Der EuGH als Mediator zwischen den BFH-Senaten?
Pulverfass umsatzsteuerrechtliche Organschaft
Der V. Senat des BFH hat dem EuGH erneut Fragen zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft vorgelegt (Az. ). Dabei eifert der V. Senat mit seiner ersten Vorlagefrage dem XI. Senat nach (Az. ) und fragt ebenfalls, ob das bisherige deutsche Verständnis, wonach der Organträger (und nicht der Organkreis) der Steuerpflichtige und damit Steuerschuldner ist, mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist. Während der XI. Senat ersichtlich an der Vereinbarkeit zweifelt, macht der V. Senat deutlich, dass er die nationale Regelung für unionsrechtskonform hält. Der V. Senat hätte auch einfach die Entscheidung des EuGH im vom XI. Senat initiierten Vorlageverfahren abwarten können. Stattdessen findet sich der EuGH nun in einer unschönen Rolle als Mediator zwischen den BFH-Senaten wieder.
Gleichwohl: Die Vorlagefragen des V. Senats sind von sehr großer Relevanz und wichtig für uns Praktiker. Denn zu Recht betont der BFH die erheblichen fiskalischen Auswirkungen in Verbindung mit seiner ersten Vorlagefrage. Sollte der Organträger nicht Steuerpflichtiger im Rahmen des Art. 11 MwStSystRL sein, könnte er sich auf das für ihn insoweit günstigere Unionsrecht berufen. Die Umsätze der Organgesellschaften hätte der Organträger dann nicht mehr zu versteuern. Ebenso wenig ließen sich die Organgesellschaften zur Besteuerung heranziehen. Denn sie könnten sich wiederum auf das für sie günstigere nationale Recht berufen. Für uns Praktiker bleibt daher nur die Empfehlung: Sämtliche Umsatzsteuerbescheide sind bis auf Weiteres offenzuhalten.
Die zweite Vorlagefrage ist nicht weniger brisant. Ob die umsatzsteuerrechtliche Organschaft auch den nichtwirtschaftlichen Bereich umfasst, ist eine Frage, der sich vor allem juristische Personen des öffentlichen Rechts, gemeinnützige Einrichtungen und gemischte Holdings immer wieder ausgesetzt sehen. Der V. Senat spricht sich für ein weites Verständnis aus. Danach erfasst der Organkreis auch den sog. nichtwirtschaftlichen Bereich. Unklar sei lediglich, ob Leistungen einer Organgesellschaft an den nichtwirtschaftlichen Bereich des Organträgers den Tatbestand einer unentgeltlichen Wertabgabe erfüllen. Unter Heranziehung des EuGH-Urteils VNLTO (Rs. ) tastet sich der V. Senat an eine Antwort auf diese Frage heran. Vieles ist nach wie vor ungewiss. Ging man ganz früher von zwei Sphären eines Unternehmers aus, spricht man zwischenzeitlich von drei Sphären eines Steuerpflichtigen: wirtschaftlichen Tätigkeiten, nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten i. e. Sinne und unternehmensfremden Tätigkeiten. Der BFH hofft, mit seiner Vorlage an den EuGH mehr Licht ins Dunkel der verschiedenen Sphären zu bringen.
Wissenschaftlich ist dies alles hoch interessant. Der Rechtsanwender sehnt sich aber nach Rechtssicherheit. Nicht nur Steuerpflichtige, sondern auch die Finanzverwaltung wollen klare Regeln für die Bewältigung von Massengeschäftsvorfällen. Die Novellierung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu einer Gruppenbesteuerung mit Antragserfordernis ist längst überfällig.
Thomas Küffner
Fundstelle(n):
NWB 2020 Seite 2041
NAAAH-52585