BAG Urteil v. - 3 AZR 147/21

Betriebliche Altersversorgung - Höchstaltersgrenze - Diskriminierung wegen des Alters und des Geschlechts

Gesetze: § 7 Abs 1 AGG, § 3 Abs 1 AGG, § 1 AGG, § 10 S 3 Nr 4 AGG, § 291 ZPO

Instanzenzug: ArbG Essen Az: 2 Ca 2392/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 453/20 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf betriebliche Altersversorgung.

2Die im Juni 1961 geborene Klägerin war seit dem bei der beklagten Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) zunächst befristet und ist seit dem unbefristet beschäftigt.

3Bei der Beklagten gilt eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Neuregelung der Zusagen auf betriebliche Altersversorgung in ver.di“ (im Folgenden GBV Zusage). Diese lautet auszugsweise:

4Die Versorgungsordnung 1995 (im Folgenden VO 95) lautet auszugsweise wie folgt:

5Die Beklagte lehnte eine Anmeldung der Klägerin bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. mit der Begründung ab, dass sie bei Beschäftigungsbeginn ihr 55. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie hat die Auffassung vertreten, die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 bewirke eine ungerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters sowie eine unzulässige mittelbare Benachteiligung von weiblichen Beschäftigten. Die Höchstaltersklausel sei daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Es sei zu berücksichtigen, dass Frauen typischerweise aufgrund von Erziehungszeiten weniger Zeiten zur Verfügung stünden, um eine angemessene Altersversorgung aufzubauen. Die Klägerin verweist hierzu auf Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund, wonach Frauen in den alten Bundesländern in der gesetzlichen Rentenversicherung durchschnittlich nur 28 Versicherungsjahre erreichten, Männer hingegen über 40 Versicherungsjahre. Dass sie - ausgehend von dem für sie maßgeblichen Renteneintrittsalter gemäß § 235 Abs. 2 Satz 2 SGV VI von 66 Jahren und sechs Monaten - mehr als 11 Jahre lang keine Versorgungsanwartschaften erwerben könne, betreffe demnach einen erheblichen Teil des typischen Erwerbslebens einer Frau. Die Altersgrenze sei deshalb nicht mehr angemessen.

6Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Gründe

9Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist, soweit sie dem Senat zur Entscheidung anfällt, unbegründet.

10I. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1., der jedoch der Auslegung bedarf (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl.  - Rn. 11), als Leistungsantrag zwar nur teilweise zulässig. Soweit er als Leistungsantrag unzulässig ist, ist er in einen Feststellungsantrag umzudeuten und als solcher zulässig.

111. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den ersten Antragsteil - die Beklagte zu verurteilen, sie zum , hilfsweise zum bei der betrieblichen Altersvorsorge Unterstützungskasse des DGB e.V. anzumelden - als zulässigen und einheitlichen Leistungsantrag erachtet. Der Antrag ist insoweit insbesondere hinreichend bestimmt.

12a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat ( - Rn. 18, BAGE 149, 169). Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren ins Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber worin diese besteht ( - Rn. 10, BAGE 169, 26; - 3 AZB 93/08 - Rn. 16, BAGE 130, 195). Diese Anforderung ist auch erfüllt, wenn der Antrag durch Auslegung, insbesondere unter Heranziehung der Klageschrift und des sonstigen Vorbringens der klagenden Partei, hinreichend bestimmt ist ( - Rn. 44, BAGE 152, 1; - 9 AZR 229/05 - Rn. 14, BAGE 118, 252).

13b) Danach ist der erste Antragsteil hinreichend bestimmt. Die Klägerin verfolgt mit ihrem Antrag zu 1. nicht lediglich die Verschaffung einer Altersversorgung - dies ist Gegenstand des Hilfsantrags -, sondern die Durchführung der begehrten Versorgung über die Unterstützungskasse des DGB e.V. Der Klageantrag zu 1. zielt bei gebotener Auslegung auf die Vornahme aller Handlungen, die seitens der Beklagten erforderlich sind, um diese Durchführung zu ermöglichen. Die Handlung „anzumelden“ bezeichnet demnach die Vornahme aller derjenigen Handlungen, die erforderlich sind, um das Anmeldungsverhältnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VO 95 zu begründen. Angesichts der bereits bestehenden Mitgliedschaft der Beklagten bei der Unterstützungskasse ist damit die geschuldete Handlung eindeutig bezeichnet. Ob eine rückwirkende Anmeldung bei der Unterstützungskasse möglich ist, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags. Die „hilfsweise“ begehrte Anmeldung zum ist als ein „Weniger“ bereits im Antrag auf Anmeldung zum enthalten.

142. Der zweite Antragsteil - die Beiträge gemäß der Versorgungsordnung 1995 (VO 95) idF vom zu entrichten - ist nur als Feststellungsantrag zulässig.

15a) Ein Zahlungsantrag ist, auch soweit er eine künftige Leistung betrifft, grundsätzlich nur hinreichend bestimmt, wenn er beziffert ist (vgl.  - zu I 1 c der Gründe). Anderes gilt nur, wenn die Berechnung aus allgemein kundigen Daten ohne Weiteres möglich oder der Klagepartei aus besonderen Gründen unzumutbar ist (vgl. Zöller/Greger ZPO 33. Aufl. § 253 Rn. 13a mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Die fehlende Bezifferung der zu entrichtenden Beiträge führt insoweit zur Unzulässigkeit des Leistungsantrags.

16b) Indes ist dieser Antragsteil als Feststellungsantrag zu verstehen und als solcher zulässig.

17aa) In einem unzulässigen oder unbegründeten Leistungsantrag kann unter Berücksichtigung von Inhalt und Ziel der Klage ein Feststellungsantrag als ein „Weniger“ enthalten sein. Die Bindung der Gerichte an den Klageantrag nach § 308 Abs. 1 ZPO steht einer in diesem Sinne möglichen Umdeutung des Klagebegehrens nicht entgegen (vgl.  - Rn. 21; - 3 AZR 456/17 - Rn. 44;  - Rn. 19 mwN).

18bb) Die Klage zielt ausweislich ihrer Begründung nicht ausschließlich darauf, einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Vielmehr will die Klägerin - zumindest durch gerichtliche Feststellung - die Ungewissheit über eine Leistungspflicht der Beklagten beseitigt wissen (vgl.  - Rn. 21; - 3 AZR 456/17 - Rn. 45), wobei auch insoweit die auf den gerichtete Antragstellung in dem auf den bezogenen Antrag als „Weniger“ enthalten ist. Die Voraussetzungen von § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor. Eine allgemeine Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus dem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen beschränken ( - Rn. 19 mwN, BAGE 163, 192). Durch die Entscheidung über einen darauf bezogenen Feststellungsantrag kann der Streit der Parteien über die Verpflichtung der Beklagten, eine betriebliche Altersversorgung zugunsten der Klägerin über die Unterstützungskasse des DGB e.V. durchzuführen, beseitigt werden. Da die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachte Verpflichtung leugnet, steht der Klägerin auch ein Feststellungsinteresse zur Seite. Der Vorrang der Leistungsklage greift nicht, da die Feststellungsklage eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte ermöglicht und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl.  - Rn. 20 mwN).

19II. Der Antrag zu 1., den die Klägerin im Revisionsverfahren ausschließlich auf die Unwirksamkeit der in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 geregelten Altersgrenze und nicht mehr auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützt, ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anmeldung zur Unterstützungskasse des DGB e.V. Sie ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wirksam ausgeschlossen. Ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten hat erst nach der Vollendung ihres 55. Lebensjahres begonnen, auch wenn man auf den abstellt. Die Höchstaltersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 ist nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Sie führt weder zu einer ungerechtfertigten Diskriminierung wegen des Alters nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 AGG noch bewirkt sie eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts.

201. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist anwendbar. Es gilt trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentenrecht nicht vorrangige Sonderregelungen enthält (st. Rspr.,  - Rn. 20 mwN, BAGE 170, 353). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

212. § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 bewirkt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters, diese ist indes nach § 10 AGG gerechtfertigt.

22a) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters und des Geschlechts, benachteiligt werden. Unzulässig sind nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ( - Rn. 24 mwN, BAGE 170, 353).

23b) § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Die Regelung knüpft direkt an die Vollendung des 55. Lebensjahres an und führt dazu, dass Beschäftigte, die bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, keine Versorgungszusage mehr erhalten. Damit erfahren solche Beschäftigte wegen ihres Alters eine ungünstigere Behandlung als Beschäftigte, die zu diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (vgl.  - Rn. 18, BAGE 147, 279).

24c) Die durch § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 bewirkte Ungleichbehandlung ist jedoch nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt.

25aa) Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. Indem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist. Da eine solche Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die konkret gewählte Altersgrenze allerdings iSv. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 31 mwN, BAGE 165, 357). Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, ist eine unterschiedliche Behandlung danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig ( - aaO; - 3 AZR 781/16 - Rn. 26, BAGE 161, 56).

26Unerheblich ist, dass ein solches Verständnis der gesetzlichen Regelung zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit unionsrechtlich im Hinblick auf die in Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG für Altersgrenzen als Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit geregelte Ausnahme vom Verbot der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nicht geboten ist. Das vorliegende Verständnis der Regelungen in § 10 AGG ergibt sich vielmehr aus nationalem Recht. Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik und die Entstehungsgeschichte zeigen, dass der Gesetzgeber an die von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfassten Ungleichbehandlungen weitergehende Anforderungen stellen wollte (ausführlich dazu  - Rn. 42 ff., BAGE 160, 255). Soweit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz damit in seinen Anforderungen an die Zulässigkeit von Altersgrenzen in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit über das nach Unionsrecht Erforderliche hinausgeht, ist dies unionsrechtlich zulässig. Nach Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG dürfen die Mitgliedstaaten Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in der Richtlinie 2000/78/EG vorgesehenen Vorschriften sind ( - Rn. 18).

27bb) Der Altersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 liegt ein legitimes Ziel iSd. § 10 Satz 1 AGG zugrunde.

28(1) Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispielsfälle „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ nicht nur solche aus dem Bereich Arbeits- und Sozialpolitik (vgl.  - [Prigge ua.] Rn. 81 mwN; vgl. auch  - Rn. 15). Auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt, können legitime Ziele im Sinne der europäischen Vorgaben sein (vgl.  - [HK Danmark] Rn. 60 ff.). Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim iSv. § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (vgl.  - [Kleinsteuber] Rn. 62 ff.). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird ( - Rn. 30).

29Das mit der Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen (vgl.  - Rn. 35, BAGE 170, 353; - 3 AZR 198/18 - Rn. 31).

30(2) Danach ist der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 durch ein legitimes Ziel gedeckt. Die Festlegung einer Altersgrenze als Zugangsvoraussetzung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung bewirkt, dass der Arbeitgeber den aus der Versorgungszusage resultierenden Versorgungsaufwand verlässlich kalkulieren und seine wirtschaftlichen Belastungen besser einschätzen und begrenzen kann (vgl.  - Rn. 22). Das vom nationalen Gesetzgeber verfolgte Ziel der Förderung der betrieblichen Altersversorgung ist ein legitimes Ziel iSd. § 10 Satz 1 AGG. Um dieses Ziel zu fördern, hat der Gesetzgeber mit § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG zur Gestaltung der betrieblichen Altersversorgung in Versorgungsordnungen das Mittel der Festsetzung von Altersgrenzen für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrenten zur Verfügung gestellt. Von dieser Möglichkeit kann grundsätzlich auch der einzelne Arbeitgeber bei der Schaffung von Versorgungsregelungen Gebrauch machen ( - Rn. 24, BAGE 147, 279; - 3 AZR 356/12 - Rn. 26; - 3 AZR 686/11 - Rn. 22; - 3 AZR 100/11 - Rn. 30, BAGE 144, 231).

31cc) Die Altersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 ist auch angemessen und erforderlich iSd. § 10 Satz 2 AGG.

32(1) Dem Arbeitgeber steht bei freiwilligen zusätzlichen Leistungen wie der betrieblichen Altersversorgung ein von den Gerichten zu respektierender Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu. Dies ist seiner Bereitschaft geschuldet, sich freiwillig zu einer von ihm zu finanzierenden betrieblichen Zusatzversorgung zu verpflichten (vgl. etwa  - Rn. 32;  - 3 AZR 19/17 - Rn. 39). Diese Gestaltungsfreiheit eröffnet dem Arbeitgeber grundsätzlich auch die Möglichkeit, eine Höchstaltersgrenze für die Aufnahme in den von der Versorgungsordnung begünstigten Personenkreis festzulegen (statt vieler  - Rn. 26, BAGE 147, 279). Dabei dürfen jedoch die berechtigten Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht außer Acht gelassen werden ( - Rn. 39 mwN).

33(2) Die Festlegung eines Höchstalters für die Erteilung einer Versorgungszusage ist angemessen, wenn mit dieser Begrenzung das verfolgte Ziel erreicht wird, ohne die legitimen Interessen der hiervon nachteilig betroffenen Arbeitnehmer übermäßig zu beeinträchtigen (vgl. etwa  - [Ingeniørforeningen i Danmark] Rn. 25).

34Erforderlich iSd. § 10 Satz 2 AGG ist die Festlegung eines Höchstalters, wenn diese Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist (vgl.  - Rn. 35; - 3 AZR 293/17 - Rn. 44; - 9 AZR 161/18 - Rn. 35; - 3 AZR 19/17 - Rn. 41; - 3 AZR 199/16 - Rn. 25;  - [Dansk Jurist] Rn. 59).

35(3) Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht den Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 als angemessen erachtet hat. Der Ausschluss von Beschäftigten von Versorgungsleistungen, wenn diese bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, beeinträchtigt deren legitimes Interesse daran, sich im Lauf des Erwerbslebens eine angemessene Altersversorgung aufzubauen, nicht übermäßig.

36(a) Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sind diese gegenläufigen Interessen gegeneinander abzuwägen (Ahrendt RdA 2016, 129, 130; dies. in Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Stand August 2021 Teil 7 D Rn. 78). Diese tatrichterliche Interessenabwägung ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht bei der Unterordnung des Sachverhalts unter Rechtsnormen, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle wesentlichen Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen ( - Rn. 13, BAGE 162, 354; - 7 AZR 864/15 -Rn. 41 mwN, BAGE 160, 133).

37(b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die betriebliche Altersversorgung nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter hat und eine Höchstaltersgrenze dazu führt, dass die hiervon betroffenen Arbeitnehmer für die gesamte von ihnen geleistete Betriebszugehörigkeit keine betriebliche Altersversorgung erhalten ( - Rn. 32, BAGE 144, 231). Eine Regelung, die zur Folge hat, dass während eines beträchtlichen Teils eines typischen Erwerbslebens keine Versorgungsanwartschaften erworben werden können, ist damit - wie ausgeführt - nicht zu vereinbaren (vgl. etwa  - Rn. 40; - 3 AZR 199/16 - Rn. 25; - 3 AZR 69/12 - Rn. 26, BAGE 147, 279; - 3 AZR 356/12 - Rn. 28; - 3 AZR 100/11 - aaO). Dem steht das legitime Interesse des Arbeitgebers gegenüber, den Versorgungsaufwand überschaubar und kalkulierbar zu halten und nur solchen Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung zuzusagen, welche noch eine längerfristige Betriebszugehörigkeit erbringen können ( - Rn. 27, BAGE 147, 279).

38Dabei geht der Senat von einem typischen Erwerbsleben von mindestens 40 Jahren als Bezugsgröße aus ( - Rn. 28; - 3 AZR 69/12 - Rn. 27, BAGE 147, 279; - 3 AZR 356/12 - Rn. 29; - 3 AZR 100/11 - Rn. 33, BAGE 144, 231; - 3 AZR 634/10 - Rn. 23). Auf dieser Grundlage hat der Senat eine Höchstaltersgrenze für den Zugang zu einer betrieblichen Altersversorgung von 50 Jahren als „gerade noch hinnehmbar“ angesehen ( - Rn. 29 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen ( -). Weiter hat der Senat die Zugangsvoraussetzung einer mindestens 15-jährigen Betriebszugehörigkeit bis zur Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung als „noch hinnehmbar“ erachtet ( - Rn. 33 f., BAGE 144, 231). Nicht mehr angemessen ist demgegenüber eine Höchstaltersgrenze der Vollendung des 55. Lebensjahres nach Ablauf einer zehnjährigen Wartezeit, weil damit faktisch eine Altersgrenze der Vollendung des 45. Lebensjahres bestand, der Ausschluss also bei typisierender Betrachtung das halbe Erwerbsleben betraf ( - Rn. 27, BAGE 147, 279).

39(c) Unter Zugrundelegung eines typischen Erwerbslebens von mindestens 40 Jahren ist die Altersgrenze Vollendung des 55. Lebensjahres unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sachlich gerechtfertigt, weil - ausgehend von einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren - die betroffenen Beschäftigten zuvor mindestens 30 Jahre, also während drei Vierteln der zur Verfügung stehenden Zeit, die Gelegenheit hatten, eine ausreichende Altersversorgung aufzubauen. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass aufgrund des typisierenden Maßstabs die konkrete Höhe einer der Klägerin nach den Regeln der VO 95 fiktiv zustehenden Versorgungsleistung insoweit keine Rolle spielt.

40(d) Die durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl. I S. 554) erfolgte schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf die Vollendung des 67. Lebensjahres nach § 35 Satz 2 SGB VI führt zu keinem anderen Ergebnis.

41Die Anhebung des Renteneintrittsalters für die Regelaltersrente verlängert letztlich die Dauer eines typischen Erwerbslebens. Sie führt regelmäßig zu längerer Erwerbstätigkeit und nicht zu einem späteren Berufseinstieg. Diese Prognose war eine wesentliche Erwägung des Gesetzgebers bei der Neufassung des § 35 SGB VI (vgl. BT-Drs. 16/3794 S. 27). Dies hat zur Folge, dass die schrittweise Anhebung des Regelrentenalters nach § 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI abhängig vom Geburtsjahrgang der betroffenen Beschäftigten im Rahmen der typisierten Betrachtung grundsätzlich zu berücksichtigen ist (in diese Richtung auch Natzel RdA 2014, 365, 369; Rengier NZA 2006, 1251, 1254 f.).

42Das führt aber nicht dazu, dass die Rechtsprechung des Senats zu ändern wäre. Die typische Zeit des Erwerbslebens betrüge aufgrund der Änderung mindestens 42 Jahre. Geht man von der vom Senat gerade noch gebilligten zulässigen Altersgrenze für die Aufnahme in eine Versorgungsregelung der Vollendung des 50. Lebensjahres aus, so entfielen für den Aufbau einer Versorgung 17 Jahre. Während einer Zeit von 25 Jahren bliebe dagegen der Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung möglich. Dies ist weiterhin als äußerste Grenze noch hinnehmbar.

43Für die Klägerin ergibt sich sogar aufgrund der für sie geltenden Regelaltersgrenze nach § 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI von 66 Jahren und sechs Monaten (Jahrgang 1961) ein typisches Erwerbsleben von mindestens 41 Jahren und sechs Monaten, wovon aufgrund der streitgegenständlichen Höchstaltersgrenze der Vollendung des 55. Lebensjahres 11 Jahre und sechs Monate für den Aufbau einer angemessenen Altersversorgung nicht zur Verfügung stehen. Umgekehrt verbliebe ein Zeitraum von 30 Jahren für den Aufbau einer Versorgung. Dies entspricht einem Anteil von etwa 7/10. Hierdurch werden ihre Interessen nicht unangemessen beeinträchtigt.

44(4) Die Unangemessenheit der in der VO 95 bestimmten Altersgrenze ergibt sich auch nicht aus einer unzulässigen mittelbaren Benachteiligung von Frauen wegen ihres Geschlechts. Die diesbezügliche Wertung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.

45(a) Ausweislich der Entstehungsgeschichte des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG darf nach dem Willen des Gesetzgebers die Festsetzung von Altersgrenzen nicht zu einer Benachteiligung wegen des Geschlechts oder wegen eines anderen in § 1 AGG genannten Grundes führen (BT-Drs. 16/1780 S. 36). Dies ergibt sich auch daraus, dass eine Regelung, die zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führt, nicht iSv. § 10 Satz 2 AGG angemessen sein kann ( - Rn. 23, BAGE 147, 279; - 3 AZR 100/11 - Rn. 29, 32, BAGE 144, 231). Auch § 4 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer in § 1 AGG genannter Gründe hinsichtlich jeder dieser Gründe der Rechtfertigung bedarf, ist dieses Ergebnis zu entnehmen (Ahrendt RdA 2016, 129, 130; Mohr Anm. AP AGG § 10 Nr. 6; MüKoBGB/Thüsing 9. Aufl. AGG § 10 Rn. 56; ErfK/Schlachter 21. Aufl. AGG § 10 Rn. 10). Deshalb ist bei einer solchen Regelung darauf Bedacht zu nehmen, dass Frauen häufig nach einer familiär bedingten Unterbrechung der Berufstätigkeit zur Kinderbetreuung und -erziehung in das Erwerbsleben zurückkehren und ihnen auch in der Folgezeit grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet werden soll, noch Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zu erwerben ( - Rn. 32, aaO; Ahrendt aaO).

46(b) Eine mittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG von Frauen wegen ihres Geschlechts folgt insbesondere nicht daraus, dass diese häufiger als Männer von der streitgegenständlichen Altersgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 betroffen wären. Bei typisierender Betrachtung ist mit dem Wiedereintritt in das Berufsleben nach Zeiten der Kindererziehung bereits vor der Vollendung des 55. Lebensjahres zu rechnen (vgl. - bezogen bereits auf das 50. Lebensjahr -  - Rn. 31; - 3 AZR 100/11 - Rn. 34, BAGE 144, 231;  - Rn. 7). Auch die Klägerin behauptet nicht, dass mehr Frauen als Männer nach der Vollendung des 55. Lebensjahres in ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten treten. Das Recht auf selbstbestimmte Gestaltung des Familienlebens wird durch die Altersgrenze folglich nicht rechtswidrig beeinträchtigt (vgl.  - Rn. 8).

47(c) Es kann dahinstehen, ob sich ggf. eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 AGG aus einer zwar nicht zahlenmäßig häufigeren, aber hinsichtlich der Auswirkungen stärkeren nachteiligen Betroffenheit von Frauen im Gegensatz zu Männern durch die Altersgrenze ergeben kann oder ob zur Vermeidung einer mittelbaren Diskriminierung im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die zu berücksichtigende Dauer eines typischen Erwerbslebens für männliche und weibliche Beschäftigte jeweils geschlechtsspezifisch zu ermitteln ist. Eine deutlich stärkere nachteilige Betroffenheit von Frauen liegt auch dann nicht vor, wenn man dies zugunsten der Klägerin annimmt. Die vorliegende Altersgrenze erweist sich gleichwohl als angemessen.

48(aa) Dabei können insoweit nicht die von der Klägerin vorgelegten Zahlen zugrunde gelegt werden.

49Die Klägerin beruft sich insoweit auf statistische Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund. Diese entstammen der Broschüre „Rentenversicherung in Zahlen“, die über die Website der Deutschen Rentenversicherung öffentlich zugänglich ist. Danach beläuft sich die Summe an berücksichtigten Beitrags- und beitragsfreien Zeiten im Rentenbestand am bei Männern auf durchschnittlich 40,71 Jahre, bei Frauen auf durchschnittlich 28,65 Jahre (Deutsche Rentenversicherung Bund [Hrsg.] Rentenversicherung in Zahlen 2020 S. 40 und 42).

50Diese Daten beziehen sich aber ausschließlich auf die alten Bundesländer. Für eine solche gebietsbezogene Differenzierung innerhalb der Bundesrepublik besteht keine sachliche Rechtfertigung. Dass die Deutsche Rentenversicherung Bund in ihrer Statistik insoweit differenziert, ist rein im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. So gelten nach dem durch das Renten-Überleitungsgesetz vom (BGBl. I S. 1606) eingefügten § 228a SGB VI für das Beitrittsgebiet Besonderheiten, nach § 254b SGB VI ist die Rentenformel für das Beitrittsgebiet bis abweichend geregelt. Diese Besonderheiten betreffen also rein die Berechnung der gesetzlichen Rente. Sie bieten hingegen keinen rechtlichen Anknüpfungspunkt dafür, bei der Beurteilung einer mittelbaren Benachteiligung die Dauer eines typischen Erwerbslebens innerhalb des Bundesgebietes unterschiedlich zu ermitteln. Es ist auch von der Klägerin nicht behauptet oder sonst ersichtlich, dass die Beklagte ausschließlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den alten Bundesländern beschäftigt. Vielmehr gilt die VO 95 bundesweit.

51(bb) Ausgehend von den Daten für die gesamte Bundesrepublik lagen im Jahr 2019 bei allen Renten der Deutschen Rentenversicherung 36,5 Versicherungsjahre bei Frauen und 41,9 Versicherungsjahre bei Männern zugrunde. Bezogen auf alle (Männer und Frauen) ergeben sich 39,0 Versicherungsjahre (Deutsche Rentenversicherung Bund [Hrsg.] Rentenversicherung in Zeitreihen DRV- Schriften Band 22 Ausgabe 2020 S. 125 ff.).

52Diese Daten kann der Senat seiner Entscheidung zugrunde legen. Es handelt sich um offenkundige Tatsachen iSv. § 291 ZPO (vgl.  - Rn. 95 [zu Daten auf der Website des Bundeskartellamts], BAGE 170, 98; - 3 AZR 56/14 - Rn. 61 [zu im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlüssen]; - 2 AZR 380/99 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 96, 123 [zur offenkundigen Schwerbehinderung]; - 1 AZR 319/97 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 87, 234 [zur Gemeindezugehörigkeit eines Gebietes]; - 5 AZR 609/92 - zu 3 der Gründe [frei zugängliche statistische Erhebungen]; - 5 AZR 225/91 - zu II 3 a der Gründe; - 5 AZR 598/90 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 68, 320 [jeweils zu den Statistischen Jahrbüchern des Statistischen Bundesamts]; ebenso  - zu II 3 der Gründe; ihre frühere gegenteilige Rechtsprechung haben der Zweite und der Fünfte Senat nicht fortgeführt, zu dieser älteren Rechtsprechung vgl.  - zu 4 der Gründe, BAGE 28, 196; - 5 AZR 435/71 - zu 3 der Gründe).

53Im Übrigen wurden die Parteien mit Verfügung des Vorsitzenden vom darauf hingewiesen, dass der Senat bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits beabsichtigt, diese offenkundigen Daten zu berücksichtigen.

54(cc) Nach diesen Daten ergibt sich keine signifikant höhere Betroffenheit von Frauen, weshalb eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht angenommen werden kann. Zwar beträgt der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei den den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde liegenden Versicherungsjahren etwas über fünf Jahre. Dies ist aber kein derart großer Unterschied, dass von einer deutlich stärkeren Betroffenheit von Frauen ausgegangen werden kann. Außerdem ist insoweit zu berücksichtigen, dass Frauen, die vor dem geboren sind - jedenfalls unter den Voraussetzungen einer 15-jährigen Wartezeit und zehn Pflichtbeitragsjahren nach der Vollendung des 40. Lebensjahres - nach § 237a Abs. 1 SGB VI eine Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits mit der Vollendung des 60. Lebensjahres beziehen konnten und dies auch tun. Dieser Umstand führt zu einem tendenziell kürzeren Erwerbsleben von Frauen, soweit es um die Versicherungsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung geht. Dies ist aber eine - freiwillige - Verkürzung am Ende des Arbeitslebens, also während eines Zeitraums, der nach dem Erreichen der in Frage stehenden Altersgrenze liegt. Die unterschiedliche starke Betroffenheit von Frauen wäre aber allenfalls dann erheblich, wenn die kürzere Lebensarbeitszeit aus familiären Gründen typischerweise Auswirkungen auf den Aufbau betrieblicher Altersversorgung vor dieser Grenze hätte.

55Dafür, dass bei der Beklagten wesentlich häufiger als in der Gesamtbevölkerung Frauen arbeiten, die wegen der Kindererziehung längere Ausfallzeiten im Erwerbsleben haben, gibt es keine Anhaltspunkte.

56(5) Der Zulässigkeit der Festlegung einer Höchstaltersgrenze der Vollendung des 55. Lebensjahres für die Aufnahme in den von einer Versorgungsregelung begünstigten Personenkreis stehen die kürzeren Unverfallbarkeitsfristen des § 1b Abs. 1 BetrAVG - ggf. iVm. § 30f BetrAVG - nicht entgegen (vgl.  - Rn. 33; - 3 AZR 100/11 - Rn. 37 mwN, BAGE 144, 231). Eine Arbeitnehmerin, die aufgrund der privatautonom festgelegten Anspruchsvoraussetzungen - wie vorliegend des Höchsteintrittsalters vor Vollendung des 55. Lebensjahres - nie darauf vertrauen durfte, dass sie einen Versorgungsanspruch erwerben würde, erwirbt auch dann keine unverfallbaren Versorgungsanwartschaften, wenn die Voraussetzungen des § 1b Abs. 1 BetrAVG erfüllt sind (vgl.  - aaO; - 3 AZR 100/11 - aaO).

57dd) Der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 ist auch erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG. Die Begrenzung der Leistungspflicht des Arbeitgebers lässt sich mit gleichwirksamer Genauigkeit nicht durch ein milderes Mittel erreichen (vgl.  - Rn. 30).

58ee) Der Senat kann in der Sache entscheiden. Die Durchführung eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten. Die Auslegung des den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zugrunde liegenden unionsrechtlichen Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters ist durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt, so dass eine Vorlagepflicht entfällt (vgl.  - Rn. 37 mwN). Einer Vorabentscheidung zur Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG bedarf es ebenfalls nicht, weil die Altersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 entsprechend den Anforderungen des insoweit nicht unionsrechtlich geprägten § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG angemessen und verhältnismäßig ist. Ob eine Diskriminierung wegen des Alters iSd. Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG sachlich gerechtfertigt ist, ist von den nationalen Gerichten zu prüfen (vgl.  - aaO). Nicht entscheidungserheblich ist, ob sich eine mittelbare Betroffenheit iSd. Antidiskriminierungsrechts auch dann ergeben kann, wenn zwar keine zahlenmäßig häufigere Betroffenheit durch eine Regelung vorliegt, wohl aber stärkere Auswirkungen auf die tatsächlich von der Regelung betroffenen Personen, die durch das Antidiskriminierungsrecht geschützt sind.

59III. Der Antrag zu 2. (Hilfsantrag) fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Die Klägerin hat diesen ausdrücklich nur für den Fall gestellt, dass der Antrag zu 1. unzulässig ist. Aus der Begründung ergibt sich aber mit der gebotenen Deutlichkeit, dass der Antrag zu 2. für den Fall gestellt sein soll, dass der Antrag zu 1. daran scheitert, dass eine Durchführung über die Unterstützungskasse aus rechtlichen Gründen ganz oder teilweise nicht möglich ist und deshalb allenfalls der mit dem Hilfsantrag verfolgte Verschaffungsanspruch Erfolg haben könnte. Diese Voraussetzung ist aber nicht eingetreten, denn der Hauptantrag hat keinen Erfolg, weil der Klägerin kein Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zusteht.

60IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:210921.U.3AZR147.21.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2355 Nr. 40
BB 2022 S. 51 Nr. 1
DB 2021 S. 17 Nr. 39
DB 2022 S. 201 Nr. 4
DStR 2021 S. 2706 Nr. 46
DStR-Aktuell 2022 S. 14 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 40/2021 S. 2959
ZIP 2021 S. 74 Nr. 38
VAAAH-96445