Online-Nachricht - Donnerstag, 17.06.2021

Umsatzsteuer | Steuerbefreiung von Dienstleistungen im Bereich des Rettungsdienstes (BFH)

Abrechnungen von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen gegenüber Sozialversicherungsträgern, die ein Rettungsdienst (gemeinnütziger Verein) für den Träger des Rettungsdienstes und die anderen Rettungsdienste übernommen hat, können "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sein, wenn der Sozialversicherungsträger diese Bündelung verlangt. Die Anerkennung als "Einrichtung mit sozialem Charakter" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL auch bezüglich solcher Abrechnungsleistungen kann darin liegen, dass der Sozialversicherungsträger ein solches Abrechnungsverfahren von den Leistungserbringern verlangt und entsprechende Vereinbarungen geschlossen werden, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen ..., einschließlich derjenigen, die durch ... Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (vgl. "Kingscrest Associates und Montecello", Rz 34.

Sachverhalt und Verfahrensgang: Streitig ist, ob die von dem Kläger durchgeführte Abrechnung von Krankentransport und Notfallrettung gegenüber den Sozialleistungsträgern für fremde Leistungserbringer eine steuerpflichtige sonstige Leistung darstellt: Der Kläger ist ein als gemeinnützig anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege und wickelt die Abrechnung der Rettungsdienstleistungen selbständig mit den Kostenträgern ab. Im Jahr 2012 verlangten die Sozialleistungsträger, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur noch eine Abrechnungsstelle vorgehalten wird, so dass der Kläger nunmehr (vertraglich fixiert) neben der Abrechnung der eigenen Einsätze auch die Abrechnungen der Einsätze für vier andere Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern durchführt.

Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass der Betrieb einer Abrechnungsstelle für andere Leistungserbringer eine gesondert zu beurteilende selbständige wirtschaftliche Tätigkeit darstelle, die die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gem. § 14 AO erfülle, nicht jedoch diejenigen eines Zweckbetriebs gem. § 66 AO oder § 65 AO. Mithin komme eine Umsatzsteuerbefreiung gem. § 4 Nr. 18 UStG oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht in Betracht.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Eine Steuerbefreiung komme nicht in Betracht, da die Leistung der Klägerin dem begünstigten Personenkreis – hier den Notfallpatienten – nicht unmittelbar zugute gekommen sei (, ausführlich hierzu Oechler, ).

Der BFH setzte zwischenzeitlich das Verfahren im Hinblick auf ein damals noch anhängiges EuGH-Verfahren aus.

Nach Ergehen des "Finanzamt D" führen die Richter des BFH nunmehr weiter aus:

  • Offen bleiben kann, ob die Abrechnungsleistungen nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG oder nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sind. Jedenfalls sind sie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerbefreit.

  • Nach dem Urteil des EuGH hängt die Mehrwertsteuerbefreiung von Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht davon ab, an wen diese erbracht werden, sofern sie ein für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt darstellen und ihre Belastung mit der Mehrwertsteuer daher zwangsläufig dazu führen würde, die Kosten der genannten Umsätze zu erhöhen ( "Finanzamt D", Rz 36).

  • Soweit sich demgegenüber aus dem etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht mehr fest.

  • Für die hier streitigen Leistungen des Klägers gibt es im Land Mecklenburg-Vorpommern spezielle gesetzliche Regelungen zur sozialen Sicherheit. Die Übernahme der Kosten durch die Sozialleistungsträger beruht auf speziellen vertraglichen Grundlagen. Nur auf Geheiß der Sozialleistungsträger hatte es der Kläger übernommen, Leistungen auch für dritte Leistungserbringer abzurechnen, um damit die volle Erstattungsfähigkeit der Kosten zu gewährleisten.

  • Zu Wettbewerbsverzerrungen kommt es hierzu nicht, da nach den Vorgaben der Sozialleistungsträger nur eine Abrechnungsstelle die Leistungen zu erbringen hatte. Andere Wirtschaftsteilnehmer konnten daher nicht die Abrechnungsleistungen tätigen.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung ist im Zuge des EuGH-Urteils Finanzamt D v. - C-657/19 ergangen. Sie setzt die vom EuGH aufgestellten Grundsätze zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL um und kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger einen Anspruch auf steuerfreie Erbringung von Abrechnungsleistungen gegenüber den anderen Leistungserbringern hat. Die Entscheidung ist im Zusammenhang zu der vom gleichen Tag ergangenen Entscheidung zu den MDK-Gutachten durch externe Krankenschwestern zu sehen.

Der XI. Senat konnte im Besprechungsfall die personenbezogenen Voraussetzungen dieser Vorschrift bejahen. Es lagen gesetzliche Regelungen vor, die eine Übertragung der Aufgaben auf private Rechtsträger ermöglichte (§ 7 Abs. 4 Rettungsdienstgesetz Mecklenburg-Vorpommern). Die Kosten wurden vor allem von den Sozialversicherungsträgern direkt voll übernommen und es gab auch spezielle vertragliche Grundlagen.

Die Entscheidung zeigt, dass ein Berufen auf die MwStSystRL Erfolg versprechen kann. Der EuGH hat nämlich mit der oben genannten Entscheidung vor allem auch den Anwendungsbereich der Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH - erheblich erweitert. Die eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Leistungen müssen nicht mehr direkt dem Hilfsbedürftigen zu Gute kommen. Dies kann auch indirekt geschehen. Abgesehen davon ist aber eine Grenzlinie zu ziehen, die dann überschritten wird, wenn z.B. Verwaltungstätigkeiten, deren Übertragung nicht unerlässlich sind, einen entgeltlichen Umsatz darstellen.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
HAAAH-81394