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Online-Nachricht - Donnerstag, 19.05.2022

Umsatzsteuer | Unionsrechtliche Zweifel am Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG im Hotelgewerbe (BFH)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG im nationalen Recht angeordnete Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, mit Unionsrecht vereinbar ist (Anschluss an den : (AdV); veröffentlicht am ).

Hintergrund: Die Steuer beträgt gemäß § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 % der Bemessungsgrundlage (sog. Regelsteuersatz). Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Dies gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.

Sachverhalt: Streitig ist, ob Leistungen der Antragstellerin an ihre Hotelgäste als einheitliche Leistungen dem ermäßigten Steuersatz i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG unterliegen: Die Antragstellerin betreibt ein Hotel und Restaurant. In den Streitjahren 2014 bis 2017 erhielten alle Hotelgäste auch ein Frühstück sowie Zugang zum hoteleigenen Spa, bloße Übernachtungen bot die Antragstellerin nicht an.

Das FA vertrat die Auffassung, dass Übernachtung, Frühstück und Spa jeweils eigenständige Leistungen seien, von denen die Übernachtung einerseits dem ermäßigten Steuersatz und Frühstück sowie Spa anderseits dem allgemeinen Steuersatz zu unterwerfen seien. Die Antragstellerin hält unter Verweis auf das „Stadion Amsterdam“ das Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG für europarechtswidrig und beantragte AdV beim FG der ersten Instanz, welches den Antrag ablehnte (, s. hierzu Gehm ).

Der BFH gab der Beschwerde teilweise statt und setzte die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheids zum Teil aus:

  • Das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG normierte Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, wurde vom erkennenden Senat bisher als unionsrechtskonform angesehen (vgl. , BStBl II 2014, 86, Rz 51, m.w.N.; offen lassend , BStBl II 2018, 678, Rz 24).

  • Es ist inzwischen jedoch fraglich, ob an dieser Rechtsprechung des Senats nach Ergehen des festzuhalten ist.

  • Der EuGH hat im entschieden, dass eine einheitliche Leistung, die aus zwei separaten Bestandteilen, einem Haupt- und einem Nebenbestandteil, besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten würden, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet, und zwar auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann (vgl. , Rz 36).

  • Hieraus könnte für das gesetzliche Aufteilungsgebot in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG folgen, dass bei unselbständigen Nebenleistungen die gesamte einheitliche Leistung dem ermäßigten Steuersatz der Hauptleistung "Übernachtung" zu unterwerfen ist.

  • Die sich aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung ergebende Rechtsfolge, dass die unselbständige Nebenleistung stets das Schicksal der Hauptleistung zu teilen hat, könnte insoweit das Aufteilungsgebot aus § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG verdrängen.

  • Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen darüber hinaus, nachdem der V. Senat des den EuGH um Vorabentscheidung dazu ersucht hat, ob das nationale Aufteilungsgebot des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG mit Unionsrecht vereinbar ist (Az. beim EuGH: C 516/21, s. hierzu auch Rapp/Engelhardt, ).

  • Es ist ungeklärt, ob den Grundsätzen zur Bestimmung eines einheitlichen Umsatzes Vorrang gegenüber Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL, wonach die Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen steuerpflichtig ist, zukommt, oder aus Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL ein Aufteilungsgebot abzuleiten sein könnte, so dass einheitliche Umsätze in einen (nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken betreffend) steuerfreien und einen (nach Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL die Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen betreffend) steuerpflichtigen Teil aufzuspalten sind.

  • Die vom EuGH in diesem Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung der Frage, ob bei einer einheitlichen Leistung die Hauptleistung einerseits steuerfrei und die Nebenleistung andererseits steuerpflichtig sein können, heranzuziehenden Grundsätze könnten auf die den Streitfall betreffende Frage, ob bei einer einheitlichen Leistung unterschiedliche Steuersätze nach dem im nationalen Recht angeordneten Aufteilungsgebot i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG möglich sind, zu übertragen sein.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Besprechungsentscheidung stellt vor allem eine Folgewirkung zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Stadium Amsterdam“ dar ( „Stadion Amsterdam“). Zwar hat zunächst die damalige Parlamentarische Staatssekretärin des BMF und jetzige Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht, auf eine Frage im Bundestag geantwortet, dass sich aus der Entscheidung „Stadion Amsterdam“ keine Folgewirkungen für das nationale Umsatzsteuerrecht, insbesondere nicht für Hotelleistungen ergeben würden (s. BT-Drucks. 19/2334, s. hierzu NWB Online-Nachricht v. 14.6.2018); jedoch hat sich gezeigt, dass die Entscheidung des EuGH für das Aufteilungsgebot bzgl. Hotelübernachtung mit Zusatzleistungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG) von Bedeutung ist.

Das Frühstück ist, wenn es zusammen mit einer Übernachtung gebucht wird, aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers eine unselbständige Nebenleistung zur einheitlichen Vermietungsleistung (, BStBl 2010 II S. 433; Urteil v. - XI R 3/11, BStBl 2014 II S. 86; Abschnitt 12.16 Abs. 8 Satz 1 UStAE). Der Frühstücksanteil ist aber nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG nicht mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Wendet man die Grundsätze des EuGH in Sachen auf diese Regelung an, wäre eine Unionsrechtswidrigkeit wegen einer unterschiedlichen Mehrwertsteuerbelastung gegeben. Dies ist jedenfalls eine Meinung im Schrifttun (kritisch z.B. Nieskens, UR 2018 S. 181, 186; Oldiges, DB 2018 S. 541, 542 und 544; Nacke, ; Lippross, Umsatzsteuer, 24. Aufl., S. 843; Janzen in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG Rz 17). Die Kritik führte dazu, dass der V. Senat des BFH im letzten Jahr einen Vorlagebeschluss an den EuGH gerichtet hat, ob das nationale Aufteilungsgebot des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG bei Überlassung von Grundstücken mit Betriebsvorrichtung mit Unionsrecht vereinbar ist (vgl. , BFH/NV 2021, 1316).

Nunmehr hat der XI. Senat wegen ernstlicher Zweifel auch die Aussetzung der Vollziehung in den Fällen des gesetzlichen Aufteilungsgebots bei Hotelübernachtung mit Zusatzleistungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG) gewährt.

Für die Praxis könnte diese Entscheidung insbesondere dann interessant werden, wenn Umsatzsteuerfestsetzungen für frühere Jahre offen sind und der betreffende Hotelbetrieb unter Liquiditätsproblemen leidet. Insoweit könnte dann, wenn die Festsetzungen entsprechend der gesetzlichen Regelung erfolgt sind, auch die Aufhebung der Vollziehung beantragt werden. Zwar sind insoweit die negativen Folgen zu Bedenken, wenn sich später aufgrund der EuGH-Rechtsprechung die Unionsrechtskonformität der nationalen Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ergibt. Denn dann wären die Aussetzungszinsen §§ 237, 238 AO neben der Hauptforderung zu zahlen (die gesetzlich vorgegebenen 6 Prozent). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Zinssatz selbst verfassungsrechtlich in Frage steht (vgl. ).

Quelle: (AdV); NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
BAAAI-61979