BGH Beschluss v. - AK 47/21

Haftbefehlssache wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a.: Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot bei Transfer von Geldern mittels "Hawala-Banking"; Zurverfügungstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen an den IS

Gesetze: § 18 Abs 1 Nr 1 Buchst a Alt 8 AWG, Art 2 Abs 2 Anh 1 EGV 881/2002

Gründe

I.

1Der Angeschuldigte ist am vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund eines Haftbefehls des ) und nunmehr aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ).

2Gegenstand des aktuellen Haftbefehls vom ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich in der Zeit von Anfang 2020 bis zu seiner vorläufigen Festnahme am in S.         , in G.        und an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland durch sechs rechtlich selbständige Handlungen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 und 12 VStGB) zu begehen. In einem dieser Fälle habe er zudem durch dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Der Haftbefehl geht insofern von einer mutmaßlichen Strafbarkeit des Angeschuldigten gemäß § 89a Abs. 2a, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 52, 53 StGB aus.

3Der Senat hat mit Beschluss vom (AK 37/21) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.

4Unter dem hat der Generalbundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Gegenstand der Anklageschrift sind die im Haftbefehl vom aufgeführten sowie drei weitere Taten. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die vom Generalbundesanwalt beantragte Neufassung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs hat das Oberlandesgericht noch nicht befunden. Es hält allerdings eine Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich; der Vorsitzende des Staatsschutzsenats hat mit Verfügung vom daher die Akten zur erneuten besonderen Haftprüfung über den Generalbundesanwalt dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

5Der Generalbundesanwalt hat beantragt, gemäß §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus anzuordnen.

6Der Angeschuldigte und seine Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme, haben hiervon aber keinen Gebrauch gemacht.

II.

7Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).

81. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO ist der vollzogene Haftbefehl des Ermittlungsrichters des zu dessen Anpassung oder Erweiterung nur das gemäß § 126 Abs. 1 oder 2 StPO zuständige Gericht befugt ist. Die Haftprüfung ist grundsätzlich auf die in dem aktuellen Haftbefehl erhobenen Vorwürfe beschränkt. Dem Haftprüfungsgericht ist es jedenfalls verwehrt, anhand der Ermittlungsergebnisse eine im Haftbefehl umschriebene prozessuale Tat auszutauschen oder den Haftbefehl über die von diesem erfassten prozessualen Taten hinaus in tatsächlicher Hinsicht zu erweitern (vgl. BGH, Beschlüsse vom - AK 44/21, juris Rn. 3; vom - AK 30/21, juris Rn. 38 mwN; vom - AK 17/20, juris Rn. 4; KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn. 24). Die drei dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift des Generalbundesanwalts zur Last gelegten Taten, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, bleiben mithin bei der Haftprüfung außer Betracht.

92. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zur Last gelegten Taten weiterhin dringend verdächtig. Hinsichtlich der Einzelheiten der insofern erhobenen Tatvorwürfe und der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände nimmt der Senat Bezug auf seine Haftfortdauerentscheidung vom , deren Gründe unverändert fortgelten. Die seither geführten Ermittlungen haben die Beweislage verdichtet, jedenfalls aber den dringenden Tatverdacht nicht entfallen lassen; der Senat nimmt insofern Bezug auf die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts.

103. In rechtlicher Hinsicht ist weiterhin davon auszugehen, dass sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und - über die rechtliche Würdigung des Haftbefehls hinausgehend - in vier weiteren Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 139 vom , S. 9) veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom , die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, gemäß § 89a Abs. 2a, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 52, 53 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom (ABl. L 179 vom , S. 85) strafbar gemacht hat.

11a) Der Senat nimmt auch insofern Bezug auf seinen Haftfortdauerbeschluss vom .

12b) Hinsichtlich der hochwahrscheinlichen Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG wegen Verstoßes gegen ein Bereitstellungsverbot ist ergänzend zu bemerken:

13Dadurch, dass der Angeschuldigte in jedenfalls vier Fällen in Deutschland gesammelte Gelder mittels "Hawala-Banking" an IS-Mitglieder in Syrien beziehungsweise im Libanon transferierte, wo die Gelder - wie vom Angeschuldigten beabsichtigt - von diesen im Interesse der Vereinigung verwendet wurden, ist der dringende Tatverdacht eines nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG strafbaren Verstoßes gegen das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der unmittelbar geltenden Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften Nr. 881/2002 (EG) vom begründet (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 268/20, juris Rn. 15 ff.; vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 5 ff.; Urteil vom - 3 StR 156/20, juris Rn. 7 ff.; Beschlüsse vom - AK 37/21, juris Rn. 40; vom - AK 6/21, juris Rn. 38; vom - AK 16/20, juris Rn. 29; vom - AK 8/20, juris Rn. 30 f.).

14aa) Denn nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung dürfen den in Anhang I dieses Rechtsaktes aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen, Einrichtungen und Vereinigungen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.In diesem Anhang I ist seit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission vom (ABl. L 179 vom , S. 85) auch der IS gelistet (vgl. , juris Rn. 16; Urteil vom - 3 StR 156/20, juris Rn. 9; Beschluss vom - AK 37/21, juris Rn. 40). Bedenken gegen die Wirksamkeit der unter der (früheren) Bezeichnung "Islamic State in Iraq and the Levant" erfolgten Listung des IS bestehen nicht (näher hierzu , juris Rn. 10; s. auch , juris Rn. 16).

15bb) Zwar pönalisiert § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG nur Zuwiderhandlungen gegen ein Bereitstellungsverbot, während Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 das "Zur-Verfügung-Stellen" von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen untersagt. Obwohl sich insoweit der Wortlaut der Blankettnorm und der ausfüllenden Norm nicht decken, ist der Sinngehalt der beiden Tatbestandsmerkmale identisch, so dass Verstöße gegen Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 der Strafbewehrung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG unterfallen (, juris Rn. 17; vgl. in Bezug auf den wortlautgleichen Art. 7 Abs. 3 der Iran-Embargo-Verordnung (EG) Nr. 423/2007 vom , BGHSt 55, 94 Rn. 15; s. zudem MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 34; BT-Drucks. 17/11127, S. 27).

16cc) "Zur-Verfügung-Stellen" ist jeder tatsächliche Vorgang, der dazu führt, dass der gelisteten Person, Organisation, Einrichtung oder Vereinigung der betreffende wirtschaftliche Vorteil zugutekommt, sie also die Verfügungsgewalt über den Vermögenswert erlangt (vgl. , juris Rn. 40; BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 268/20, juris Rn. 18; vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 6; Urteil vom - 3 StR 156/20, juris Rn. 12 ff.; Beschluss vom - AK 2/10, BGHSt 55, 94 Rn. 19; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 32).

17dd) Im Hinblick auf die Struktur des IS und den Umstand, dass es sich bei der Vereinigung um einen Personenverband handelt, werden Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen jedenfalls dann bereits dem IS selbst unmittelbar zur Verfügung gestellt, wenn sie einem im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen und agierenden Mitglied, das in die dortigen Vereinigungsstrukturen eingebunden ist, zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließen. Insofern ist nicht erforderlich, dass die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen in die direkte Verfügungsgewalt eines Führungsverantwortlichen oder eines für Finanzangelegenheiten zuständigen Vereinigungsmitglieds gelangen oder solche höherrangigen Mitglieder eine eigene Zugriffsmöglichkeit erhalten.

18Bei terroristischen Vereinigungen wie dem IS verbietet es sich wegen ihrer Struktur als reine Personenzusammenschlüsse ohne eigene (Völker-)Rechtssubjektivität und ihrer Vorgehensweise zur Verfolgung des Vereinigungsziels, hinsichtlich der tauglichen Empfänger von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen zwischen im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation vereinigungsbezogen tätigen "einfachen" (nachrangigen) Mitgliedern einerseits und der Organisation selbst und ihren (ranghohen) Repräsentanten andererseits zu differenzieren. Denn das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 ist weit auszulegen (vgl. in Bezug auf den wortlautidentischen Art. 7 Abs. 3 der Iran-Embargo-Verordnung (EG) Nr. 423/2007 vom , juris Rn. 39 f., sowie in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 vom , NJW 2010, 2413 Rn. 66 ff.).

19Entsprechend dem Ziel des Bereitstellungsverbots des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002, zu verhindern, dass terroristische Vereinigungen Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen erlangen, die für terroristische Aktivitäten Verwendung finden können (vgl. , juris Rn. 14 f.; Beschlüsse vom - AK 16/20, juris Rn. 29; vom - AK 8/20, juris Rn. 32), genügt es daher für ein unmittelbares "Zur-Verfügung-Stellen", wenn Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen irgendeinem im IS-Herrschaftsgebiet vereinigungsbezogen tätigen und in die dortigen Strukturen des IS eingebundenen IS-Mitglied zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließen. Denn bereits damit wird die Gefahr eines Einsatzes der Mittel für terroristische Aktivitäten der gelisteten Vereinigung geschaffen, der das Bereitstellungsverbot entgegenwirken will (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 268/20, juris Rn. 19 f.; vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 6; Urteil vom - 3 StR 156/20, juris Rn. 16 ff.; Beschlüsse vom - AK 37/21, juris Rn. 40; vom - AK 6/21, juris Rn. 33, 37 f.).

20ee) Der Transfer von Geldern aus Deutschland an IS-Mitglieder im Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation ist nicht nur dann ein Zurverfügungstellen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002, wenn der von der Bundesrepublik aus Gelder transferierende Täter selbst nicht der Vereinigung angehört und damit als Unterstützer gewissermaßen von außen der Organisation finanzielle Ressourcen zukommen lässt (vgl. zu dieser Fallkonstellation , juris Rn. 23; Urteil vom - 3 StR 156/20, juris Rn. 16 ff.). Vielmehr kommt eine Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG auch dann in Betracht, wenn - wie hochwahrscheinlich der Angeschuldigte - der in Deutschland agierende Täter zum Zeitpunkt des Geldtransfers selbst IS-Mitglied und von der Vereinigung damit betraut war, als solches in der Bundesrepublik Gelder für den IS zu sammeln und in das Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation zu transferieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 8 ff.; vom - AK 37/21, juris Rn. 40; vom - AK 16/20, juris Rn. 29; vom - AK 8/20, juris Rn. 30 ff.; s. auch , NJW 2010, 2413 Rn. 63 ff.). In einer derartigen Konstellation liegt schon angesichts der auf das Sammeln und Weiterleiten von finanziellen Ressourcen bezogenen mitgliedschaftlichen Beteiligung des Täters und dessen Distanz zu den im Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen Empfängern, welche die Gelder erstmals unmittelbar vereinigungsbezogen verwenden, keine vom Bereitstellungsverbot möglicherweise nicht erfasste bloße vereinigungsinterne Verschiebung von Finanzmitteln (vgl. insofern , NJW 2010, 2413 Rn. 75; BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 268/20, juris Rn. 23; vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 14) vor. Vielmehr übt ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung, das sich als "Geldsammler" betätigt und dessen Aufgabe es ist, der Organisation wirtschaftliche Ressourcen für terroristische Zwecke zu verschaffen, eine Tätigkeit aus, die das Bereitstellungsverbot gerade unterbinden will (, juris Rn. 10). In einer solchen Konstellation, in der ein Mitglied einer gelisteten Vereinigung für diese finanzielle Ressourcen sammelt und an die Organisation weiterleitet, werden die Gelder erst mit der erfolgten Weiterleitung der Vereinigung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 zur Verfügung gestellt (, juris Rn. 12 f.).

21ff) Die Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG tritt nicht konkurrenzrechtlich hinter die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zurück. Denn das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom bezieht sich auf den tatsächlichen Vorgang des Zur-Verfügung-Stellens, der dazu führt, dass der gelisteten Person oder Einrichtung ein wirtschaftlicher Vorteil zu Gute kommt (vgl. , BGHSt 55, 94 Rn. 19). Ziel des Bereitstellungsverbots ist es, den gelisteten Personen oder Einrichtungen in tatsächlicher Hinsicht die materiellen Grundlagen ihrer Tätigkeit vorzuenthalten (, juris Rn. 27). Damit kommt dem Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot auch dann ein eigener Unrechtsgehalt zu, wenn die Überweisung durch ein Mitglied der Vereinigung selbst erfolgt (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 173/21, juris Rn. 15; vom - AK 37/21, juris Rn. 46; vom - AK 16/20, juris Rn. 29; vom - AK 8/20, juris Rn. 32).

224. Es sind nach wie vor die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. , juris Rn. 30 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) - der Schwerkriminalität gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird. Der Senat nimmt insofern Bezug auf seine fortgeltenden Erwägungen zu den Haftgründen im Haftfortdauerbeschluss vom .

23Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen weiterhin nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO - die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind - erreicht werden.

245. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) sind gegeben. Der Umfang des Verfahrens und seine besonderen Schwierigkeiten haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

25Insofern nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen im Haftfortdauerbeschluss vom .

26Auch danach ist das Verfahren durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden: Im Anschluss an die letzte Haftfortdauerentscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Auswertung der mehr als 30 sichergestellten Datenträger - überwiegend Mobiltelefone, die umfangreiche Datensätze, darunter eine Vielzahl fremdsprachiger Kommunikationsereignisse, enthielten - fortgesetzt worden. Insbesondere sind im Speicher eines sichergestellten Mobiltelefons der gesondert verfolgten Lebensgefährtin des Angeschuldigten bei einer ergänzenden Auswertung 646 als relevant eingestufte WhatsApp-Sprachnachrichten festgestellt worden, deren zeitaufwändige Auswertung und Verschriftung erforderlich gewesen ist und erst Mitte September 2021 hat abgeschlossen werden können. Unter dem hat das mit den Ermittlungen betraute Landeskriminalamt Baden-Württemberg einen 45-seitigen Ermittlungsbericht vorgelegt, der nachfolgend durch weitere polizeiliche Ermittlungsvermerke ergänzt worden ist.

27Der Generalbundesanwalt hat unter dem Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Die Anklageschrift ist dort am eingegangen. Der Aktenbestand hat zum Zeitpunkt der Anklageerhebung 42 Stehordner Sachakten und zehn weitere Stehordner Sachaktensonderbände umfasst; die Anklageschrift hat einen Umfang von 71 Seiten nebst Anlagen. Der Vorsitzende des zuständigen Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart hat am die Zustellung der Anklageschrift und ihre Übersetzung verfügt sowie eine angesichts des großen Aktenumfangs angemessene Stellungnahmefrist bis zum gesetzt.

286. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nach wie vor nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer              Paul              Kreicker

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:181121BAK47.21.0

Fundstelle(n):
wistra 2022 S. 207 Nr. 5
YAAAI-61766