunternehmerinitiative entfalten kann. Beide Merkmale müssen vorliegen; dabei kann die geringere Ausprägung eines Merkmals im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung der Umstände des Einzelfalles durch eine stärkere Ausprägung des anderen Merkmals ausgeglichen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 601, und vom VIII R 6/93, BFH/NV 2004, 1080).
Mitunternehmerinitiative bedeutet vor allem Teilnahme an unternehmerischen Entscheidungen, wie sie z.B. Gesellschaftern oder diesen vergleichbaren Personen als Geschäftsführern, Prokuristen oder anderen leitenden Angestellten obliegen. Mitunternehmerrisiko bedeutet gesellschaftsrechtliche oder eine dieser wirtschaftlich vergleichbare Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Dieses Risiko wird regelmäßig durch Beteiligung am Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts vermittelt (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 769).
Die Begriffe Mitunternehmerschaft, Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko lassen erkennen, dass das Unternehmen gemeinsam betrieben werden muss. Ausdruck dieses gemeinsamen Betriebs ist eine gemeinschaftliche Gewinnerzielungsabsicht auf der „Ebene der Gesellschaft”. Dementsprechend hat der Große Senat in dem Beschluss in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 770 eine Gewinnerzielungsabsicht „auf der Ebene des Gesellschafters” für unerheblich gehalten (zur gemeinschaftlichen Gewinnerzielungsabsicht vgl. auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., 2004, § 15 Rz. 327; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz. 40; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 18 EStG Rz. 420). Diese gemeinschaftliche Gewinnerzielungsabsicht fehlt in den Fällen einer Büro- oder Praxisgemeinschaft (Kirchhof/Lambrecht, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, 4. Aufl., 2004, § 18 Rz. 33). Im Unterschied zu einer Gemeinschaftspraxis hat eine Büro- und Praxisgemeinschaft lediglich den Zweck, den Beruf in gemeinsamen Praxisräumen auszuüben und bestimmte Kosten von der Praxisgemeinschaft tragen zu lassen und umzulegen.
2. Im Streitfall hat das FG das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft zwischen dem Kläger und den beiden Rechtsanwälten zu Recht verneint, so dass die Aufnahme der Steuerberaterin U nicht als begünstigte Anteilsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 3 EStG beurteilt werden kann. Die vom FG angesprochene Frage, ob auch eine Teilanteilsveräußerung begünstigt sei, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist nach Auffassung des Senats, dass der nach dem GV gebildete Zusammenschluss nach den objektiven Umständen den Charakter einer Bürogemeinschaft hatte, bei der eine gemeinschaftliche Gewinnerzielung nicht beabsichtigt war; die gemeinsame Beschäftigung von Personal und die gemeinsame Nutzung von Einrichtungsgegenständen führt nicht zu einer Mitunternehmerschaft (Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 18 Rz. 40).
Im Streitfall sind die in dem GV getroffenen Vereinbarungen insoweit eindeutig. Danach sollte jeder Vertragspartner seine Tätigkeit unabhängig und in eigener Verantwortung ausüben; jeder Partner war bei der Einstellung und Entlassung von Personal unabhängig. Einnahmen und Ausgaben wurden in getrennten „Buchungskreisen” erfasst; jeder Partner ermittelte das Betriebsergebnis für seinen jeweiligen Bereich völlig getrennt. Alle der gemeinschaftlichen Berufsausübung dienenden Gegenstände blieben Vermögen des einzelnen Partners; das sollte auch für den Praxiswert gelten. Aus diesen Vereinbarungen folgt, dass nur eine Bürogemeinschaft vereinbart war, die mangels gemeinschaftlicher Gewinnerzielungsabsicht nicht als freiberufliche Mitunternehmerschaft beurteilt werden kann. Der Umstand, dass die Gemeinschaft nach außen unter gemeinsamem Briefpapier und Praxisschild auftrat und dass Rechnungen unter dem gemeinsamen Namen ausgestellt wurden, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Dieser Umstand allein wiegt zu wenig, als dass er dem Zusammenschluss den Charakter einer Bürogemeinschaft nehmen könnte; entscheidend ist, dass die Beteiligten keine gemeinschaftliche, sondern eine individuelle Gewinnerzielung beabsichtigten. Auch der Praxiswert, der sich vor allem im Mandantenstamm niederschlägt, sollte dem einzelnen Partner zugeordnet bleiben. Allein das einheitliche Auftreten nach außen genügt nicht, um aus einer Bürogemeinschaft eine freiberufliche Mitunternehmerschaft werden zu lassen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 752
BB 2005 S. 2112 Nr. 39
BBK-Kurznachricht Nr. 20/2005 S. 945
BFH/NV 2005 S. 1911 Nr. 10
BStBl II 2005 S. 752 Nr. 18
DB 2005 S. 2058 Nr. 38
DStR 2005 S. 1601 Nr. 38
DStRE 2005 S. 1176 Nr. 19
DStZ 2005 S. 653 Nr. 19
DStZ 2005 S. 679 Nr. 19
EStB 2005 S. 401 Nr. 11
FR 2005 S. 1147 Nr. 22
GStB 2005 S. 41 Nr. 11
HFR 2006 S. 27 Nr. 1
INF 2005 S. 805 Nr. 21
KÖSDI 2005 S. 14808 Nr. 10
NJW 2006 S. 111 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2007 S. 1454
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2005 S. 3193
SJ 2005 S. 4 Nr. 21
StB 2005 S. 401 Nr. 11
StB 2006 S. 48 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2005 S. 852
JAAAB-61270