BAG Urteil v. - 5 AZR 22/19

Arbeitnehmerüberlassung - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay") - Darlegungslast - Ausschlussfristen

Gesetze: § 8 Abs 1 AÜG, § 10 Abs 4 S 1 AÜG vom , § 13 AÜG, § 9 Abs 1 Nr 2 AÜG

Instanzenzug: Az: 7 Ca 284/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 14 Sa 27/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2Die Klägerin, die keiner Gewerkschaft angehört, war aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags von Januar bis September 2017 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie erhielt einen Stundenlohn von zuletzt 9,85 Euro brutto und einsatzbezogene Zulagen in unterschiedlicher Höhe. Vom 24. Januar bis zum war die Klägerin der E GmbH & Co. KG (iF nur E) und vom 4. Mai bis zum der P GmbH & Co. KG (iF nur P) überlassen.

3Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag zugrunde, in dem es ua. heißt:

4Mit Schreiben vom hat die Klägerin erfolglos dem Grunde nach „rückwirkend ab Beginn des Arbeitsverhältnisses und für die Zukunft gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Arbeitnehmer des jeweiligen Kundenbetriebes“ geltend gemacht und am die vorliegende Klage erhoben. Sie hat unter Berufung auf eine Auskunft der ersten Entleiherin vorgetragen, als unmittelbar bei der E Beschäftigte hätte sie Vergütung nach dem Monatslohntarifvertrag der Textilindustrie Baden-Württemberg erhalten, zunächst nach dessen Lohngruppe II und bei Bewährung ab dem vierten Monat nach dessen Lohngruppe III. Danach ergäben sich rechnerisch Bruttostundenlöhne von 12,24 Euro bzw. 12,58 Euro. Die zweite Entleiherin, die P, sei ein Unternehmen der Elektroindustrie, deren branchenüblicher Tariflohn sich nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg richte. Das tarifliche monatliche Bruttoentgelt einer Anlernkraft im ersten Beschäftigungsjahr entspräche einem Stundenlohn von 15,58 Euro brutto.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch arbeitsvertragliche Vereinbarung der Anwendung entsprechender Tarifverträge sei mit Art. 5 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit (iF Leiharbeits-RL) nicht vereinbar, ebenso wenig lasse Unionsrecht eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Arbeitsentgelts bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen zu. Darüber hinaus würden die in Bezug genommenen Tarifverträge entgegen Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern nicht achten.

6Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Belang - beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Tariföffnung in § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG aF sei unionsrechtlich nicht zu beanstanden und gelte auch für befristete Leiharbeitsverhältnisse. Die in Bezug genommenen Zeitarbeitstarifverträge würden den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern in Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL in genügender Weise achten.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

9Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Auf die von der Klägerin aufgeworfenen und vom Landesarbeitsgericht erörterten unionsrechtlichen Fragen kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Klage ist schon deshalb unbegründet, weil ein möglicher Anspruch auf Differenzvergütung für den Zeitraum der Überlassung an die E jedenfalls verfallen ist, einen möglichen Anspruch auf Differenzvergütung für den Zeitraum der Überlassung an die P hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

10I. Ob für den Zeitraum ihrer Überlassung an die E ein Anspruch der Klägerin auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 8 Abs. 1 AÜG in der seit dem geltenden Fassung und - für den Zeitraum davor - § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF entstanden ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn ein solcher Anspruch wäre - sein Entstehen und die schlüssige Berechnung der Höhe des Anspruchs (zum nicht statthaften „Herunterrechnen“ des Monatslohns von Stammarbeitnehmern auf einen fiktiven Stundenlohn vgl.  - Rn. 31 mwN, BAGE 157, 213; - 4 AZR 66/18 - Rn. 45 mwN, BAGE 168, 96) zugunsten der Klägerin unterstellt - nach § 15 Abs. 1 Arbeitsvertrag wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen.

111. Die Klägerin musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in § 15 Abs. 1 Arbeitsvertrag beachten. Es handelt sich um eine eigenständige arbeitsvertragliche Regelung, die der AGB-Kontrolle standhält. Dem steht die Unabdingbarkeit (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) des Anspruchs aus § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 AÜG aF nicht entgegen, weil Ausschlussfristen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs betreffen und nicht zu dessen Inhalt gehören ( - Rn. 36 mwN, BAGE 144, 306).

12a) § 15 Arbeitsvertrag ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Das belegt schon das äußere Erscheinungsbild der Regelung und steht zwischen den Parteien außer Streit. Die Klausel enthält - wie ihr Eingangssatz ausdrücklich betont - unabhängig von der Inbezugnahme tariflicher Vorschriften eine eigenständige arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung (sh. zum grundsätzlichen Vorrang der in einen Arbeitsvertrag aufgenommenen Klauseln gegenüber einer nur durch die pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung auch  - Rn. 30 mwN, BAGE 168, 96). Diese erfasst, wie in § 15 Abs. 2 Arbeitsvertrag auch ausdrücklich festgehalten, den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, weil dieser ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis ist (vgl.  - Rn. 39, BAGE 144, 306).

13b) Die Klausel ist nicht überraschend iSd. § 305c Abs. 1 BGB und damit Vertragsbestandteil geworden. Denn die Vereinbarung von Ausschlussfristen entspricht einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben. Die Regelung findet sich auch nicht an einer irgendwo im Arbeitsvertrag versteckten Stelle. Sie ist vielmehr in einem mit „Ausschlussfristen“ überschriebenen eigenen Paragraphen enthalten, der zudem durch Fettdruck hervorgehoben ist (vgl. zum Ganzen  - Rn. 46, BAGE 144, 306). Zudem wird in § 15 Abs. 2 Arbeitsvertrag ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klausel auch den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erfasst.

14c) Die Klausel ist nicht mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn der Arbeitnehmer kann ersehen, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und auch der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt verfallen (also - untechnisch - in Wegfall geraten), wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen in der in der Klausel bezeichneten Weise geltend gemacht werden ( - Rn. 49, BAGE 144, 306). Das verdeutlicht zudem § 15 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsvertrag mit dem Hinweis, dass die nicht innerhalb der Fristen geltend gemachten Ansprüche „ausgeschlossen“ sind.

15Ob eine fehlende Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt (so  - BAGE 163, 282), kann dahingestellt bleiben. Denn § 15 Abs. 4 Arbeitsvertrag nimmt Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz ausdrücklich von der Ausschlussfristenregelung aus.

16d) Die Verfallklausel hält - jedenfalls auf der im Streitfall maßgeblichen ersten Stufe - der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand. Denn eine Frist zur Geltendmachung von mindestens drei Monaten ab Fälligkeit benachteiligt den Arbeitnehmer nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben (st. Rspr., vgl. - im Zusammenhang mit dem Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt -  - Rn. 51 mwN, BAGE 144, 306; - 5 AZR 331/18 - Rn. 20 mwN). Die Klausel lässt auf ihrer ersten Stufe auch zu, dass die Klägerin ihre Ansprüche durchsetzen kann, selbst wenn sie die Höhe des vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährten Arbeitsentgelts (noch) nicht im Einzelnen kennt. Weil in der Klausel nicht davon die Rede ist, dass Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt konkret beziffert sein müssten, reicht in solchen Fällen die Geltendmachung in Textform (§ 309 Nr. 13 Buchst. b BGB) „dem Grunde nach“ aus (vgl.  - Rn. 52 f., aaO).

172. Die Klägerin hat die erste Stufe der Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag nicht eingehalten. Sie hat einen möglichen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt für die Dauer der Überlassung an die E nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erstmals mit Schreiben vom dem Grunde nach geltend gemacht. Weil der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 AÜG aF ein die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch ist, wird er mit dem im Arbeitsvertrag für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig ( - Rn. 42, BAGE 144, 306, seither st. Rspr.). Die Fälligkeit der Vergütung für April 2017 trat nach § 4 Abs. 2 Satz 3 Arbeitsvertrag zum ein. Am , auf den das Geltendmachungsschreiben der Klägerin datiert und an dem es ausweislich des Eingangsstempels auch bei der Beklagten eingegangen ist, waren damit Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt für Überlassungen bis einschließlich des Monats April 2017 verfallen.

18II. Ob der Klägerin für den Zeitraum ihrer Überlassung an die P ein Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt gemäß § 8 Abs. 1 AÜG zusteht, ist nicht entscheidungserheblich. Denn die Klägerin hat die Höhe eines solchen - möglichen - Anspruchs nicht substantiiert dargelegt.

191. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 8 Abs. 1 AÜG, § 10 Abs. 4 AÜG aF ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, der mit jeder Überlassung entsteht und jeweils für die Dauer der Überlassung besteht. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs ist deshalb ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen ( - Rn. 35 f., BAGE 137, 249). Darlegungs- und beweispflichtig für die Höhe des Anspruchs ist nach allgemeinen Grundsätzen der Leiharbeitnehmer ( - Rn. 21; seither st. Rspr., vgl. zuletzt  - Rn. 42, BAGE 168, 96; Schüren/Hamann AÜG 5. Aufl. § 8 Rn. 82, 86; MüKoBGB/Spinner 8. Aufl. § 611a Rn. 1202; HWK/Höpfner 9. Aufl. § 8 AÜG Rn. 17). Stützt sich - wie im Streitfall - der Leiharbeitnehmer im Prozess nicht auf eine Auskunft nach § 13 AÜG, muss er zur Darlegung des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt alle für dessen Berechnung erforderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehört vorrangig die Benennung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers und das diesem vom Entleiher gewährte Arbeitsentgelt. Beruft sich der Leiharbeitnehmer - alternativ - auf ein allgemeines Entgeltschema, hat er nicht nur dessen Inhalt, sondern auch darzulegen, dass ein solches im Betrieb des Entleihers im Überlassungszeitraum tatsächlich Anwendung fand und wie er danach fiktiv einzugruppieren gewesen wäre (st. Rspr.  - Rn. 23; - 5 AZR 604/14 - Rn. 13, 20, BAGE 153, 75).

202. Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag der Klägerin nicht. Sie hat sich zur Darlegung der Höhe einer Differenzvergütung nach § 8 Abs. 1 AÜG für den Zeitraum der Überlassung an die P weder auf eine Auskunft der Verleiherin nach § 13 AÜG gestützt (obwohl sie eine entsprechende Klage angestrengt hatte), noch für ihren Einsatz vergleichbare Stammarbeitnehmer konkret benannt und zu deren Arbeitsentgelt substantiiert vorgetragen. Die Klägerin hat lediglich ohne nähere Begründung behauptet, die P sei „ein Unternehmen der Elektroindustrie“, deren branchenüblicher Tariflohn sich nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg richte. Allein die Zugehörigkeit zur Metall- und Elektroindustrie besagt jedoch noch nicht, dass das entleihende Unternehmen aufgrund rechtlicher Verpflichtung oder tatsächlicher Handhabung vergleichbare Stammarbeitnehmer „nach Tarif“ und nach welchem konkreten Tarifwerk vergüten würde (vgl. - zu einem ähnlichen Sachvortrag -  - Rn. 24; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde war erfolglos,  -). Zudem hat die Beklagte in Erwiderung auf das Vorbringen der Klägerin schon erstinstanzlich „die Anwendung des TV ME BaWü durch unser Kundenunternehmen“ bestritten, ohne dass die Klägerin Beweis für die Höhe der Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer im Betrieb der P angeboten hätte.

213. Der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Revisionsverhandlung beantragte Nachlass eines Schriftsatzes war nicht geboten.

22Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom (- 5 AZR 7/10 - Rn. 36, BAGE 137, 249) und (- 5 AZR 146/12 - Rn. 21 ff.) darauf hingewiesen, dass der Leiharbeitnehmer für den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweispflichtig ist. Davon mussten die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten ausgehen. Sie hätten - wenn sie sich nicht auf eine Auskunft nach § 13 AÜG stützten - in den Tatsacheninstanzen alle für die Anspruchshöhe relevant sein könnenden Tatsachen substantiiert vortragen und nach dem Bestreiten der Beklagten unter Beweis stellen müssen, zumal sie nicht davon ausgehen konnten, das Bestreiten der Beklagten sei unbeachtlich. Denn durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Geltung von Tarifwerken der Leiharbeitsbranche entfiel die Pflicht der Entleiherin, in ihrem Vertrag mit der Beklagten das Arbeitsentgelt vergleichbarer Stammarbeitnehmer anzugeben, § 12 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 AÜG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AÜG aF. Ferner muss ein Prozessbevollmächtigter schon in den Tatsacheninstanzen bedenken, dass das Bundesarbeitsgericht als Revisionsgericht der Bindung an das Revisionsrecht unterliegt und neuer Sachvortrag in der Revisionsinstanz nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig ist ( (F) - Rn. 3).

23III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:161220.U.5AZR22.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 1416 Nr. 19
RAAAH-76169