Außensteuergesetz | Verfassungsbeschwerde gegen die Niederlassungsfreiheit beschränkende Einkünftekorrektur erfolgreich (BVerfG)
Das zum Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG (s. hierzu Nürnberg, , Braun/Burger, , Schulz-Trieglaff, sowie unsere Online-Nachricht v. 15.5.2019) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen ().
Sachverhalt und Verfahrensgang: Die Beschwerdeführerin ist Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin einer inländischen GmbH, die wiederum im Streitjahr zu 99,98 % an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien beteiligt war. Die inländische GmbH führte für die belgische Kapitalgesellschaft ein Verrechnungskonto, das ab Januar 2004 mit 6 % p. a. verzinst wurde. Die Darlehensgewährung durch das Verrechnungskonto war nicht besichert. Für einen von einer Bank gewährten Betriebsmittelkredit über mehrere Millionen Euro zahlte die Beschwerdeführerin im Streitjahr 2005 Zinsen in Höhe von 3,14 % p. a. Im September 2005 vereinbarten die inländische GmbH und die belgische Kapitalgesellschaft einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein in Höhe des wertlosen Teils der gegen die belgische Kapitalgesellschaft gerichteten Forderungen aus dem Verrechnungskonto. Dieser wurde zwar in der Bilanz der inländischen GmbH gewinnmindernd ausgebucht, jedoch rechnete das Finanzamt die „Teilwertabschreibung“ nach der unter anderem für das Streitjahr durchgeführten Außenprüfung ‑ zunächst gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) in Verbindung mit § 15 Nr. 2 KStG ‑ für körperschaft- und gewerbesteuerliche Zwecke wieder hinzu. Im sich anschließenden Einspruchsverfahren stützte das Finanzamt die Einkünftekorrektur sodann auf § 1 Abs. 1 AStG.
Die hiergegen gerichtete Klage der Beschwerdeführerin hatte vor dem FG Erfolg. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil des FG auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte der BFH im Wesentlichen aus, dass die durch die fehlende Besicherung und die Teilwertabschreibung bedingte Gewinnminderung in voller Höhe der Korrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG unterliege. Der Korrektur stehe auch nicht das Unionsrecht entgegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH stelle eine mit § 1 Abs. 1 AStG vergleichbare Regelung eine zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen Mitgliedstaaten gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar. Zwar könnten das wirtschaftliche Eigeninteresse der Konzernobergesellschaft an ihren Beteiligungsgesellschaften sowie ihre Verantwortung als Gesellschafterin bei der Finanzierung dieser Gesellschaften Geschäftsabschlüsse unter nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen. Diese Einschränkung komme hier jedoch nicht zum Tragen. Das nationale Gericht habe nach der Rechtsprechung des EuGH Gründe dieser Art zu berücksichtigen und im Rahmen einer Abwägung (im Einzelfall) daran zu messen, mit welchem Gewicht die jeweils zu beurteilende Abweichung vom Maßstab des Fremdüblichen in den Territorialitätsgrundsatz und die hierauf gründende Zuordnung der Besteuerungsrechte eingreife. Im Streitfall komme danach eine Einschränkung der Berichtigung nach § 1 AStG nicht in Betracht, weil die Ausreichung von Fremdkapital eine unzureichende Eigenkapitalausstattung ausgleiche.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:
Offenbleiben kann, ob das angegriffene Urteil gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verstößt, weil der BFH für den im Rahmen des § 1 AStG gebotenen Fremdvergleich ohne Weiteres von einer Vollbesicherung auszugehen scheint, ohne dies im Hinblick auf die übliche Höhe von Sicherheiten für die konkrete Verrechnungsabrede und mögliche Wechselwirkungen zwischen dieser und der Höhe des vereinbarten Zinssatzes zu begründen.
Jedenfalls verletzt die Entscheidung die Beschwerdeführerin wegen der Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den BFH in ihrem Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Allerdings stellt nach ständiger Rechtsprechung nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (Willkürmaßstab). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Es muss unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé"). Unvertretbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachlich einleuchtende Begründung bejaht.
So liegt der Fall hier. Die richtige Anwendung des Unionsrechts auf den vom BFH (erstmals) unter § 1 AStG subsumierten Fall der Hingabe eines fremdunüblich nicht besicherten Darlehens war jedenfalls nach der vom BFH dafür gegebenen Begründung und angesichts der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum blieb.
Zutreffend geht der BFH davon aus, dass die von ihm nach § 1 Abs. 1 AStG vorgenommene Einkünftekorrektur eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV darstellt. Die damit verbundene Ungleichbehandlung ist nur statthaft, wenn sie durch vom Unionsrecht anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Die angegriffene Entscheidung des BFH setzt sich jedoch nicht mit der Frage auseinander, ob die Einkünftekorrektur nach Maßgabe seiner Auslegung von § 1 AStG im Hinblick auf nicht besicherte Forderungen überhaupt der, vom EuGH für legitim erklärten, Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten dient. Dass dieser Rechtfertigungsgrund einschlägig sei, setzt der BFH ohne Weiteres voraus, obwohl es hierzu weiterer Ausführungen bedurft hätte. Denn weder die Nichtbesicherung der Darlehensforderung, die der BFH dem Fremdvergleich zugrunde legt, noch eine spätere Abschreibung der Forderung führen ohne Weiteres zu einer Übertragung von Gewinnen, also zu einem unversteuerten „Hinaustransferieren“ von Gewinnen, das nach der Entscheidung des - Hornbach-Baumarkt) geeignet sein könnte, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
Der BFH untersucht vielmehr allein die Voraussetzungen, unter denen der EuGH in seiner Hornbach-Entscheidung für den Fall, dass die zu beurteilende Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis geeignet ist, auch deren Erforderlichkeit bejaht hat. Der EuGH verlangt in jedem Fall, in dem der Verdacht besteht, dass ein geschäftlicher Vorgang über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen, die nicht fremdübliche Bedingungen rechtfertigen können. Der BFH sieht solche wirtschaftlichen Gründe für die Hingabe eines nicht besicherten Darlehens nicht als gegeben an, wenn dies strukturell der Zuführung von Eigenkapital nahesteht.
Dabei ist zwar nicht willkürlich, dass der BFH der Rechtsprechung des EuGH bei Vorliegen wirtschaftlicher Gründe für fremdunübliche Bedingungen keinen die territorialen Besteuerungsrechte stets verdrängenden Automatismus entnommen hat, sondern eine Abwägung zulässt. Es fehlt jedoch eine sachlich einleuchtende Begründung dafür, warum der BFH die Rechtslage auch im Hinblick auf sein Abwägungsergebnis im konkreten Fall für durch die Rechtsprechung des EuGH zweifelsfrei geklärt hält. Denn das übergeht, dass wirtschaftliche Gründe für den Abschluss eines fremdunüblichen Geschäfts nach Auffassung des EuGH gerade dann vorliegen können, wenn eine Tochtergesellschaft auf die Zuführung von Kapital angewiesen ist, weil sie über kein ausreichendes Eigenkapital verfügt. Dazu steht die vom BFH vorgenommene Abwägung in einem von ihm nicht aufgelösten Widerspruch.
Schließlich ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine nationale Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nur erforderlich, soweit sich die steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränkt, der über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten. Ob die angegriffene Entscheidung insoweit mit der vom EuGH geklärten Rechtslage in Einklang steht, ist nicht nachvollziehbar, weil sie bei dem durch § 1 AStG gebotenen Fremdvergleich jegliche Begründung dafür vermissen lässt, warum der BFH unter Marktbedingungen von einer Vollbesicherung des Darlehens ausgeht.
Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. (il)
Fundstelle(n):
NWB GAAAH-75380