NWB Nr. 49 vom Seite 3561

Im Steuerrecht etwas blass

Professor Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt | Mitherausgeber der NWB

Koalitionsvertrag der Ampel: Die neue Farbenlehre – im Steuerrecht etwas blass

Am Mittwochnachmittag, dem 24. November, lag der Koalitionsvertrag der Ampel vor. Chapeau! Keine zwei Monate nach der Bundestagswahl und zweieinhalb Monate früher als der letzte Vertrag der Großen Koalition. Vom Umfang her vergleichbar: Der Eine (neue) 178 und der Andere (alte) 179 Seiten, lässt sich als weitere Gemeinsamkeit feststellen, dass unter dem Motto „mehr Fortschritt wagen“ vieles im vagen bleibt. Es handelt sich eben um einen Koalitionsvertrag. Aber noch einmal auf die Farben zurückkommend, fällt ins Auge, dass die Schmuck- oder Zierbalken auf der Frontseite des Vertragswerks an erster Stelle in Gelb und erst danach in Rot und Grün gehalten sind. Wurde hier bewusst oder unbewusst eine Rangfolge gewählt, die die Durchsetzungskraft der Partner in den Verhandlungen widerspiegelt?

Bei den Ausführungen zum Steuerrecht gewinnt man allerdings schon den Eindruck, dass in diesen Verhandlungen ganz andere Schwerpunkte gesetzt wurden. Weder der bisherige noch der designierte Finanzminister mochten hier wohl grundlegende Ideen einbringen. Vielleicht fehlte es angesichts der Vorgabe, Steuererhöhungen auszuschließen, an dem erforderlichen Spielraum für eine fundamentale und von der Wissenschaft immer wieder geforderte Steuerreform. Im Abschnitt VIII. „Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen“ findet sich unter den Zeilen 5562 bis 5612 ein eher ungeordnetes Sammelsurium an Absichtserklärungen, die mit der Formulierung „Wir wollen ...“ oder „Wir werden ...“ eingeleitet, eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter, die Verlängerung der erweiterten Verlustverrechnung und der steuerlichen Regelungen des Homeoffice sowie eine Evaluierung des von der Vorgängerregierung geschaffenen Optionsmodells versprechen. Der Ausbildungsfreibetrag und der Sparer-Pauschbetrag sollen erhöht und eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ermöglicht werden. Die Finanzierung dieser Vorhaben und einer Reihe weiterer Begünstigungen soll durch Maßnahmen zur „Bekämpfung (der) Steuerhinterziehung und Steuergestaltung“ (Zeilen 5640 ff.) sichergestellt werden, mit denen Deutschland eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen gedenkt.

Und nun nur noch „last, but not least“ ein Vorhaben mit einem nur vermuteten steuerrechtlichen Bezug. Im Abschnitt VI., der auch den Punkt „Justiz“ enthält, kann man den Zeilen 3535/3536 die folgende Absichtserklärung entnehmen: „Wir reformieren die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten unter den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt.“ Kann es sein, dass hier die beklagenswerte Situation am Bundesfinanzhof, bei dem seit Monaten vier Vorsitzende fehlen und der seit mehr als einem Jahr auch ohne einen Präsidenten funktioniert, Spiritus Rector gewesen ist? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, oder sollten wir annehmen, dass es bisher an der Qualität des richterlichen Personals gefehlt hat?

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2020 Seite 3561
NWB RAAAH-96267