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Neuer Zinssatz der Vollverzinsung
Rechtsänderungen durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung
[i]Ronig, Zinsen auf Steuern, infoCenter, NWB JAAAA-88464 Das BVerfG hatte festgestellt, dass der Zinssatz der Vollverzinsung bereits seit 2014 an die Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus hätte angepasst werden müssen ( und 1 BvR 2422/17, NWB TAAAH-87096). Für Verzinsungszeiträume bis zum hatte das Gericht aber eine sog. Weitergeltungsanordnung getroffen. Für Verzinsungszeiträume ab war der Gesetzgeber jedoch verpflichtet worden, bis Ende Juli 2022 eine rückwirkende Anpassung des Zinssatzes der Vollverzinsung vorzunehmen. Diesen Auftrag hat der Gesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. (BGBl 2022 I S. 1142) erfüllt.
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S. 2113
I. Einführung der Vollverzinsung
1. Ziel der Vollverzinsung
[i]Einführung der Vollverzinsung mit dem Steuerreformgesetz 1990Bis zum Steuerreformgesetz 1990 v. (BGBl 1988 I S. 1093) kannte die AO nur die Erhebung von Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), Prozesszinsen (§ 236 AO) und Aussetzungszinsen (§ 237 AO). Darüber hinaus entstanden bei verspäteter oder unterbliebener Zahlung von Steuern und zurückzuzahlenden Steuervergütungen nach § 240 AO Säumniszuschläge. Der Gesetzgeber führte mit dieser Steuerreform zusätzlich die sog. Vollverzinsung, d. h. die Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach § 233a AO, mit Geltung für die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer ab dem Besteuerungszeitraum 1989 ein.
[i]Ziel der Vollverzinsung: Steuergerechtigkeit steigernZinsen nach § 233a AO sollen weder Sanktion noch Druckmittel oder Strafe sein, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für die Möglichkeit der Nutzung überlassenen oder vorenthaltenen Kapitals. Die Vollverzinsung soll einen verschuldensunabhängigen Ausgleich für die zeitlich ungleichmäßige Heranziehung zur Steuer schaffen und damit ein Mehr an Steuergerechtigkeit bewirken.
[i]Zinslauf der VollverzinsungWährend der Steueranspruch für alle Steuerpflichtigen kraft Gesetzes zu demselben Zeitpunkt entsteht, erfolgt seine Erhebung bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, weil dies eine Konkretisierung des Anspruchs durch einen Steuerbescheid oder durch eine als Steuerfestsetzung wirkende Steueranmeldung voraussetzt. Die Vollverzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Konkretisierung. Der Zinslauf beginnt dabei allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grds. 15 Monaten (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO).
2. Zinssatz
[i]Einheitlicher und starrer ZinssatzSeit 1977 kennt die AO (wie vor ihr auch schon § 5 des Steuersäumnisgesetzes seit 1961) einen einheitlichen und starren Zinssatz von 0,5 % je vollem Zinsmonat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Dieser Zinssatz galt seit jeher sowohl für die Verzinsung zuungunsten des Steuerpflichtigen (Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen) als auch für die Verzinsung zugunsten des Steuerpflichtigen (Prozesszinsen). Bei Einführung der Vollverzinsung hat der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität (vgl. Entwurf des Steuerreformgesetzes 1990, BT-Drucks. 11/2157 S. 194) keinen eigenständigen Zinssatz eingeführt, sondern auch hier den starren Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegt.