Online-Nachricht - Donnerstag, 29.04.2021

Einkommensteuer | Erste Tätigkeitsstätte bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung nach neuem Reisekostenrecht (BFH)

Erste Tätigkeitsstätte bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des aufnehmenden Unternehmens, der der Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen für die Dauer der Entsendung zugeordnet ist (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 3 Nr. 16 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. (BGBl I 2013, 285) sind die Vergütungen, die Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Dienstes von ihrem Arbeitgeber zur Erstattung von Reisekosten, Umzugskosten oder Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung erhalten, steuerfrei, soweit sie die nach § 9 EStG als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen nicht übersteigen.

Sachverhalt: Streitig ist, ob die von einem ausländischen Arbeitgeber gewährten Zuschüsse für Unterkunft und Heimfahrten eines zu einem verbundenen Unternehmen ins Ausland entsandten Arbeitnehmers im Rahmen des Progressionsvorbehalts steuerfrei zu behandeln sind. Das FA bezog den ausländischen Arbeitslohn des Klägers aus den USA im VZ 2014 voll in die Berechnung des Steuersatzes nach § 32b EStG ein. Der Kläger ging davon aus, dass die Zuschüsse für Unterkunft und Heimfahrten teilweise als steuerfreie Werbungskostenerstattungen zu behandeln seien und damit nicht zu dem dem Progressionsvorbehalt unterliegenden ausländischen Arbeitslohn gehören würden. Dem folgten FA und FG nicht (zur Vorinstanz, , s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 22.11.2018 sowie Lieber, IWB 4/2019 S. 139).

Die Richter des BFH wiesen die hiergegen gerichtete Klage ab.

  • Die Vergütungen, die der Kläger für die Flüge zwischen den USA und Deutschland, für Möbelmiete und (anteilig) als Wohnkostenzuschuss erhielt, waren nicht gemäß § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei, da sie die gemäß § 9 EStG als Werbungskosten abziehbaren Beträge überstiegen.

  • Der Kläger konnte die Aufwendungen für die Flüge, die Möbelmiete und die (anteiligen) Wohnkosten nicht gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und Nr. 5a EStG als Werbungskosten abziehen. Denn er war in den USA nicht auswärts tätig. Seine erste Tätigkeitsstätte befand sich im Streitjahr im Werk der Gastgesellschaft.

  • Bei dem betreffenden Werk handelte es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Klägers: Der Kläger war nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz mit der Gastgesellschaft ein (befristetes) Arbeitsverhältnis eingegangen.

  • Die Gastgesellschaft war während der Laufzeit des (befristeten) Arbeitsverhältnisses der (lohnsteuerrechtliche) Arbeitgeber des Klägers. Der Kläger erbrachte seine Arbeitsleistungen gegenüber der Gastgesellschaft in deren Werk. Er war in den dortigen Betrieb der Gastgesellschaft eingegliedert. Ausweislich der US-amerikanischen Gehaltsbescheinigung 2014 trug die Gastgesellschaft auch den vom Kläger für seine Tätigkeit in den USA bezogenen Arbeitslohn. Dies gilt jedenfalls, soweit die vom Kläger bezogenen Vergütungen nach der US-amerikanischen Gehaltsübersicht über die sog. "United States Payroll" abgewickelt wurden.

  • Darüber hinaus war der Kläger dem Werk der Gastgesellschaft auch zugeordnet. Nach der zwischen dem Kläger und der Gastgesellschaft getroffenen Vereinbarung sollte er seine Arbeit im Werk der Gastgesellschaft ableisten. Die vorgenannte Zuordnung erfolgte schließlich dauerhaft.

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:

Vorliegend hat der BFH die Auffassung der Finanzbehörden bestätigt, nach der bei einer grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen beim aufnehmenden Unternehmen eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen (von diesem) einer ihrer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft, d.h. unbefristet zugeordnet ist, die Zuordnung die Dauer des gesamten - befristeten oder unbefristeten - Dienstverhältnisses (Entsendung) umfasst oder die Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus reicht (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG; BStBl I 2020, 1228, Rz 23).

Diese formale, am lohnsteuerlichen Arbeitgeberbegriff orientierte Betrachtung des Entsendegeschehens wird Ausweichreaktionen zur Folge haben. Eine Möglichkeit in Entsendefällen (weiterhin) die steuerlichen Folgen einer Auswärtstätigkeit herbeizuführen, hat das BMF selbst benannt: Wird ein Arbeitnehmer bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen ohne Abschluss eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dieses Unternehmens tätig, ist die erste Tätigkeitsstätte beim aufnehmenden Unternehmen nur dann zu verorten, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG dauerhaft (d.h. unbefristet, für die Dauer des gesamten - befristeten oder unbefristeten – Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus) ins Ausland entsandt wird ( BStBl I 2020, 1228, Rz 24).

Aber auch bei Abschluss eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen ist eine Auswärtstätigkeit nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr kann das aufnehmende Unternehmen den (an den Hauptsitz) entsandten Arbeitnehmer während seines Auslandseinsatzes nach Maßgabe des neuen Reisekostenrechts selbst auswärts (in einer Filiale) einsetzen. Denn auch insoweit sind die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (bzw. die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen) zwischen aufnehmendem Unternehmen und entsandtem Arbeitnehmer maßgeblich.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
LAAAH-77396