Besitzen Sie diesen Inhalt bereits,
melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.
Sperrfristverletzung nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG wegen teilwertrealisierender Veräußerung von Anteilen?
[i]BFH, Urteil v. 18.8.2021 - XI R 20/19, NWB NAAAI-05459 Nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG ist für ein Wirtschaftsgut der (steuerliche) Buchwert anzusetzen, soweit dieses unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft und umgekehrt übertragen wird. Die Buchwertfortführung bleibt indes nur dann bestehen, wenn keine Sperrfristverletzung vorliegt. Eine Sperrfristverletzung kann unter anderem vorliegen, wenn innerhalb von sieben Jahren der Anteil eines Körperschaftsteuersubjekts an dem Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht. Eine Sperrfristverletzung führt insoweit zum rückwirkenden Ansatz des Teilwerts (§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG). [i]Strahl, NWB 10/2022 S. 653, NWB VAAAI-05692 In dem Revisionsverfahren des , NWB NAAAI-05459), das die Autoren als steuerlicher Vertreter der Klägerin und Revisionsbeklagten geführt haben, hatte dieser zu entscheiden, ob ein rückwirkender Teilwertansatz auch dann vorzunehmen ist, wenn sich der Anteil eines Körperschaftsteuersubjekts an dem zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum steuerlichen Buchwert übertragenen Wirtschaftsgut innerhalb von sieben Jahren aufgrund einer teilwertrealisierenden Veräußerung der Anteile unmittelbar begründet oder erhöht (s. auch Parallelurteil vom gleichen Tag, , NWB OAAAI-05463). Strittig ist die Rechtsfrage, da die Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG in dieser Sachverhaltskonstellation dem Wortlaut nach erfüllt scheinen. Gleichwohl ist sie aufgrund einer teleologischen Reduktion der Norm zu verneinen. S. 971
.
I. Hintergrund
[i]Gewährleistung der SteuerneutralitätIm Rahmen von Umstrukturierungen besteht eines der Hauptziele in der Gewährleistung der Steuerneutralität des Vorgangs. Während ein Veräußerungsvorgang regelmäßig zur Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven führt (vgl. Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, 157. Erg.-Lfg. Mai 2021, § 15 EStG Rz. 469), bestehen gleichwohl Rechtsnormen, die eine Steuerneutralität in gesondert geregelten Sachverhalten unter Einhaltung der gesetzlich genannten Tatbestandsvoraussetzungen gewährleisten.
[i]BuchwertansatzGemeinhin kommt es bei der Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten (nachfolgend: Anteile) aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft zu einem veräußerungsgleichen Realisationstatbestand (vgl. Kulosa in Schmidt, EStG, 40. Aufl. 2021, § 6 Rz. 775). Gleichwohl gewährleistet die Norm des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG in diesen Fällen die Steuerneutralität des Vorgangs, indem die übertragenen Wirtschaftsgüter zum Buchwert angesetzt werden. Dieser Buchwertansatz besteht indes nur dauerhaft fort, wenn keine Sperrfristverletzung vorliegt. Eine solche kann unter anderem dann vorliegen, wenn innerhalb von sieben Jahren der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse (nachfolgend: Körperschaftsteuersubjekt) an dem Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht. Eine Sperrfristverletzung führt insoweit zum rückwirkenden Ansatz des Teilwerts (§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG).
[i]Berger/Tetzlaff, NWB 31/2020 S. 2315Die Norm des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG war jüngst Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung. In dem Revisionsurteil des (NWB NAAAI-05459; Vorinstanz: , NWB PAAAH-42821) hatte dieser zu entscheiden, ob ein rückwirkender Teilwertansatz auch dann vorzunehmen ist, wenn sich der Anteil eines Körperschaftsteuersubjekts an dem zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum Buchwert übertragenen Wirtschaftsgut innerhalb von sieben Jahren aufgrund einer teilwertrealisierenden Veräußerung unmittelbar begründet oder erhöht. Strittig ist diese Rechtsfrage deswegen, da die Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG dem Wortlaut nach in dieser Sachverhaltskonstellation erfüllt scheinen (so auch der BFH XI R 20/19). Eine Einschränkung der Anwendbarkeit im Falle einer teilwertrealisierenden Veräußerung trifft die Norm indes nicht. Gleichwohl kann in diesen Fällen u. E. keine Sperrfristverletzung zu sehen sein. Zutreffend verneint der BFH die vorgenannte Rechtsfrage und begründet dies mit einer teleologischen Reduktion der Norm.
II. Ausgangslage:
1. Sachverhalt
[i]Einbringung von Wirtschaftsgütern zum Buchwert gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG gegen AnteilsgewährungDem BFH-Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2011 erfolgte durch die A-GmbH (Klägerin) eine Neugründung gegen Gewährung von 100 % der Anteile an einer GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG). Im Zuge dessen brachte die A-GmbH einzelne Wirtschaftsgüter in die KG ein. Die Einbringung der Wirtschaftsgüter erfolgte steuerlich nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zum Buchwert. Zur steuerbilanziellen Umsetzung des Buchwertansatzes in der Gesamthandsbilanz der KG wurde für die Klägerin eine negative Ergänzungsbilanz gebildet.
[i]Anteilsveräußerungen führen ...Im gleichen Jahr 2011 veräußerte die A-GmbH 30 % ihrer Anteile an der KG an einen fremden dritten Erwerber in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, die X-GmbH. Im Jahr 2014 erfolgte eine weitere Veräußerung von 30 % der Anteile an der KG an die X-GmbH. Die Veräußerungen erfolgten jeweils zu einem fremdüblichen Entgelt. Im Zuge der Veräußerungen wurde auf Ebene der KG ein Veräußerungsgewinn ermittelt und S. 972gesondert und einheitlich festgestellt. Der Veräußerungsgewinn war auf Ebene der KG gewerbesteuerpflichtig, auf Ebene der Klägerin unterlag er der Körperschaftsteuer.
[i]... laut Finanzamt zum rückwirkenden TeilwertansatzIm Rahmen der Betriebsprüfung vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, dass die Veräußerungen der Anteile an der KG zu einem rückwirkenden Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG führten.
2. Entscheidung
[i]Teleologische Reduktion von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStGDer BFH schließt sich in seinem Revisionsurteil v. - XI R 20/19 (NWB NAAAI-05459) der Auffassung der Vorinstanz und der Beitragsverfasser an (auf das in der BFH-Entscheidung XI R 20/19 ebenfalls behandelte verfahrensrechtliche Thema im Bereich der Körperschaftsteuer wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen). Demnach sei ein rückwirkender Teilwertansatz nicht vorzunehmen. Zwar lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG dem Wortlaut nach vor. Gleichwohl sei die Norm des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG im Wege einer teleologischen Reduktion nicht heranzuziehen, wenn die nachträgliche Begründung oder Erhöhung des Anteils einer Körperschaft an den zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragenen Wirtschaftsgütern entgeltlich und unter Aufdeckung der stillen Reserven erfolgt.
[i]Absicht des Gesetzgebers?Eine Sicherstellung der Erfassung der stillen Reserven, die bei der Veräußerung des Mitunternehmeranteils aufgedeckt werden, wurde durch den Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt (vgl. , NWB NAAAI-05459, mit Verweis auf das Parallelurteil v. - XI R 43/20, NWB OAAAI-05463, und , NWB OAAAH-93543). Gestützt wird dieses Ergebnis durch § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG. Diese Vorschrift ist als entsprechende gewerbesteuerliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift anzusehen (vgl. BFH XI R 20/19 mit Verweis auf BFH XI R 43/20 und BFH IV R 36/18).
[i]BFH, Urteil v. 15.7.2021 - IV R 36/18, NWB OAAAH-93543 Der BFH hat in seiner Entscheidung XI R 20/19 jedoch explizit offengelassen, ob § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG auch dann teleologisch zu reduzieren ist, wenn es bei der Anteilsübertragung nicht zu einer Verlagerung der stillen Reserven in den zuvor eingebrachten Wirtschaftsgütern aus dem Einkommen- in das Körperschaftsteuerregime (vgl. , NWB OAAAH-93543) kommt.