BFH Urteil v. - III R 92/06 BStBl 2010 II S. 345

Kein Kindergeld für Kinder, die in einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII untergebracht sind

Leitsatz

1. Leistet ein als Betreiber einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII anerkannter Trägerverein einer Pflegeperson Zahlungen für die Erziehung und Unterbringung eines fremden Kindes, so scheidet die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses aus, weil das Kind zu Erwerbszwecken in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen worden ist(§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG).

2. Die sozialrechtliche Einordnung als sonstige betreute Wohnform hat steuerrechtliche Tatbestandswirkung. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Unterbringung des Kindes sozialrechtlich als Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII hätte behandelt werden müssen.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1SGB VIII SGB VIII § 33SGB VIII § 34

Instanzenzug: (EFG 2007, 368) (Verfahrensverlauf), , , ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau nahmen im Juli 2002 die im Jahre 1993 geborene C in ihren Haushalt auf, in dem auch die vier leiblichen Kinder lebten. Seit Oktober 2005 war die Ehefrau des Klägers für den Verein „. e.V.” tätig. Nach dem zwischen der Ehefrau des Klägers und dem Verein abgeschlossenen „Erziehungsstellenvertrag nach § 34 SGB VIII” vom sollte in der sog. Fachfamilie des Klägers und seiner Ehefrau eine Erziehungsstelle eingerichtet werden. Die Fachfamilie sollte C für die Dauer der Hilfe zur Erziehung nach § 1688 des Bürgerlichen Gesetzbuches vertreten. Der Verein hat ein Weisungsrecht in grundsätzlichen Fragen der Betreuung. Er bietet der Fachfamilie Beratung und Unterstützung an. Seine monatlichen Zahlungen an die Ehefrau des Klägers schlüsselte der Verein wie folgt auf:


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Beitrag zur Erziehung
1 200 €
Sachkosten
700 €
Altersversorgung
125 €
Versicherung Kfz (Vollkasko)
40 €
Beitrag zur Haushaltskraft
125 €
Summe
2 190 €

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) gewährte dem Kläger Kindergeld, da sie der Ansicht war, C befinde sich in Vollzeitpflege (§ 33 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch —SGB VIII—). Mit Bescheid vom hob sie die Festsetzung ab auf. Die Familienkasse war nunmehr der Auffassung, bei der Aufnahme von C in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau handele es sich um eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII, die der Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entgegenstehe.

Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Bescheid vom auf (Urteil vom 14 K 4922/05 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 368). Es führte im Wesentlichen aus, zwischen C sowie dem Kläger und dessen Ehefrau bestehe ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band. C sei auch nicht zu Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen worden. Dies sei nicht etwa deshalb anzunehmen, weil nach dem System der Pflegekonzepte der Jugendhilfe eine Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII gewährt worden sei. Die Höhe des für die Unterbringung von C gezahlten Entgelts rechtfertige nicht den Schluss auf eine Entlohnung nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Trägerverein zahle nach Abzug der Sachkosten einen Tagessatz von ca. 44 €. Dieser entspreche nicht den Marktpreisen für eine vollzeitige Tagesbetreuung, die sich auf mindestens 100 € je Tag beliefen.

Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse im Wesentlichen vor, C sei zu marktüblichen Preisen untergebracht worden. Auch wenn ein Trägerverein zwischengeschaltet worden sei, handele es sich dennoch um eine sonstige Unterbringung i.S. von § 34 SGB VIII. Die zwischen dem Jugendamt und dem Verein festgelegte Entlohnung von täglich 110 € zur Deckung des Unterhalts- und Betreuungsaufwandes sei marktüblich und beruhe auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er führt aus, der vom FG festgestellte Tagessatz von ca. 44 €, der auf die Betreuungsleistung der Pflegeeltern entfalle, könne nicht als marktgerechte Entlohnung für eine Vollzeitbetreuung betrachtet werden.Es dürfe nicht danach unterschieden werden, ob Pflegegelder nach § 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII geleistet würden.Beide Betreuungsformen müssten kindergeldrechtlich gleich behandelt werden. Die psychische Störung von C sei so gravierend, dass eine Unterbringung in einer normalen Pflegefamilie nach § 33 Satz 1 SGB VIII nicht möglich sei. Der Trägerverein habe zu Unrecht die Betriebserlaubnis für eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII erhalten, vielmehr sei die Betreuung von C von Anfang an als Vollzeitpflege für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche nach § 33 Satz 2 SGB VIII zu beurteilen gewesen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat dem Kläger zu Unrecht einen Anspruch auf Kindergeld zuerkannt.

2. Pflegegelder, die bei Aufnahme eines Kindes in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII geleistet werden, stellen den gesamten Unterhalt einschließlich der Kosten für die Erziehung sicher (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie ist im Pflegesatz kein pauschalierter Ersatz für Personal- und Sachkosten der Pflegeeinrichtung enthalten (, BFH/NV 2000, 448). Auch wenn Pflegegelder nach § 33 SGB VIII einen Anreiz zur Aufnahme fremder Kinder schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer Bemessungsgrundlage kein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechnetes Entgelt für Unterbringung und Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz. Nur wenn Pflegeeltern ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen Jugendamtes liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann angenommen werden, dass sie nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Unterbringung und Betreuung entlohnt werden (Senatsurteil vom III R 80/03, BFH/NV 2006, 262).

3. Im Streitfall bezog die Ehefrau des Klägers nicht die pauschalen Pflegebeträge, die bei der Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie nach § 33 Satz 1 SGB VIII vorgesehen sind. Vielmehr erhielt sie Leistungen von dem Trägerverein, der mit dem Träger der Jugendhilfe ein Entgelt für die Unterbringung in einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII vereinbart hatte. Dieses Entgelt unterscheidet sich schon wegen der darin enthaltenen Erstattung von Personal- und Sachkosten von den Pauschalbeträgen, die bei einer Vollzeitpflege nach § 33 Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 SGB VIII geleistet werden. Bei der Aufnahme eines Kindes in ein Heim oder in eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII sind deshalb Erwerbszwecke i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu bejahen.

4. Der Einwand des Klägers, der Trägerverein habe zu Unrecht die Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII für eine sonstige betreute Wohnform erhalten, vielmehr habe von Anfang an eine Vollzeitpflege für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche nach § 33 Satz 2 SGB VIII vorgelegen, führt zu keiner anderen Betrachtung. Die Unterbringung von C in der Familie des Klägers und seiner Ehefrau ist im streitigen Zeitraum nach § 34 SGB VIII behandelt worden. Diese sozialrechtliche Tatbestandswirkung ist steuerrechtlich zu beachten. Ob der Kläger bei einer anderen sozialrechtlichen Einordnung kindergeldberechtigt gewesen wäre, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 345
BFH/NV 2009 S. 1500 Nr. 9
BFH/PR 2009 S. 424 Nr. 11
BStBl II 2010 S. 345 Nr. 6
DB 2009 S. 1914 Nr. 36
DStRE 2009 S. 1104 Nr. 18
DStZ 2009 S. 630 Nr. 17
EStB 2009 S. 343 Nr. 10
HFR 2009 S. 992 Nr. 10
KÖSDI 2009 S. 16631 Nr. 9
NJW 2009 S. 2976 Nr. 40
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2009 S. 2460
SJ 2009 S. 5 Nr. 16
StB 2009 S. 338 Nr. 10
StBW 2009 S. 6 Nr. 16
StuB-Bilanzreport Nr. 1/2010 S. 33
DAAAD-25934