BGH Beschluss v. - I ZR 20/20

Instanzenzug: Az: 6 Sch 11/14 WG

Gründe

1I. Die Klägerin ist ein Zusammenschluss deutscher Verwertungsgesellschaften und dazu berechtigt, Ansprüche aus § 54 UrhG geltend zu machen. Die Beklagte stellt TV-Geräte und TV-Receiver her. Sie vertrieb in den Jahren 2008 bis 2011 TV-Receiver mit und ohne eingebauter Festplatte und im Jahr 2011 TV-Geräte mit eingebauter Festplatte.

2Die Klägerin hat die Beklagte nach Durchführung des in § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhWG aF vorgesehenen Verfahrens vor der Schiedsstelle mit Klage vom auf Zahlung von insgesamt 13.327.052 € zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen. Dabei hat sie den im Jahr 2011 im Bundesanzeiger veröffentlichten Tarif für die streitgegenständlichen Produkte zugrunde gelegt.

3Im Jahr 2019 schlossen die Klägerin und andere Verwertungsgesellschaften mit dem BitKOM e.V. und dem ZVEI e.V. jeweils einen inhaltsgleichen Gesamtvertrag zur Regelung der Vergütungspflicht nach §§ 54 ff. UrhG ab dem Jahr 2008, der auch die streitgegenständlichen Geräte erfasst (nachfolgend: Gesamtvertrag). In § 3 Abs. 1 Gesamtvertrag ist die gemäß § 54 Abs. 1 UrhG von den dem Vertrag beitretenden Gesamtvertragsmitgliedern zu leistende Vergütung für dort im Einzelnen aufgeführten Geräte geregelt. In § 3 Abs. 2 Gesamtvertrag heißt es:

Auf die Vergütungssätze gemäß Absatz 1 gewähren die Verwertungsgesellschaften den Gesamtvertragsmitgliedern einen Nachlass von 20 %, ...

4In § 10 Gesamtvertrag findet sich folgende Regelung:

Tritt ein Gesamtvertragsmitglied gemäß § 2 Abs. 2 diesem Gesamtvertrag rückwirkend zum bei, gilt für die vom Gesamtvertragsmitglied nach seinem Beitritt im Zeitraum vom bis erstmals fakturierten Vertragsprodukte folgendes Auskunfts- und Zahlungsverfahren:

...

(8) Für den Zeitraum vom bis zum werden mögliche Zinsansprüche für Forderungen der Verwertungsgesellschaften auf Vergütungen für Vertragsprodukte nicht geltend gemacht, soweit dieser Gesamtvertrag nicht ausdrückliche Regelungen zur Verzinsung vorsieht. ...

5Nach Abschluss des Gesamtvertrags stellte die Klägerin zusammen mit den anderen Verwertungsgesellschaften einen neuen Tarif auf, der im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde. Auf Grundlage des neuen Tarifs begehrte die Klägerin im laufenden Verfahren nur noch 2.279.304,25 € nebst Verzugszinsen und erklärte den Antrag im Übrigen für erledigt.

6Mit Schriftsatz vom erklärte die Beklagte ihren Beitritt zum Gesamtvertrag unter Verwendung des im Gesamtvertrag vorgesehenen Mustertextes, wobei sie die dort vorgesehene Möglichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede nutzte. Die Klägerin wies diesen Beitritt als insgesamt unwirksam zurück. Die Beklagte hat der Erledigterklärung der Klägerin widersprochen und Klageabweisung beantragt. Unter Hinweis auf die Regelung des Gesamtvertrags hat sie außerdem mit dem Hilfsantrag zu 2a beantragt, das Urteil mit der Maßgabe zu erlassen,

dass sich mit Eintritt der Rechtskraft der Betrag der Verurteilung in der Hauptsache um 20 % reduziert und Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz erst ab dem und nur auf Basis des entsprechend reduzierten Betrages geschuldet seien.

7Das Oberlandesgericht hat die Beklagte zur Zahlung des Klagebetrags nebst Rechtshängigkeitszinsen seit dem mit der Maßgabe verurteilt, dass sich der Hauptsachebetrag mit Rechtskraft des Urteils um 20 % reduziert. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten. Mit der Revision will sie ihren Klageabweisungsantrag und die Hilfsanträge weiterverfolgen.

8II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit darin hinsichtlich der Verzinsung der Hauptforderung vor dem zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht.

91. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass die Beklagte dem Gesamtvertrag beigetreten sei. Zwischen den Parteien sei deshalb ein Einzelvertrag auf der Grundlage des Gesamtvertrags zustande gekommen. Der Beitritt stehe allerdings unter der Bedingung, dass das Nichteingreifen der von der Beklagten in der Beitrittserklärung vorbehaltenen Verjährungseinrede durch die vorliegende Leistungsklage inzident festgestellt werde. Demnach stehe der Klägerin die geltend gemachten Zahlungsansprüche nach Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren und dem darin liegenden Bedingungseintritt gemäß § 158 Abs. 1 BGB für das Wirksamwerden des Einzelvertrags auf der Grundlage des Gesamtvertrags zu. Dies führe zu einer Reduzierung des geltend gemachten Betrags (2.279.304,25 €) um 20 % entsprechend dem Gesamtvertragsnachlass, so dass die Klägerin lediglich 1.823.443,40 € beanspruchen könne. Insofern sei dem Hilfsantrag der Beklagten gemäß Ziffer 2a stattzugeben.

10Zinsen könne die Klägerin erst seit Rechtshängigkeit verlangen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB), da ein Verzugseintritt zu den im Klageantrag genannten Zeitpunkten nicht dargetan sei. Auf den Hilfsantrag 2a der Beklagten, die Hauptforderung mit Rechtskraft des Urteils erst ab dem zu verzinsen, ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.

112. Damit hat das Oberlandesgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.

12a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht dagegen, der von den Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommt deshalb erst in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht eingeht, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1584 [juris Rn. 14] mwN; FamRZ 2013, 1953 Rn. 14). Ein Übergehen von Prozessvortrag in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn das Gericht einen Klageantrag unberücksichtigt lässt und dadurch unter offenkundiger Missachtung des einschlägigen Prozessrechts die Partei mit ihrem Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt nicht hört (, NJW 2019, 1950 Rn. 11). Es verstößt außerdem gegen den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör, wenn das Gericht einen in zulässiger Weise eingereichten Schriftsatz nicht berücksichtigt; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfGE 11, 218, 220 [juris Rn. 5]; 62, 347, 352 [juris Rn. 19] mwN). Da sich die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG auch auf Äußerungen zur Rechtslage bezieht (BVerfG, NJW 2009, 1584 [juris Rn. 14]; FamRZ 2013, 1953 Rn. 14) und § 296a ZPO für Rechtsausführungen in Schriftsätzen nicht gilt, ist das Gericht in streitigen Verfahren verpflichtet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene, nicht nachgelassene Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen und jedenfalls daraufhin zu überprüfen, ob darin enthaltene rechtliche Ausführungen Anlass für eine Wiedereröffnung des Verfahrens gemäß § 156 ZPO geben (, MDR 2017, 107 Rn. 13 mwN).

13b) Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten vor.

14aa) Das Oberlandesgericht hat im Hinblick auf die Begründetheit und Höhe der Klageforderung angenommen, dass die Beklagte dem Gesamtvertrag beigetreten ist. Es hat entsprechend dem Hilfsantrag zu 2a der Beklagten dem Zahlungsantrag nur mit der Maßgabe stattgegeben, dass der Klägerin mit Rechtskraft des Urteils des Oberlandesgerichts Zahlungsansprüche lediglich abzüglich des im Gesamtvertrag geregelten Gesamtvertragsnachlasses in Höhe von 20 % zustehen. Dagegen hat es keine Ausführungen zu dem ebenfalls im Hilfsantrag zu 2a der Beklagten zum Ausdruck kommenden Begehren gemacht, dass Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz erst ab dem und nur auf Basis des durch den Gesamtvertragsnachlass reduzierten Betrags geschuldet seien. Der Umstand, dass das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung ausführlich erörtert, ob Verzugszinsen oder Rechtshängigkeitszinsen geschuldet sind, ohne die Bestimmung zum Zinsnachlass gemäß § 10 Abs. 8 des Gesamtvertrags auch nur anzusprechen, lässt allein den Schluss zu, dass es übersehen hat, dass die Beklagte nach verständiger Würdigung ihres Verteidigungsvorbringens auch insoweit den Gesamtvertragsnachlass in Anspruch nehmen wollte.

15bb) Der Annahme eines Gehörsverstoßes steht nicht entgegen, dass die Beklagte erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom ausdrücklich auf die Bestimmung in § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag hingewiesen hat.

16Es kann auf sich beruhen, ob sich bereits aus dem vor Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vorbringen der Beklagten, namentlich aus der Stellung des eine zeitliche Begrenzung des Zinsanspruchs beanspruchenden Hilfsantrags zu 2a und aus dem insgesamt zu diesem Hilfsantrag gehaltenen Vortrag der Beklagten, hilfsweise den Gesamtvertragsnachlass für sich beanspruchen zu wollen, ein hinreichend konkreter Sachvortrag der Beklagten auch zum Zinsnachlass gemäß § 10 Abs. 8 des Gesamtvertrags ergibt. Außerdem kann offenbleiben, ob das Oberlandesgericht aufgrund dieser Umstände jedenfalls gehalten war, gemäß § 139 Abs. 2 ZPO auf konkretisierenden Vortrag der Beklagten hinzuwirken. Jedenfalls war das Oberlandesgericht verpflichtet, den ausdrücklichen Hinweis der Beklagten auf die Bestimmung des § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom zur Kenntnis zu nehmen und zumindest daraufhin zu überprüfen, ob darin enthaltene rechtliche Ausführungen Anlass für eine Wiedereröffnung des Verfahrens gemäß § 156 ZPO gaben. Dass das Oberlandesgericht dies getan hat, lässt sich seinen Urteilsgründen nicht entnehmen. Es hat zwar geprüft, ob die mündliche Verhandlung wegen der Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom wiederzueröffnen ist. Ausführungen zu der im Hilfsantrag zu 2a beantragten Zinsregelung und der in diesem Schriftsatz angesprochenen Bestimmung gemäß § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag hat das Oberlandesgericht jedoch nicht gemacht. Dies lässt bei einer Würdigung der Entscheidungsgründe im Gesamtzusammenhang nur den Schluss zu, dass es diesen Gesichtspunkt bei seiner Prüfung einer eventuellen Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung übergangen hat.

17cc) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht anders entschieden hätte, wenn es das Vorbringen der Beklagten zu der Regelung zum Zinsanspruch gemäß § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag berücksichtigt hätte.

18III. Die weitergehende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die übrigen auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:191120BIZR20.20.0

Fundstelle(n):
CAAAH-79223