Online-Nachricht - Donnerstag, 15.09.2022

Verfahrensrecht | Restschuldbefreiung und Steuerstraftaten (BFH)

Die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der bereits zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung eine Steuerstraftat des Schuldners zugrunde liegt, können gem. § 177 Abs. 1 InsO nachträglich angemeldet werden (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Über das Vermögen des Klägers wurde im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem lag ein Eigenantrag des Klägers zugrunde, der mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung verbunden war. Vor dem Prüfungstermin meldete das FA Abgabenforderungen an, ohne auf einen Zusammenhang mit einer Steuerstraftat hinzuweisen. Den Abgabenforderungen lagen u.a. Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2007 und 2009 bis 2011 zugrunde.

Letztlich wurden die Forderungen, ohne dass der Kläger als Schuldner widersprochen hatte, im Wesentlichen wie angemeldet zur Insolvenztabelle festgestellt (lfd. Nr. 4).

Im April 2016 wurde der Kläger rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Anschluss beantragte das FA, die Insolvenztabelle dahingehend zu ergänzen, dass es sich bei den Abgabenforderungen zur laufenden Nr. 4 i. H. eines Teilbetrags von 68.472,95 € um Forderungen aus einer Steuerstraftat nach § 370 AO handele, für die gem. § 302 Nr. 1 InsO die Restschuldbefreiung ausgeschlossen sei (Attribut). Der Kläger legte nach einem Hinweis des Insolvenzgerichts auf die Widerspruchsmöglichkeit gem. § 175 Abs. 2 InsO Widerspruch gegen die Anmeldung des Attributs ein. Im Prüfungstermin im schriftlichen Verfahren wurde sein Widerspruch in die Tabelle eingetragen.

Im Juni 2019 fand der Schlusstermin im schriftlichen Verfahren statt; im Juli 2019 wurde das Insolvenzverfahren gem. § 200 InsO aufgehoben.

Der Einspruch gegen den Feststellungsbescheid blieb erfolglos. Die Klage hatte keinen Erfolg ().

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:

  • Das FA macht eine Insolvenzforderung geltend, indem es diese nach § 174 Abs. 1 InsO zur Tabelle anmeldet. Bei der Anmeldung sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO zugrunde liegt.

  • Forderungen können nach § 177 Abs. 1 InsO auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden. Die gem. § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Deshalb sind Forderungsanmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO) und Änderungsmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) bis zum Schlusstermin möglich.

  • Aus § 177 Abs. 1 InsO ergibt sich, dass auch eine nachträgliche Anmeldung des Attributs i. S. des § 174 Abs. 2 InsO möglich ist. Dabei handelt es sich um eine nachträgliche Änderung i. S. des § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO. Durch die Rechtsprechung des BGH ist bereits geklärt, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, auch für eine bereits zur Tabelle festgestellte Forderung nachträglich angemeldete Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt, in die Tabelle einzutragen (; ). Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb das für Forderungen aus Steuerstraftaten gem. § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO nicht gelten sollte.

  • Das FA darf durch Feststellungsbescheid gem. § 251 Abs. 3 AO feststellen, dass ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, wenn der Schuldner diesem Umstand isoliert widersprochen hat (Bestätigung der Rechtsprechung: , Rz. 16).

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
AAAAJ-22012