Verständigung im Strafverfahren: Vorliegen eines Verständigungsvorschlags; Pflicht zur Belehrung des Angeklagten bei verständigungsbezogener Erörterung
Gesetze: § 257c Abs 3 StPO, § 257c Abs 4 S 3 StPO, § 257c Abs 5 StPO
Instanzenzug: Az: 536 KLs 6/19
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten B. - diesen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem früheren Urteil - und A. wegen einer Vielzahl von Steuerhinterziehungen zu langjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Die Angeklagten G. und R. hat es wegen Beihilfe zur (teilweise nur versuchten) Steuerhinterziehung in zahlreichen Fällen ebenfalls zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt; den Angeklagten G. hat es im Übrigen freigesprochen. Zudem hat das Landgericht Einziehungsentscheidungen gegen diese Angeklagten und gegen nicht revidierende Einziehungsbeteiligte getroffen.
2Den Angeklagten P. hat die Strafkammer wegen Steuerhinterziehung in 1.053 Fällen sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt.
3Mit ihren Revisionen beanstanden sämtliche Angeklagten eine Verletzung materiellen Rechts; die Angeklagten B. , A. , G. und R. stützen ihre Revisionen daneben auch auf Verfahrensrügen. Die Revisionen der Angeklagten B. , A. , R. und G. haben mit der Rüge einer Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO in Verbindung mit dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) umfassenden Erfolg; die Angeklagten B. , A. und R. dringen darüber hinaus mit der Rüge einer Verletzung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO durch. Die allein auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten P. führt zur Aufhebung der verhängten Einzelfreiheitsstrafen und des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
4I. Revisionen der Angeklagten B. , A. , R. und G.
51. a) Der von den Angeklagten B. , A. , R. und G. jeweils erhobenen Rüge einer Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO in Verbindung mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
6Die Angeklagten B. und G. machten im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch und ließen sich zunächst nicht zur Sache ein; der Angeklagte A. stritt im Ermittlungsverfahren eine Tatbeteiligung ab. Nachdem der Angeklagte R. im Ermittlungsverfahren Angaben zu seiner Tätigkeit bei der Ga. GmbH gemacht hatte, ließ auch er sich im Rahmen der Hauptverhandlung zunächst nicht zur Sache ein.
7Am führten die Berufsrichter der Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Staatsanwaltschaft Gespräche mit einzelnen Verteidigern über die Möglichkeit einer Verständigung; der Vorsitzende teilte dabei mit, dass die Kammer das Verfahren nicht für verständigungsgeeignet halte, aber die Möglichkeit einer Zwischenberatung über das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme und Abgabe einer vorläufigen Einschätzung ins Auge gefasst werde. In der Folge erklärten sowohl der Vorsitzende als auch die Verteidiger des Angeklagten B. , dass sie keine Möglichkeit für eine Verständigung sähen; die Verteidiger des Angeklagten B. bekundeten jedoch Interesse an einer Zwischenberatung der Strafkammer. Am übermittelte der Vorsitzende den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft per E-Mail eine als „Transparenzerklärung“ bezeichnete Einschätzung der Kammer, die neben einer vorläufigen Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses sowie der entscheidungserheblichen Rechtsfragen auch - für jeden Angeklagten gesondert - eine „im Falle eines umfassenden Geständnisses“ (PB XIII, Bl. 106, 109 und 111) als angemessen erachtete Strafober- und Strafuntergrenze enthielt. Zu den angesprochenen möglichen Geständnissen teilte die Kammer mit, dass sie diese jeweils „strafzumessungsrechtlich noch als frühes Geständnis werten würde“ (PB XIII, Bl. 106, 109 und 111). Hinsichtlich des Angeklagten G. wies das Landgericht - in der konkreten Formulierung anders als bei den Angeklagten B. , A. und R. - darauf hin, dass „ein umfassendes Geständnis [...] sich deutlich strafmildernd auswirken [würde], so dass in diesem Fall derzeit mit der Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von [...] bis [...] zu rechnen wäre“ (PB XIII, Bl. 114). Der Vertreter der Staatsanwaltschaft wurde gebeten, sich am nachfolgenden Hauptverhandlungstag zu dem Ergebnis der Zwischenberatung zu äußern; auch die Verteidiger wurden darauf hingewiesen, dass sie dann ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme hätten.
8Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte am 19. Hauptverhandlungstag, dass die in der „Transparenzerklärung“ genannten Strafrahmen am unteren Ende dessen lägen, was die Staatsanwaltschaft bei geständigen Einlassungen der Angeklagten in Betracht ziehen würde (PB X, Bl. 179).
9Am 20. Hauptverhandlungstag, den , führte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung aus, dass es sich bei der „Transparenzerklärung“ nicht um ein Verständigungsangebot handele, da das Gericht das Verfahren aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der Angeklagten nach wie vor nicht für verständigungsgeeignet halte. Die in der „Transparenzerklärung“ genannten möglichen Strafrahmen seien nicht als starre Ober- und Untergrenzen zu verstehen, sondern bildeten lediglich die aus Sicht der Strafkammer „realistische Größenordnung“ (PB XIII, Bl. 90) ab. Zudem erklärte der Vorsitzende, den Angeklagten „müsse zum einen bewusst sein, dass die genannten Strafrahmen auch im Falle einer Einlassung keine Bindungswirkung entfalten. Zum anderen seien Einlassungen mangels Verständigung auch dann verwertbar, wenn die Kammer im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme zu abweichenden Einschätzungen der Beweisaufnahme kommen sollte“ (PB XIII, Bl. 90). Sodann verlas der Vorsitzende die vorab übersandte „Transparenzerklärung“. Die Prozessbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.
10Die Angeklagten B. , A. , R. und G. , die bis zu diesem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung geschwiegen hatten, gaben daraufhin in den folgenden Hauptverhandlungstagen teilgeständige Einlassungen ab, die sich im Wesentlichen auf das äußere Tatgeschehen bezogen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende - unter Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten B. - mit, dass die bisherigen Einlassungen von der Kammer nicht als umfassendes Geständnis gewertet werden würden. Eine Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO erteilte der Vorsitzende den Angeklagten weder nach Verlesung der „Transparenzerklärung“ noch vor Abgabe der jeweiligen Einlassung oder im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung.
11Am 30. Hauptverhandlungstag hat die Strafkammer die gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe der Beihilfe zur (bandenmäßigen) Hinterziehung polnischer Energiesteuer entsprechend der in der „Transparenzerklärung“ vorangestellten Maßgabe (PB XIII, Bl. 93) nach § 154 Abs. 2 bzw. § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen (PB XIV, Bl. 4). Die vom Landgericht ebenfalls in Aussicht gestellte Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der „unter Einbindung der Pe. begangenen Vorwürfe gemäß § 154 Abs. 2 StPO“ (PB XIII, Bl. 93) erging hingegen nicht.
12Am Ende der Beweisaufnahme nahm der Vorsitzende zu Protokoll, dass „zwischen den Verfahrensbeteiligten keine Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung gemäß § 257c StPO stattgefunden haben und [...] dass weiterhin keine Verständigung gemäß § 257c StPO getroffen wurde“ (PB XV, Bl. 11).
13b) Die Angeklagten beanstanden mit ihren Revisionen zurecht, dass die Strafkammer sie nicht nach § 257c Abs. 5 StPO über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehrt hat.
14Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 125; BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 1/21 Rn. 2; vom - 2 StR 383/20 Rn. 5; vom - 2 StR 352/19 Rn. 7; vom - 1 StR 545/18 Rn. 8; vom - 1 StR 71/16 Rn. 6 und vom - 4 StR 595/14 Rn. 11 mwN). Bei der „Transparenzerklärung“ der Strafkammer handelt es sich um einen gerichtlich unterbreiteten Verständigungsvorschlag, der eine solche Belehrungspflicht ausgelöst hat. Dieser hat der Vorsitzende rechtsfehlerhaft nicht entsprochen.
15aa) Ob ein Verständigungsvorschlag vorliegt, bestimmt sich nach dem sachlichen Gehalt der Gesprächsinhalte und ist nicht abhängig von der Beurteilung der Prozessbeteiligten; dass diese nicht von einer Verständigung ausgehen oder sich von einer solchen sogar verbal distanzieren, ist ohne Bedeutung. Steht der Sache nach eine Verständigung inmitten, ist die Einhaltung der hierfür geltenden verfahrensrechtlichen Sicherungen nicht disponibel (vgl. Rn. 23; Rn. 9).
16(1) Verständigungsbezogene Erörterungen werden geführt, sobald bei Gesprächen der Prozessbeteiligten ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies wiederum ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 85; Rn. 19 und vom - 3 StR 470/14 Rn. 12 mwN; Beschlüsse vom - 1 StR 44/21 Rn. 9; vom - 1 StR 545/18 Rn. 10; vom - 1 StR 2/19 Rn. 10 mwN; vom - 1 StR 343/18 Rn. 12 und vom - 5 StR 9/15 Rn. 17; jeweils mwN). Abzugrenzen sind danach Erörterungen, bei denen ein bestimmtes Verfahrensergebnis und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von ohne Weiteres zulässigen sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. § 257b StPO und Rn. 20; Beschlüsse vom - 1 StR 545/18 Rn. 10; vom - 1 StR 2/19 Rn. 11 und vom - 5 StR 9/15 Rn. 15 ff.).
17(2) An diesen Maßgaben gemessen ist die „Transparenzerklärung“ der Strafkammer als Verständigungsvorschlag im Sinne des § 257c Abs. 3 StPO anzusehen. Denn die Strafkammer hat - insoweit über die bisherige Einschätzung der Verfahrensbeteiligten, die Sache sei nicht zur Verständigung geeignet, hinausgehend - die Verhängung einer Strafe aus dem jeweils in Aussicht gestellten Strafrahmen von einem bestimmten prozessualen Verhalten des jeweiligen Angeklagten, namentlich einem Geständnis, abhängig gemacht und damit die angesprochene Strafe in ein Gegenseitigkeitsverhältnis mit einem etwa zuvor vom jeweiligen Angeklagten abgegebenen Geständnis gestellt. Wegen des vom Landgericht dabei durch die sprachliche Verknüpfung „im Falle“ unzweideutig hergestellten Konnexes zwischen dem erhofften Geständnis und der Straferwartung (vgl. Rn. 11) handelt es sich bei der Äußerung der Strafkammer insbesondere gerade nicht um einen bloß allgemeinen Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses oder eine Offenlegung der voraussichtlichen Straferwartung (vgl. hierzu u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 106; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 2/19 Rn. 12 und vom - 5 StR 9/15 Rn. 15). Durch ihren Hinweis, dass etwaige Geständnisse der Angeklagten B. , A. und R. - am 20. Hauptverhandlungstag - „noch als frühes Geständnis“ angesehen würden, hat die Strafkammer die Anreizwirkung für das als Gegenleistung geforderte prozessuale Verhalten zusätzlich erhöht.
18bb) Der durch diesen „überschießenden“, von der Verteidigung „nicht eingeforderten“ Teil der Transparenzklärung hervorgerufenen Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten, die mit der von der Strafkammer durch ihr auf eine Verständigung abzielendes Verhalten geschaffenen besonderen Anreizsituation einhergeht, hätte die Kammer mit einer von § 257c Abs. 5 StPO geforderten Belehrung der Angeklagten entgegenwirken müssen (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 126 f.; Beschluss vom - 2 BvR 2048/13 Rn. 15). So hätte der Vorsitzende die Angeklagten bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlages in der Hauptverhandlung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 125; Beschluss vom - 2 BvR 2048/13 Rn. 14 f.; BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 383/20 Rn. 5; vom - 1 StR 545/18 Rn. 14; vom - 5 StR 585/17 Rn. 7; vom - 1 StR 71/16 Rn. 6 und vom - 5 StR 82/15 Rn. 6).
19Die Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPO, mit welcher der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens und eine möglichst autonome Entscheidung des Angeklagten sichern wollte (BT-Drucks. 16/12310 S. 15; u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 99), wird insbesondere nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass ein dem sachlichen Gehalt nach auf eine Verständigung zielender Vorschlag nicht als solcher benannt oder sogar verkannt wird (vgl. Rn. 15).
20Durch das Unterbleiben der erforderlichen Belehrung wurden die Angeklagten über Bedeutung und Folgen ihres Prozessverhaltens im Unklaren gelassen, was mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) unvereinbar ist (vgl. Rn. 14; Rn. 14). Der den Maßgaben des § 257c Abs. 4 StPO widersprechende Hinweis des Vorsitzenden, dass die in der Transparenzerklärung genannten Strafrahmen auch im Falle einer Einlassung der Angeklagten keine Bindungswirkung entfalten würden und etwaige Einlassungen auch dann verwertbar seien, „wenn die Kammer im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme zu abweichenden Einschätzungen der Beweisaufnahme kommen sollte“ (PB XIII, Bl. 90), suggerierte den Angeklagten sogar eine tatsächlich nicht geltende Rechtslage und erschwerte damit eine an der tatsächlichen Rechtslage orientierte Verteidigung der Angeklagten.
21c) Die (teil-)geständigen Einlassungen der Angeklagten B. , A. , R. und G. und damit das auch hierauf gestützte Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann die Ursächlichkeit der unterbliebenen Belehrung für die teilgeständigen Einlassungen der Angeklagten nicht ausnahmsweise ausschließen.
22Zwar ist mangels ausdrücklicher Zustimmungserklärung (vgl. Rn. 12 ff.; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 169/19 Rn. 11 mwN und vom - 5 StR 39/16) keine formelle Verständigung im Sinne des § 257c StPO zustande gekommen. Die Belehrung der Angeklagten nach § 257c Abs. 5 StPO ist aber ohnedies bereits vor dem Zustandekommen einer Einigung zu erteilen, um den Angeklagten ein zweckmäßiges Verteidigungsverhalten zu ermöglichen (vgl. Rn. 14 f.; Urteil vom - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 125 f.). Der Verfahrensablauf belegt im Übrigen das Vorbringen der Revisionen, dass sich die Angeklagten B. , A. , R. und G. (teil-)geständig eingelassen haben, um die Bedingung aus dem Verständigungsvorschlag des Landgerichts zu erfüllen.
23Das Landgericht hat die Verurteilung - unter anderem - auf die der Transparenzerklärung nachfolgenden Einlassungen der Angeklagten gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass den Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung auch ohne Belehrung bekannt waren, bestehen nicht (vgl. Rn. 16 f.; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 295/19 Rn. 11 ff. und vom - 1 StR 425/18 Rn. 5). Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass sich die Angeklagten bei zutreffender Belehrung anders - erfolgversprechend - verteidigt hätten.
242. Soweit die Angeklagten B. , A. und R. darüber hinaus die Verwertung der (teil-)geständigen Einlassungen rügen, liegt zudem ein Verstoß gegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO vor. Das Landgericht hätte die auf die Transparenzerklärung ergangenen (teil-)geständigen Einlassungen der Angeklagten nicht verwerten dürfen, nachdem diese Resultat einer unzulässigen informellen Verfahrensabsprache waren. Dies ergibt sich bereits unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO getroffenen Regelung, wonach im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens der Beitrag des Angeklagten, den er im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung geleistet hat, nicht verwertet werden darf (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 14). Erschwerend kommt hinzu, dass die auf der Grundlage der (teil-)geständigen Einlassungen der Angeklagten zuerkannten Strafen oberhalb der jeweils in der „Transparenzerklärung“ genannten Obergrenze der für den Fall eines Geständnisses jeweils in Betracht gezogenen Strafrahmen liegen (Rechtsgedanke des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO).
25II. Revision des Angeklagten P.
261. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Revision des Angeklagten P. hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
272. Das Rechtsmittel führt jedoch zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch sowie zum Wegfall der gegen diesen Angeklagten in den Fällen 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen.
28a) Für die in den Fällen 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten P. verhängten Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe fehlt es an einem entsprechenden Schuldspruch, sodass diese Einzelstrafen der erforderlichen Grundlage entbehren. Sie haben daher zu entfallen.
29aa) Mit Anklage vom ist dem Angeklagten P. vorgeworfen worden, sich bereits ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung zum Geschäftsführer der Ga. GmbH am an den verfahrensgegenständlichen Taten beteiligt zu haben. Das Landgericht hat das Verfahren hinsichtlich des Angeklagten P. mit Beschluss vom (PB XIV, Bl. 5) jedoch bezüglich der zwischen dem 4. Oktober und dem begangenen Taten (Fälle 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe; Fälle 464 bis 508 der Anklageschrift) gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem es zur Überzeugung gelangt war, dass der Angeklagte P. erst am Kenntnis von der systematischen Hinterziehung der Energiesteuer erlangt hatte. Dementsprechend hat es ihn lediglich wegen Hinterziehung von Energiesteuer in 1.052 Fällen (Fälle 4.843 bis 5.894 der Urteilsgründe) schuldig gesprochen. Gleichwohl hat es gegen den Angeklagten P. - offenbar versehentlich - Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe für die Taten 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe verhängt.
30bb) Soweit das Landgericht zusätzlich eine Einzelstrafe für den Fall 5.895 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten verhängt hat, kann hingegen von einem Schreibversehen ausgegangen werden, weil der Fall 5.895 der Urteilsgründe - anders als die Fälle 1 bis 5.894 der Urteilsgründe - bereits nicht die Hinterziehung von Energiesteuer, sondern von Umsatzsteuer betrifft. Damit liegt auf der Hand, dass das Landgericht den letzten Fall der Serie von Energiesteuerhinterziehungen nicht mit 5.894 der Urteilsgründe, sondern vielmehr irrtümlich mit 5.895 der Urteilsgründe angegeben hat. Im Übrigen war der Angeklagte P. dieser Tat schon nicht angeklagt, sodass es jedenfalls der Aufhebung und des Entfallens der insoweit - versehentlich - verhängten Einzelstrafe bedarf.
31b) Die Aufhebung der in den Fällen 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs gegen den Angeklagten P. nach sich. Das Landgericht hat die Höhe der durch das Tatgeschehen insgesamt verursachten Steuerverkürzung - unter irrtümlicher Berücksichtigung der auf die Fälle 4.242 bis 4.842 der Urteilsgründe entfallenden Hinterziehungssumme von rund acht Millionen Euro - sowohl bei der Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 AO, UA S. 419 f.) als auch bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen (UA S. 422) berücksichtigt, sodass nicht auszuschließen ist, dass es deshalb von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen ist. Der Senat kann damit auch nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Schadensumfangs auf niedrigere Einzelstrafen und eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230921B1STR43.21.0
Fundstelle(n):
wistra 2022 S. 120 Nr. 3
TAAAI-03393