BGH Beschluss v. - 1 StR 545/18

Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über verständigungsbezogene Erörterung

Gesetze: § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c Abs 4 StPO, § 257c Abs 5 StPO

Instanzenzug: Az: 608 KLs 4/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte wendet sich mit Verfahrensrügen sowie der ausgeführten Sachrüge gegen das Urteil.

2Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Rüge der Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO in Verbindung mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens umfassenden Erfolg.

31. a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Der Angeklagte hat die Anklagevorwürfe im Zwischenverfahren bestritten. Mit Beschluss vom hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet. Auf Initiative des Vorsitzenden der Strafkammer hat am eine Vorbesprechung stattgefunden, an der die Verteidiger der Angeklagten, der zuständige Staatsanwalt sowie der Vorsitzende und der Berichterstatter der Strafkammer teilgenommen haben. Der Vorsitzende hat zum Ablauf dieses Gesprächs auszugsweise folgenden Vermerk niedergelegt, der das Geschehen zutreffend wiedergibt:

„Der Vorsitzende erörterte anschließend kurz die Beweislage aus vorläufiger Sicht der Kammer und machte dabei deutlich, dass ggf. nur wenige Zeugen zu hören sein könnten, da die Anklagevorwürfe in ganz erheblichem Umfang auf Urkunden gestützt würden.

Im weiteren wurde seitens des Vorsitzenden dargelegt, dass bezüglich aller drei Angeklagter besondere Umstände vorliegen könnten, die aus Sicht der Kammer unter Zurückstellung gewisser Bedenken im Falle eines frühen und umfassenden Geständnisses Bewährungsstrafen ermöglichen könnten.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, dass unter diesen Voraussetzungen (frühe und umfassende Geständnisse) entsprechende Entscheidungen der Kammer voraussichtlich hingenommen würden.

Auf Frage von Rechtsanwalt          M.    (der Verteidiger des Angeklagten F.    ), ob eine formelle Verständigung nach Maßgabe des § 257c StPO in Betracht käme, erwiderte sowohl der Vorsitzende als auch Oberstaatsanwalt B.    , dass sich eine solche Verfahrensweise vorliegend nicht anbiete. Der Vorsitzende wies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die aus seiner Sicht problematische Praktikabilität des § 257c StPO hin und vertrat die Auffassung, dass Erörterungen im Rahmen der §§ 202a, 257b StPO vorzugswürdig seien.

Die drei Verteidiger teilen mit, dass sie ihre Erkenntnisse aus der Vorbesprechung mit ihrem Mandanten erörtern würden.“

5Am ersten Sitzungstag der Hauptverhandlung, am hat der Vorsitzende nach der Verlesung des Anklagesatzes den Inhalt des Vorgesprächs durch Verlesung des dargestellten Vermerks mitgeteilt. Nach Belehrung der Angeklagten über ihre Aussagefreiheit hat der Angeklagte F.    sein Verteidigungsverhalten geändert und hat im Hinblick auf die zugesagte Bewährungsstrafe eingeräumt, dass er es für möglich gehalten habe, dass der Lieferant der H.  GmbH die Umsatzsteuer für die gehandelte Ware nicht abgeführt habe.

6Weder vor Abgabe der Einlassung noch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ist der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden. Am letzten Sitzungstag der Hauptverhandlung hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass keine Verständigung im Sinne des § 257c StPO stattgefunden habe.

7b) Der Senat konnte sich anhand des Protokolls und des Vermerks im Freibeweisverfahren vom Gang des Vorgesprächs und der Hauptverhandlung überzeugen. Auf den - in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen - Vortrag der Verteidigung, dass nach der Einlassung des Angeklagten eine Erörterung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung darüber stattgefunden habe, ob das Geständnis „ausreichend“ sei, um ein vorsätzliches Handeln zu belegen, was der Vorsitzende nach Hinweis der Verteidigung auf ein Geständnis im Sinne des Erörterungsgesprächs vom bejaht habe, wozu sich im Protokoll nur die Erörterung der „Sach- und Rechtslage“ sowie des weiteren „Prozedere“ findet, kam es nicht mehr an.

82. Danach beanstandet die Revision zurecht, dass der Angeklagte nicht nach § 257c Abs. 5 StPO über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehrt worden ist. Denn eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu u.a., Rn. 99, BVerfGE 133, 168, 237; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 71/16; vom - 4 StR 595/14 mwN und vom - 5 StR 82/15). Angesichts des gerichtlich unterbreiteten Verständigungsvorschlags ist eine solche Belehrungspflicht ausgelöst, aber rechtsfehlerhaft nicht erfüllt worden.

9a) Ob ein Verständigungsvorschlag vorliegt, bestimmt sich nach dem sachlichen Gehalt der Gesprächsinhalte und ist nicht abhängig von der Einschätzung durch Vorsitzenden und Staatsanwalt, die diesbezüglichen Verfahrensregelungen seien nicht praktikabel. Steht der Sache nach eine Verständigung inmitten, ist die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Sicherungen nicht disponibel.

10b) Die am stattgefundene Vorbesprechung stellt eine verständigungsbezogene Erörterung dar. Hiervon ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies wiederum ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt ( mwN und vom - 3 StR 153/16). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen ().

11Da in dem Vorgespräch Bewährungsstrafen von einem prozessualen Verhalten des Angeklagten, nämlich einem frühen und umfassenden Geständnis, abhängig gemacht worden sind, liegt ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis vor. Wegen des vom Vorsitzenden dabei durch die sprachliche Verknüpfung „im Falle“ unzweideutig hergestellten Konnexes zwischen dem Geständnis und der Bewährungsstrafe handelt es sich auch nicht um einen bloßen Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses oder die Offenlegung der voraussichtlichen Straferwartung (vgl. hierzu u.a., BVerfGE 133, 168, 228; BGH aaO). Durch die Betonung, dass die Bewährungsstrafen „unter Zurückstellung von gewissen Bedenken“ möglich seien, ist die Anreizwirkung für das als Gegenleistung geforderte prozessuale Verhalten zusätzlich erhöht worden.

12c) Der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ist der Vorsitzende durch Verlesung seines Vermerks über das Gespräch nachgekommen und hat dadurch dokumentiert, dass kein gänzlich informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben werden soll. Hierdurch hat er aber auch die in dem Vermerk enthaltene Zusage einer Bewährungsstrafe bei Ablegung eines Geständnisses im Sinne eines Verständigungsvorschlags aktualisiert, da sie durch den Vorsitzenden - nunmehr für den gesamten Spruchkörper - nicht zurückgenommen oder relativiert worden ist. Gleiches gilt für den Oberstaatsanwalt. Daher musste der Angeklagte davon ausgehen, dass diese Verknüpfung weiterhin gilt.

13Angesichts des eindeutigen, wenn auch rechtlich verfehlten Hinweises des Vorsitzenden, dass es sich lediglich um eine Erörterung des Verfahrensstands nach § 257b StPO handele, sowie des Umstands, dass für weitere Erörterungen wegen der bereits abschließenden Festlegung von Gericht und Staatsanwaltschaft keine Veranlassung bestand, musste der Angeklagte zudem davon ausgehen, dass sein Beitrag, das frühe und umfassende Geständnis, nunmehr ohne Weiteres erfolgen müsste, wollte er die Bewährungsstrafe erhalten.

14d) Das Gericht und die Staatsanwaltschaft haben durch ihr auf eine Verständigung abzielendes Verhalten eine besondere Anreiz- und Verlockungssituation geschaffen. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit hätte durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden müssen (vgl. u.a., Rn. 99, BVerfGE 133, 168, 237). So hätte der Vorsitzende den Angeklagten bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlages in der Hauptverhandlung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 71/16; vom - 1 StR 425/18 und vom - 4 StR 268/18). Durch das Unterbleiben dieser Belehrung wurde der Angeklagte über Bedeutung und Folgen seines Prozessverhaltens im Unklaren gelassen, was mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbar ist (vgl. ).

15Die Belehrungspflicht, mit der der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahren und eine möglichst autonome Entscheidung des Angeklagten sichern wollte (BT-Drucks. 16/12310 S. 15; BVerfG aaO), wird nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass ein dem sachlichen Gehalt nach auf eine Verständigung zielender Vorschlag nicht als solcher benannt wird. Dies gilt zumal dann, wenn - wie hier - eine prozessual unzutreffende Einkleidung gewählt wird, um als unpraktikabel erachtete Vorschriften zum Schutz des Angeklagten zu umgehen.

163. Der Senat kann die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für die geständige Einlassung nicht ausnahmsweise ausschließen.

17Zwar ist mangels ausdrücklicher Zustimmungserklärung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 39/16 und vom - 1 StR 169/19 mwN) keine formelle Verständigung zustande gekommen. Jedoch belegt der Verfahrensablauf das Vorbringen der Revision, dass das Geständnis des Angeklagten erfolgte, um die Bedingung aus dem Verständigungsvorschlag zu erfüllen.

18Neben anderen Beweismitteln hat die Strafkammer auf dieses Geständnis die Verurteilung gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren, bestehen nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 302/13; vom - 5 StR 73/17 und vom - 1 StR 425/18).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:091019B1STR545.18.0

Fundstelle(n):
FAAAH-46449