BAG Beschluss v. - 9 AZB 93/20

Einstweiliges Verfügungsverfahren - Anspruch auf Fortsetzung abgebrochenes Stellenbesetzungsverfahren

Gesetze: § 17a Abs 5 GVG, § 17a Abs 4 GVG, § 2 Abs 1 Nr 3 Buchst c ArbGG, Art 33 Abs 2 GG

Instanzenzug: Az: 10 Ga 44/20 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 3 Ta 317/20 Beschluss

Gründe

1I. Die Verfügungsklägerin verlangt, dem verfügungsbeklagten Land (im Folgenden: beklagten Land) im Wege einer einstweiligen Verfügung aufzugeben, ein abgebrochenes Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen.

2Die Klägerin war bei dem beklagten Land vom bis zum aufgrund neun befristeter Arbeitsverträge als Vertretungslehrkraft im Schuldienst beschäftigt. Der letzte befristete Arbeitsvertrag vom sah eine befristete Beschäftigung vom bis zum vor. Er ist Gegenstand einer noch anhängigen Befristungskontrollklage.

3Ende Juli 2020 schrieb das beklagte Land eine für die Zeit vom bis zum befristete Stelle als Vertretungslehrkraft im Fach Deutsch am H in K mit einem Beschäftigungsumfang von 10/25 Pflichtwochenstunden aus. Am erhielt die Klägerin, die sich auf die Stelle beworben hatte, von der zuständigen Schulleitung die Mitteilung, die Ausschreibung werde aus unvorhergesehenen Gründen beendet; eine neue Ausschreibung werde erfolgen.

4Am wurde die Stelle erneut mit einer geänderten Pflichtwochenstundenzahl von 12,5/25,5 ausgeschrieben. Auch hierauf bewarb sich die Klägerin fristgemäß. Das für den vorgesehene Vorstellungsgespräch wurde mit der Begründung abgesagt, dass die Bewerber/Innen auf die ausgeschriebene Stelle zuvor noch nicht im Schuldienst des beklagten Landes tätig gewesen sein dürften. Mit Schreiben vom teilte die Schulleitung mit, dass das Stellenbesetzungsverfahren erneut abgebrochen worden sei, weil die Ausschreibung näher bezeichnete Formfehler aufweise.

5Mit ihrem am beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am zugestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt die Klägerin die Fortführung des Stellenbesetzungsverfahrens. Für einen Abbruch des Bewerbungsverfahrens liege kein sachlicher Grund vor, sodass dieser rechtswidrig sei. Die Klägerin hat beantragt,

6Nach Anhörung der Parteien hat das - 10 Ga 44/20 -) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde für die Parteien zugelassen.

7II. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

81. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Die Begrenzung des Instanzenzugs, infolge deren das Landesarbeitsgericht über das Begehren der Klägerin, ihr vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, abschließend entscheidet, berührt die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Verfahren nicht.

9a) Gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts, mit dem dieses über das auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Gesuch der Klägerin als solches entscheiden würde, wäre die Revision nach § 72 Abs. 4 ArbGG nicht statthaft. Entscheidet das Landesarbeitsgericht über das einstweilige Rechtsschutzbegehren durch Beschluss, gilt Gleiches für die Rechtsbeschwerde (§ 48 Abs. 1, § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Diese Rechtslage rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, die Rechtsbeschwerde sei auch in den Fällen ausgeschlossen, in denen die Parteien eines Verfahrens, das den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand hat, als Vorfrage über den zutreffenden Rechtsweg streiten (vgl. zu § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO  - Rn. 7; so bereits zur weiteren sofortigen Beschwerde nach altem Recht  - zu II der Gründe; - 5 AZB 66/99 - zu II 1 der Gründe; aA GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 78 Rn. 49; Walker in Schwab/Weth 5. Aufl. ArbGG § 48 Rn. 78). Weder die für das Revisionsverfahren geltende Vorschrift des § 72 Abs. 4 ArbGG noch die Regelungen zum Beschwerdeverfahren (§ 48 Abs. 1, § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO) finden in einem solchen Fall Anwendung.

10aa) Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Rechtsbehelfe den Parteien eines Rechtswegbestimmungsverfahren zustehen, ist in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG abschließend geregelt. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG bestimmt, dass den Parteien die Beschwerde gegen einen Beschluss des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes unter den dort genannten Voraussetzungen zusteht. Beschwerde im Sinne dieser Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom (BGBl. I S. 1887) am die Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 574 ff. ZPO (vgl.  - Rn. 12, BAGE 103, 16). Die Bestimmung des § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG verdrängt aus Gründen der Spezialität die allgemeinen Vorschriften des § 72 Abs. 4 ArbGG und des § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in diesem Sinne  - Rn. 44; vgl. ferner ErfK/Koch 21. Aufl. ArbGG § 48 Rn. 8; Zöller/Lückemann ZPO 33. Aufl. § 17a GVG Rn. 16; MüKoZPO/Zimmermann 5. Aufl. § 17a GVG Rn. 35). Die Statthaftigkeit hängt somit allein von der Zulassung durch das Landesarbeitsgericht ab, die unter den Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG vom Landesarbeitsgericht auszusprechen ist und das Bundesarbeitsgericht nach § 17a Abs. 4 Satz 6 GVG bindet. Die „Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung“ iSd. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG - in zivilprozessualen Verfahren die §§ 574 ff. ZPO - regeln damit nicht die Frage der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde, sondern lediglich die weitere Ausgestaltung des Rechtsbeschwerdeverfahrens (vgl.  - Rn. 3, BAGE 104, 239).

11bb) Das besondere Eilbedürfnis, welches das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes prägt, steht der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Dem Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über die Frage des Rechtswegs (vgl. hierzu  - Rn. 8) ist auch in den Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes der Vorrang einzuräumen. Hätte der Gesetzgeber die Verfahren, in denen eine Partei vorläufigen Rechtsschutz sucht, aus dem Anwendungsbereich des § 17a Abs. 4 GVG ausnehmen wollen, hätte es vor dem Hintergrund des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter, der gemäß Art. 101 GG verfassungsrechtlich gewährleistet ist (siehe hierzu  - Rn. 16), einer eindeutigen Regelung bedurft (vgl.  - Rn. 44). Hieran fehlt es.

12cc) Der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nach § 17a Abs. 5 GVG nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Die Beschränkung der dem Beschwerdegericht obliegenden Prüfungsbefugnis gilt nicht für das Rechtswegbestimmungsverfahren, das in § 17a Abs. 4 GVG abschließend geregelt ist (im Ergebnis ebenso  - Rn. 7).

13dd) Soweit das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, in einem Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung sei eine weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen eine Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts über die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ausgeschlossen (vgl.  6 B 65.06 - Rn. 5), beruht diese Entscheidung auf Unterschieden zwischen den jeweils anzuwendenden Verfahrensordnungen der Verwaltungsgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung (vgl.  - Rn. 5). Anders als in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 152 VwGO) ist in der Zivilprozessordnung ein Rechtsbeschwerdeverfahren vorgesehen (§§ 574 - 577 ZPO). Ähnliches gilt für die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das maßgeblich auf die sozialgerichtliche Vorschrift des § 177 SGG abstellt (vgl.  - Rn. 13; zu verfassungsrechtlichen Implikationen siehe  - Rn. 9).

142. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen.

15a) Das Landesarbeitsgericht hat - wie schon das Arbeitsgericht - zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, das Verfahren falle nicht in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen, sondern sei als öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entscheiden. Eine bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit liege nicht vor, da die Klägerin ihren aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch, der aus dem öffentlichen Recht herrühre, sichern wolle. Art. 33 Abs. 2 GG begründe für den Bewerber ein subjektives Recht, das sich lediglich gegen Träger der öffentlichen Verwaltung richte.

16b) Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach § 2 Abs. 1 Nr.3 Buchst. c ArbGG eröffnet. Bei dem Verfahren, mit dem die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt, handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iSd. § 40 Abs. 1 VwGO, sondern um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses.

17aa) Während den Verwaltungsgerichten öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zur Entscheidung zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 VwGO), sind die Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

18bb) Das Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet ( - Rn. 17; - 9 AZB 45/17 - Rn. 9, BAGE 160, 22; - 9 AZB 41/16 - Rn. 9 mwN). Öffentlich-rechtlicher Natur sind Rechtsnormen, die einen öffentlichen Verwaltungsträger als solchen berechtigen und verpflichten, ihn also zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Befugnissen ausstatten oder besonderen Regeln unterwerfen (st. Rspr., vgl.  GmS-OGB 1/88 - zu 3 der Gründe;  - Rn. 17;  10 AV 1.16 - Rn. 5).

19cc) Das Rechtsverhältnis, aus dem die Klägerin den von ihr verfolgten Anspruch ableitet, ist bürgerlich-rechtlicher Natur. Die Klägerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz, um die Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens zu erwirken. Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletzt den aus Art. 33 Abs. 2 GG hergeleiteten Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber können daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen ( - Rn. 21). Ungeachtet seiner Herleitung aus dem Verfassungsrecht (Art. 33 Abs. 2 GG) ist der Bewerbungsverfahrensanspruch, wenn die Stelle mit Arbeitnehmern besetzt werden soll, bürgerlich-rechtlicher Natur. Der öffentliche Arbeitgeber ist daher an die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG nicht in seiner Funktion als öffentlicher Verwaltungsträger, sondern als privatrechtlicher Arbeitgeber gebunden.

20(1) Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch - wie im Streitfall - solche Stellen, die ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes - wie das beklagte Land - mit Arbeitnehmern zu besetzen beabsichtigt. Der unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistete Grundsatz der Bestenauslese dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes. Zum anderen trägt die Bestimmung dem berechtigten Interesse der Bediensteten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung. Sie begründet grundrechtsgleiche Rechte auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst steht deshalb bei der Besetzung von Stellen des öffentlichen Dienstes ein verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch zu. Daraus folgt angesichts der Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in Art. 33 Abs. 2 GG ein subjektives Recht jedes Bewerbers auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren für Stellen, die mit Arbeitnehmern besetzt werden sollen (vgl.  - Rn. 26).

21(2) Das Rechtsverhältnis der Parteien wird maßgeblich durch das Begehren der Klägerin geprägt, durch privatrechtlichen Vertrag ein dem bürgerlichen Recht zugehöriges Arbeitsverhältnis (neu) zu begründen. Mit der Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens strebt die Klägerin die Durchsetzung ihres subjektiven Privatrechts auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren an. Dazu hat sie sich fristgerecht auf die vom beklagten Land ausgeschriebene Stelle einer Lehrkraft beworben. Ziel ihrer Bewerbung ist der Abschluss eines Arbeitsvertrags, durch den ihr bis zum befristetes Arbeitsverhältnis zu den in der Stellenausschreibung genannten Bedingungen bis zum fortgesetzt wird. Das betreffende „öffentliche Amt“ iSd. Art. 33 Abs. 2 GG soll damit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Das beklagte Land tritt der Klägerin deshalb im Vorfeld des Vertragsschlusses nicht als Hoheitsträger gegenüber, der die Rechtsbeziehung der Parteien einseitig im Wege des Verwaltungsakts auszugestalten berechtigt ist, sondern bedient sich für den Abschluss des Arbeitsvertrags - als Arbeitgeber des Privatrechts - der Instrumentarien des privaten Rechts. Es bewegt sich somit bei seiner Entscheidung, ob und zu welchen Bedingungen es mit einem Stellenbewerber ein Arbeitsverhältnis begründet, auf dem „Boden des Privatrechts“ (vgl.  - zu I der Gründe; - 7 AZR 773/87 - zu I 2 der Gründe). Art. 33 Abs. 2 GG gestaltet dabei das zivilrechtlich geprägte Auswahlverfahren lediglich inhaltlich aus, ohne dass dadurch dessen Rechtscharakter berührt wird. Dies gilt unabhängig davon, dass die Klägerin geltend macht, durch den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens in ihrem Anspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt worden zu sein (vgl.  - zu I der Gründe).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:270421.B.9AZB93.20.0

Fundstelle(n):
XAAAH-88742