BGH Beschluss v. - 6 StR 643/21

Adhäsionsverfahren: Bindung an den Antrag; Begründung des Feststellungsinteresses für künftige materielle Schäden

Gesetze: § 256 Abs 1 ZPO, § 308 Abs 1 ZPO, § 86 Abs 1 VVG, § 116 Abs 1 SGB 10, § 823 BGB

Instanzenzug: LG Rostock Az: 12 KLs 62/21 jug (2)nachgehend Az: 6 StR 643/21 Beschlussnachgehend Az: 6 StR 643/21 Beschlussnachgehend Az: 6 StR 643/21 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten S.    unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Rostock vom zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und den Angeklagten A.     zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, ihre Verpflichtung zum Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens festgestellt und im Übrigen von einer Entscheidung abgesehen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

21. Die Beweiswürdigung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Allerdings genügen die Urteilsgründe den an die Darstellung der Ergebnisse einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung zu stellenden Anforderungen sowohl bei Einzelspuren (vgl. dazu mwN) als auch bei Mischspuren (vgl. mwN) nicht in jeder Hinsicht. So fehlt teilweise die Mitteilung, ob es sich um eine Einzelspur handelt, oder es wird nicht die biostatistische Wahrscheinlichkeit in numerischer Form genannt. Bei den Mischspuren ist nicht erkennbar, inwieweit sich in einzelnen der untersuchten Systeme Übereinstimmungen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten wäre. Der Senat kann jedoch angesichts der Fülle der für die Täterschaft des Angeklagten S.     sprechenden sonstigen Beweisanzeichen ausschließen, dass das Urteil auf dem Darstellungsmangel beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

32. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen der im Adhäsionsverfahren getroffene Feststellungsausspruch über die Verpflichtung der Angeklagten, dem Neben- und Adhäsionskläger aus der verfahrensgegenständlichen Tat künftig entstehende materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen, sowie der ausgeurteilte Zinsbeginn.

4a) Die geltend gemachten Prozesszinsen sind erst ab dem Tag zu entrichten, der auf die – hier am eingetretene – Rechtshängigkeit des Adhäsionsantrags folgt (st. Rspr.; vgl. etwa ).

5b) Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa mwN). Hier enthalten die Urteilsgründe keine Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer zukünftiger immaterieller Schäden als derjenigen, die das Landgericht bereits bei der Bemessung des zuerkannten Schmerzensgeldes in den Blick genommen hat.

6c) Die Adhäsionsentscheidung hat auch hinsichtlich der Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller Schäden keinen Bestand.

7aa) Das Feststellungsbegehren bezog sich auf diese Schäden ausdrücklich nur insoweit, als sie „nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.“ Der Adhäsionsausspruch des Landgerichts, der diesen Vorbehalt nicht enthält, verletzt das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO, einer Partei etwas zuzusprechen, das nicht beantragt ist (vgl. mwN), zumal der Schadensersatzanspruch auch materiell-rechtlich nur insoweit besteht, als ein Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X oder § 86 Abs. 1 VVG nicht stattgefunden hat (vgl. , NStZ-RR 2016, 351).

8bb) Der Feststellungsausspruch bedarf zudem grundsätzlich einer – gegebenenfalls kurzen – Begründung des hinreichenden Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls (vgl. mwN), soweit sich der Anspruch nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erklärt. Daran fehlt es hier. Denn das Landgericht nimmt zur Begründung der Feststellungsansprüche ausschließlich Bezug auf § 823 BGB. Weder hieraus noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich jedoch Umstände, die weitere materielle Ansprüche möglich erscheinen lassen. So finden sich weder in den Urteilsgründen noch in der Antragsschrift Anhaltspunkte dafür, dass der Heilungsprozess noch nicht abgeschlossen sein könnte.

93. Wegen des geringen Erfolgs der Rechtsmittel ist es nicht unbillig, die Angeklagten mit deren gesamten Kosten, einschließlich der besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens, und den notwendigen Auslagen des Neben- und Adhäsionsklägers zu belasten (§ 473 Abs. 4, § 472a Abs. 2 StPO, § 109 Abs. 2 Satz 4 JGG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:220222B6STR643.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAI-61235