NWB Nr. 19 vom Seite 1382

Umsatzsteuerrechtliche Organschaft: Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften ist unionsrechtswidrig

Folgen des

Dr. Timo Hartman *

[i]Pagel/Tetzlaff, Organschaft, Grundlagen, NWB EAAAE-28096 Der (NWB WAAAH-76513) die deutsche Organschaftsregelung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG für unionsrechtswidrig erklärt, soweit diese Vorschrift Personengesellschaften als Organgesellschaften ausschließt. Hierdurch ist die Folgerechtsprechung des V. BFH-Senats (, BStBl 2017 II S. 547) im Anschluss an die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Larentia + Minerva obsolet, mit der der V. Senat des BFH unter Rekurs auf den Grundsatz der Rechtssicherheit versucht hat, den Ausschluss von Personengesellschaften als Organgesellschaften weitgehend zu erhalten (eine Ausnahme sollte nur für Personengesellschaften gelten, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind). Dem ist der EuGH nun entgegengetreten und hat klargestellt, dass ein Ausschluss von Personengesellschaften als Organgesellschaften generell unvereinbar mit den Vorgaben aus Art. 11 MwStSystRL sowie dem unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist.

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I. Zugrundeliegender Sachverhalt

[i]EuGH, Urteil v. 15.4.2021 - Rs. C-868/19, NWB WAAAH-76513 Dem Vorlageverfahren lag der Fall einer GmbH & Co. KG zugrunde, die als Organgesellschaft Teil einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit der M-GmbH als Organträger sein wollte. An der GmbH & Co. KG beteiligt waren neben der Komplementär-GmbH mehrere natürliche Personen und die M-GmbH, die ausweislich des Gesellschaftsvertrags, der für Entscheidungen in der Gesellschaft das Mehrheitsprinzip festlegte, die Stimmenmehrheit in der GmbH & Co. KG besaß. Zudem war die GmbH & Co. KG wirtschaftlich und organisatorisch in die M-GmbH eingegliedert.

Das Finanzamt verneinte eine Organschaft mit der Begründung, dass eine finanzielle Eingliederung der GmbH & Co. KG aufgrund der Beteiligung von mehreren natürlichen Personen auf Grundlage der Rechtsprechung des V. BFH-Senats nicht möglich sei.

II. Unionsrechtliche Grundlagen, bisherige EuGH- und BFH-Rechtsprechung sowie Auffassung der Finanzverwaltung

[i]EuGH: Nationale Organschaftsregelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit Unionsrecht unvereinbarUnionsrechtliche Grundlage der Organschaft ist Art. 11 MwStSystRL. In dessen Abs. 1 ist in personeller Hinsicht bestimmt, dass „Personen“ eine Organschaft bilden können. Hierzu hat der und C-109/14 „Larentia + Minerva“ (BStBl 2017 II S. 604) festgestellt, dass eine nationale Organschaftsregelung mit S. 1383Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL unvereinbar ist , wenn in personeller Hinsicht die Bildung einer Organschaft allein juristischen Personen vorbehalten ist. Hiervon hat er nur dann eine Ausnahme zugelassen, wenn die Beschränkung der Organkreisbeteiligten eine Maßnahme darstellt, die für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet ist (Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL). Ob dies der Fall ist, sei durch das nationale Gericht zu prüfen.

[i]V. Senat des BFH: Alle Mitgesellschafter der Personengesellschaft müssen finanziell eingegliedert seinIm Anschluss an dieses EuGH-Urteil entschied der V. Senat des (BStBl 2017 II S. 547), dass die Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften grundsätzlich weiterhin zulässig sei. Eine Ausnahme gelte nur für Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist. Dies bedeutete insbesondere: Sobald an der Personengesellschaft auch natürliche Personen beteiligt sind, scheidet eine Organschaft nach Auffassung des V. Senats des BFH mit dieser Gesellschaft als Organgesellschaft aus, da natürliche Personen nicht in einen Organträger finanziell eingegliedert sein können.

[i]Finanzverwaltung: Übernahme der RechtsprechungsgrundsätzeDie Finanzverwaltung hat sich der Auffassung des V. Senats angeschlossen (vgl. Abschnitt 2.8 Abs. 5a UStAE). Eine gesetzgeberische Änderung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG erfolgte jedoch bislang nicht. Vielmehr gehen der BFH und die Finanzverwaltung davon aus, dass die genannten Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, durch richtlinienkonforme Auslegung bzw. teleologische Extension des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Organgesellschaften anerkannt werden können.

III. EuGH-Entscheidung v.  - Rs. C-868/19

Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des , NWB MAAAH-40194; vgl. hierzu Hartman, ) hat der EuGH nun die Auffassungen des V. BFH-Senats und der Finanzverwaltung für unionsrechtswidrig erklärt.

1. Eine finanzielle Eingliederung ist nicht nur juristischen Personen vorbehalten

[i]Enge Verbindungen durch finanzielle BeziehungenZunächst konkretisiert der EuGH seine Rechtsprechung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „engen Verbundenheit“ i. S. des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL. Dies erstaunt zunächst, da er in der Rechtssache Larentia + Minerva noch ausdrücklich erklärt hat, dass dieses Tatbestandsmerkmal einer Präzisierung durch die Mitgliedstaaten bedarf und daher vom EuGH nicht näher festgelegt wird ( und C-109/14 „Larentia + Minerva“, BStBl 2017 II S. 604, Rz. 50). Nunmehr stellt er klar, dass der Begriff der „engen Verbindungen durch finanzielle Beziehungen“ autonom, einheitlich und nicht in einem engen Sinne auszulegen ist (, NWB WAAAH-76513, ). Hieraus folgt, dass die Mitgliedstaaten insbesondere nicht befugt sind, eine finanzielle Verbundenheit an die Rechtsform der Organkreisbeteiligten zu knüpfen (, NWB WAAAH-76513, Rz. 46). Eine solche finanzielle Verbundenheit kann dann angenommen werden, wenn – wie im Streitfall – der Organträger seinen Willen in der Personengesellschaft durchsetzen kann. Ob theoretisch eine mündliche Änderung der Stimmrechtsverhältnisse erfolgen kann, ist hierbei unerheblich (, NWB WAAAH-76513, Rz. 48). S. 1384

2. Grundsatz der Rechtssicherheit kann Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften nicht rechtfertigen

[i]Rechtsunsicherheit resultiert laut EuGH allein aus Formvorschriften des nationalen RechtsDer V. Senat des (BStBl 2017 II S. 547) die Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften maßgeblich damit gerechtfertigt, dass bei Personengesellschaften Änderungen am Gesellschaftsvertrag und damit an den Stimmrechtsverhältnissen mündlich vereinbart werden können und daher eine finanzielle Eingliederung der Gesellschaft nicht rechtssicher durch die Finanzverwaltung feststellbar sei. Der EuGH führt hierzu aus, dass diese Rechtsunsicherheit allein aus den Formvorschriften des nationalen Rechts und nicht aus Art. 11 MwStSystRL resultiert. Eine solche Folge nationaler Regelungen kann indes nach ständiger EuGH-Rechtsprechung nicht die Einschränkung von Richtlinienvorgaben rechtfertigen (, NWB WAAAH-76513, ). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Argumentation des V. Senats (der u. a. auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Vorabentscheidungsersuchen gefolgt ist) zu dem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, dass sämtliche mündliche Vereinbarungen keine umsatzsteuerliche Auswirkung mehr haben können, da sie stets zu der vom V. Senat beanstandeten Rechtsunsicherheit führen.

3. Rechtfertigung auf Grundlage des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL nicht möglich

[i]Keine „objektiven“ Anhaltspunkte für Gefahr von Steuerhinterziehungen bzw. -umgehungenWeiter kommt der EuGH zu dem Schluss, dass eine Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften auch nicht durch Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL (erforderliche Maßnahmen zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen) gerechtfertigt werden kann. Der V. Senat und auch die Bundesregierung haben hierzu ausgeführt, dass sich ein unredlicher Steuerpflichtiger nachträglich auf etwaige mündliche Vereinbarungen über die Stimmrechte bei einer Personengesellschaft berufen könnte, um so zu seinen Gunsten willkürlich auf das Vorliegen der finanziellen Eingliederung Einfluss zu nehmen. Dem ist der EuGH erfreulicherweise deutlich entgegengetreten: Er stellt klar, dass die vorgetragene Gefahr von Steuerhinterziehungen bzw. -umgehungen durch Berufung auf etwaige mündliche Abreden rein theoretischer Natur ist. Maßnahmen i. S. des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL setzen aber voraus, dass aufgrund einer Reihe „objektiver Anhaltspunkte“ ersichtlich ist, dass ein Steuervorteil bezweckt wird (, NWB WAAAH-76513, Rz. 61). Im Streitfall liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung bestanden hat. Damit aber liegen die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL nicht vor.

4. Ausschluss von Personengesellschaften verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz der Neutralität

[i]„Organschaft auf Antrag“Schließlich führt der EuGH aus, dass der generelle Ausschluss von Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nicht nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, von den Vorteilen einer Organschaft als unverhältnismäßig anzusehen ist. Dies bereits deshalb, weil dem deutschen Gesetzgeber weniger restriktive Maßnahmen zur Sicherstellung einer rechtssicheren Bestimmung der Eingliederungsvoraussetzungen zur Verfügung stehen. Hierbei ist bemerkenswert, dass der EuGH ausdrücklich darauf hinweist, dass die Möglichkeit [i]Küffner, Gast-Editorial, NWB 28/2020 S. 2041 besteht, die Organschaft an eine Bewilligung der Finanzverwaltung zu knüpfen (, NWB WAAAH-76513, ). Eine solche „Organschaft auf Antrag“ ist schon seit Langem als wichtiger Reformvorschlag in der steuerrechtlichen Literatur diskutiert, aber leider nie vom deutschen Gesetzgeber aufgenommen worden. S. 1385

Zudem führt der EuGH aus, dass die Rechtsformbeschränkung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auch gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt. Juristische Personen und Personengesellschaften tätigen gleichartige Umsätze und stehen miteinander in Wettbewerb. Wenn Personengesellschaften von den steuerlichen Vorteilen einer Organschaft ausgeschlossen werden, führt dies zu einem nicht zu rechtfertigenden Nachteil und damit zu einem Neutralitätsverstoß (, NWB WAAAH-76513, Rz. 66).

IV. Folgen der EuGH-Entscheidung

1. GmbH & Co. KG kann nicht als Organgesellschaft i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ausgeschlossen werden

[i]GmbH & Co. KG kann nicht von der Organschaft ausgeschlossen werdenAus der EuGH-Entscheidung folgt nunmehr zwingend, dass eine GmbH & Co. KG – unabhängig davon, ob sämtliche Gesellschafter in den Organträger finanziell eingegliedert sind – nicht als Organgesellschaft von der Organschaft gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ausgeschlossen werden darf. Rechtsmethodisch erfolgt die Einbeziehung einer GmbH & Co. KG als Organgesellschaft in die umsatzsteuerrechtliche Organschaft durch richtlinienkonforme Auslegung (so der XI. Senat des BFH) bzw. teleologische Extension (so der V. Senat des BFH) des Tatbestandsmerkmals „juristische Person“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG (vgl. , BStBl 2017 II S. 547; v.  - XI R 17/11, BStBl 2017 II S. 581). Die Einschränkung auf GmbH & Co. KG, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, ist unionsrechtswidrig und kann daher nicht weiter Geltung beanspruchen. Die diesbezügliche Rechtsprechung des V. BFH-Senats ist insoweit obsolet.

2. Geltung für sämtliche Personengesellschaften?

[i]Gehrmann, GmbH & Co. KG, infoCenter, NWB LAAAB-54646 Obgleich das Vorabentscheidungsersuchen lediglich den Fall einer GmbH & Co. KG betraf, hat der EuGH ganz allgemein zur Frage der Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften Stellung genommen. Seine Ausführungen beziehen sich allgemein auf den Ausschluss von Personengesellschaften von der Organschaft. Daher kommt dem EuGH-Urteil allgemeine Geltung hinsichtlich jedweder Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften zu. Dies betrifft neben Personengesellschaften auch sonstige Personenvereinigungen, sofern diese umsatzsteuerrechtlich Unternehmer und ihrer Art nach finanziell in einen Organträger eingegliedert sein können.

3. Richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG möglich?

[i]Vergleichbarkeit der GmbH & Co. KG mit juristischer Person aufgrund kapitalistischer StrukturBislang haben es beide Umsatzsteuer-Senate des BFH – wie ausgeführt – nur für eine GmbH & Co. KG zugelassen, dass diese entweder durch richtlinienkonforme Auslegung oder teleologische Extension unter das Tatbestandsmerkmal „juristische Person“ i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG subsumiert werden kann. Eine Übertragung dieser Möglichkeit durch den BFH auch auf andere Personengesellschaften oder gar sonstige Personenvereinigungen dürfte nicht zu erwarten sein. Der XI. Senat hat die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung hinsichtlich einer GmbH & Co. KG ausdrücklich damit begründet, dass die GmbH & Co. KG eine kapitalistische Struktur aufweise und daher ihrer Art nach einer juristischen Person vergleichbar sei (, BStBl 2017 II S. 581). Würde der BFH davon ausgehen, dass sämtliche Personengesellschaften unter das Tatbestandsmerkmal „juristische Person“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG subsumiert werden können, hätte es dieser Begründung nicht bedurft.

Gegen eine richtlinienkonforme Auslegung in diesem Sinne spricht maßgeblich auch der eindeutige Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, der die Grenze einer solchen S. 1386Auslegung markiert (vgl. hierzu eingehend Hartman in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 2 UStG, Rz. 79). Gleichwohl wird hier abzuwarten sein, wie sich der BFH und die Finanzverwaltung zur Frage der richtlinienkonformen Auslegung positionieren werden. In der Vergangenheit wurde schon wiederholt unter Rückgriff auf dieses Rechtsinstitut versucht, unionsrechtswidrige Gesetze „zu retten“. Der Rechtsklarheit wäre damit indes nicht gedient.

4. Keine unmittelbare Wirkung des Art. 11 MwStSystRL

Die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ist für den Rechtsschutz der betroffenen Personengesellschaften auch und gerade deshalb von Bedeutung, weil der EuGH in der Rechtssache Larentia + Minerva festgestellt hat, dass Art. 11 MwStSystRL keine unmittelbare Wirkung entfaltet, mithin betroffene Personengesellschaften sich nicht auf diese Richtlinienbestimmung berufen können ( und C-109/14 „Larentia + Minerva“, BStBl 2017 II S. 604, Leitsatz 3). Dies hat zur Folge, dass solchen Personengesellschaften – sofern nicht doch eine richtlinienkonforme Auslegung für möglich gehalten wird (s. oben IV, 3) – trotz ausdrücklich vom EuGH festgestellter Unionsrechtswidrigkeit eine Beteiligung als Organgesellschaft an einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft weiterhin nicht möglich ist.

[i]Hartman, NWB 2/2020 S. 80Ob eine sog. partielle Berufbarkeit auf einzelne unbedingt wirkende Tatbestandsmerkmale des Art. 11 MwStSystRL trotz der Aussagen des EuGH in der Rechtssache Larentia + Minerva möglich bleibt, was insbesondere auf den personellen Anwendungsbereich des Art. 11 MwStSystRL („Personen“) zutrifft (vgl. hierzu auch Erdbrügger, BB 2015 S. 1896, 1896; Nieskens, BB 2015 S. 2074, 2075 f.; Englisch, UR 2016 S. 822, 824 f.), erscheint eher fernliegend. Dagegen spricht, dass der EuGH in Leitsatz 3 seines Urteils in der Rechtssache Larentia + Minerva eine unmittelbare Wirkung des Art. 11 MwStSystRL ganz allgemein ausschließt. Gleichwohl wird diese Frage letztlich abschließend und rechtssicher nur durch ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden können (vgl. hierzu auch Hartman, ).

5. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

a) Erweiterung auf Personengesellschaften und vergleichbare Personenvereinigungen

[i]Zeitnahe gesetzgeberische Änderung dringend gebotenDer deutsche Gesetzgeber sieht sich nunmehr einer durch den EuGH bestätigten Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG im Hinblick auf die Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften gegenüber. Um kein Vertragsverletzungsverfahren zu riskieren, ist es notwendig, nun endlich die erforderlichen gesetzgeberischen Korrekturen an der Vorschrift vorzunehmen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte sich der Gesetzgeber nunmehr zeitnah dazu entschließen, die Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften zu beseitigen. Das Tatbestandsmerkmal „eine juristische Person“ sollte durch „eine juristische Person, eine Personengesellschaft oder sonstige Personenvereinigung“ ersetzt werden (vgl. hierzu eingehend Hartman, Die Vereinbarkeit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft mit dem Europäischen Unionsrecht, 2013, S. 231). Da eine unmittelbare Berufung von Personengesellschaften auf Art. 11 MwStSystRL nicht möglich ist (s. oben IV, 4), ist auch aus Rechtsschutzgesichtspunkten eine zeitnahe gesetzgeberische Änderung dringend geboten.

b) Organschaft auf Antrag?

Zudem sollte die vom EuGH ausdrücklich angesprochene Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, die Organschaft nur auf Antrag des Steuerpflichtigen bzw. erst nach einer Zustimmungsentscheidung durch die Finanzverwaltung zuzulassen (vgl. hierzu Endres-Reich, UR 2016 S. 660; Wäger, UVR 2013 S. 205, 210). Hierdurch könnte vermieden S. 1387werden, dass – wie es in der Praxis immer wieder vorkommt – im Rahmen einer Betriebsprüfung nach vielen Jahren erstmals festgestellt wird, dass eine Organschaft besteht oder nicht besteht und der Steuerpflichtige dann gezwungen ist, rückwirkend die ihn regelmäßig belastenden Änderungen zu tragen (inklusive Zinsen). Eine Zustimmung der Finanzverwaltung (als rechtsverbindlicher Akt mit Bindungswirkung für die Beteiligten) würde hier unkompliziert und handhabbar die für die unternehmerische Planung notwendige Rechtssicherheit schaffen.

V. Beraterhinweis: Organschaft weiterhin auf dem unionsrechtlichen Prüfstand

[i]Küffner, Gast-Editorial, NWB 28/2020 S. 2041Auch wenn mit dieser EuGH-Entscheidung eine wichtige unionsrechtliche Streitfrage im Zusammenhang mit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft abschließend geklärt wurde, ist die umsatzsteuerrechtliche Organschaft weiterhin Gegenstand unionsrechtlicher Prüfung. Sowohl der XI. Senat (EuGH-Vorlage: , NWB TAAAH-45293) als auch der V. Senat des BFH (EuGH-Vorlage: , NWB WAAAH-51169) haben dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die in der deutschen Organschaftsregelung vorgesehene Aufteilung in Organträger und Organgesellschaft mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Der XI. Senat hält es offensichtlich für unionsrechtswidrig, dass nach der deutschen Organschaftsregelung nicht ein neuer Steuerpflichtiger (sog. Mehrwertsteuergruppe) entsteht, sondern lediglich ein am Organkreis Beteiligter (Organträger) Unternehmer ist und dieser ein einheitliches Unternehmen mit den Organgesellschaften als unselbständigen Unternehmensteilen bildet. Demgegenüber hält der V. Senat die deutsche Organschaftsregelung insoweit für unionsrechtskonform. Zudem soll mit den Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, ob die Eingliederungsmerkmale der deutschen Organschaftsregelung (finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung) mit den Vorgaben aus Art. 11 MwStSystRL, der lediglich fordert, dass die Organkreisbeteiligten „durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden“ sind, vereinbar sind.

Fazit

Die deutsche Organschaftsregelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ist im Hinblick auf die in ihr geregelte Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften unionsrechtswidrig. Der EuGH hat nunmehr klargestellt, dass derartige Rechtsformbeschränkungen für Organkreisbeteiligte mit Art. 11 MwStSystRL unvereinbar sind. Insbesondere kommt eine Rechtfertigung zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und -umgehung (Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL) nicht in Betracht. GmbH & Co. KG sind nunmehr im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des Tatbestandsmerkmals „juristische Person“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG als Organgesellschaften zu berücksichtigen. Ob eine solche richtlinienkonforme Auslegung auch für andere Personengesellschaften und vergleichbare Personenvereinigungen möglich ist, erscheint fraglich. Einer unmittelbaren Berufung auf Art. 11 MwStSystRL dürfte die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Larentia + Minerva entgegenstehen.

Autor

Dr. Timo Hartman,
Richter am Finanzgericht Berlin-Brandenburg in Cottbus.

Fundstelle(n):
NWB 2021 Seite 1382 - 1387
WAAAH-78052