NWB Nr. 3 vom Seite 137

BVerfG zur Ausnahme von der sog. Reichensteuer

Prof. Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt | Mitherausgeber des NWB EStG-Kommentars und des Handbuchs Bilanzsteuerrecht

Vorübergehende Tarifkappung für Gewinneinkünfte im Härtetest durchgefallen

Nach gut acht Jahren hat das BVerfG über einen Vorlagebeschluss des FG Düsseldorf entschieden, § 32c EStG i. d. F. des StÄndG 2007 für unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum rückwirkend für das Veranlagungsjahr 2007 eine Neuregelung zu treffen.

Zur Erinnerung: Mit Koalitionsvertrag vom vereinbarten die damaligen Regierungsparteien (CDU, CSU, SPD) u. a. die Einführung einer sog. Reichensteuer zum und eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die zum in Kraft treten sollte. Bis dahin sollten die „gewerblichen“ Einkünfte durch ein Übergangsgesetz von der Erhöhung der Einkommensteuer auf 45 % ausgenommen werden. Tatsächlich betraf dann diese Verschonungsregelung alle Gewinneinkünfte und wurde 2008 durch die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG abgelöst.

Die offenkundig einander widersprechenden Regelungsziele einer fiskalzweckorientierten Haushaltskonsolidierung und einer dazu ergangenen lenkungsbezogenen Ausnahmevorschrift gebieten schon, dass der Gesetzgeber die außerfiskalische Maßnahme schlüssig und überzeugend rechtfertigt. Das BVerfG fordert dazu, dass entweder Ziel und Grenze der Lenkung tatbestandlich vorgezeichnet sind oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird. In den Gesetzesmaterialien genannte lediglich vage Zielsetzungen genügen für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen. Danach bedürfen Differenzierungen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Nach Auffassung des BVerfG unterliegen Förder- und Lenkungsnormen diesen strengen Prüfungskriterien vor allem, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass Vergünstigungen zulasten der Ertragshoheit der Länder angeboten sowie unter Umständen Länderkompetenzen überspielt werden könnten (Rn. 64). Nach diesen Maßstäben widerlegt das BVerfG akribisch sowohl die in der Entwurfsbegründung zum StÄndG 2007 aufgeführten, als auch die einzelnen vom BMF im Verfahren nachgeschobenen Rechtfertigungsgründe. Danach sind auch die sehr vagen Hinweise zur Unternehmenssteuerreform in der Koalitionsvereinbarung vom nicht geeignet, die hinreichende Bestimmtheit der gesetzgeberischen Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke zugunsten der Gewinneinkünfte zu gewährleisten (Rn. 78 ff.).

Die aktuelle Entscheidung des hat zwar nur unmittelbare Auswirkung für einen einzigen VZ, der zudem noch weit zurückliegt, so dass nur wenige Steuerpflichtige von einer denkbaren, nur offene Fälle betreffenden, begünstigenden Regelung profitieren würden; die Gründe des Beschlusses liefern jedoch überzeugende Maßstäbe zur Beurteilung aller weiteren Gesetzgebungsvorhaben, die eine Schedularbesteuerung zum Ziel hatten und künftig haben werden.

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2022 Seite 137
NWB GAAAI-02116