BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1304/17

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde in einer Ermittlungserzwingungssache - unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde - zudem keine Bedenken hinsichtlich der fachgerichtlichen Zurückweisung des Ermittlungserzwingungsantrags als unzulässig

Gesetze: Art 1 Abs 1 S 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 152 Abs 2 StPO, § 170 Abs 2 StPO, § 172 Abs 2 S 1 StPO

Instanzenzug: Az: III 4 Ws 62/17 Beschluss

Gründe

I.

1Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Nichteinleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.

21. Der Sohn der Beschwerdeführer randalierte nach vorigem erheblichen Drogenkonsum am Abend des in der Innenstadt von Emmerich, wurde gegen 20:40 Uhr von der Polizei gestellt, unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu Boden gebracht, in Bauchlage mit Handschellen fixiert und festgenommen. Er kollabierte während der Festnahme und verstarb trotz durchgeführter Reanimationsmaßnahmen am um 04:30 Uhr im Krankenhaus an multiplem Organversagen.

32. Die Beschwerdeführer hatten am Strafanzeige wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, der Körperverletzung mit Todesfolge und unterlassener Hilfeleistung gegen die eingesetzten Polizeibeamten erstattet. Die Staatsanwaltschaft Kleve hat die Einleitung von Ermittlungen mangels Anfangsverdachts mit Bescheid vom abgelehnt. Es könne nicht festgestellt werden, dass das Verhalten der eingesetzten Polizeibeamten für den Tod des Sohnes der Beschwerdeführer ursächlich gewesen sei.

43. Der hiergegen gerichteten Beschwerde vom , begründet am , gab die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf mit Bescheid vom keine Folge. Das rechtsmedizinische Gutachten habe ergeben, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Umstände der Festnahme für den Tod des Sohnes der Beschwerdeführer kausal im Sinne der Äquivalenztheorie waren. Indizien für ein sorgfaltswidriges Verhalten der Polizeibeamten seien nach den Zeugenaussagen und der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung nicht zu erkennen.

54. Gegen den Bescheid der Generalstaatanwaltschaft Düsseldorf vom haben die Beschwerdeführer Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO mit dem Ziel der Anordnung weiterer Ermittlungen gestellt, insbesondere der Einholung eines ergänzenden gerichtsmedizinischen Gutachtens unter besonderer Berücksichtigung des Handyvideos, der durch das als unzulässig verworfen wurde. Zur Begründung bezieht sich das Oberlandesgericht Düsseldorf auf die in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf vom benannten formalen Mängel der Antragsschrift. Insbesondere fehle es an einer geschlossenen und aus sich heraus verständlichen Sachdarstellung sowie einer Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen.

II.

6Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip geltend und rügen eine Verletzung ihres Anspruchs auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 GG.

7Zur Begründung führen sie unter anderem aus, dass die analoge Anwendung der strengen Anforderungen an das Klageerzwingungsverfahren im Ermittlungserzwingungsverfahren sie in ihrem Anspruch auf effektive Strafverfolgung verletzte; einen Ermittlungserzwingungsantrag dürfe das Oberlandesgericht nicht aus formellen Gründen als unzulässig zurückweisen, sondern müsse sich inhaltlich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinandersetzen.

III.

8Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.

91. Die Verfassungsbeschwerde genügt offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG, denn ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Zudem enthält sie vielfach lediglich pauschale Verweisungen auf frühere Schriftsätze und verkennt, dass es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, verfassungsrechtlich Relevantes aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen herauszusuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).

10Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer für die verfassungsrechtliche Beurteilung unverzichtbare Unterlagen, insbesondere das in Bezug genommene Handyvideo, dessen Inhalt nach Auffassung der Beschwerdeführer in ein gerichtsmedizinisches Gutachten hätte einfließen müssen, aber auch die in dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten nicht näher spezifizierten Zeugenaussagen beziehungsweise die Zeugenaussage der Rettungsassistenten und die Anhörung der eingesetzten Polizeibeamten, innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG weder vorgelegt noch ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben (vgl. BVerfGE 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; BVerfGK 5, 170 <171>).

112. Im Übrigen steht der Annahmefähigkeit der Verfassungsbeschwerde auch entgegen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

12a) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 225/16 -, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom - VerfGH 128/03 -, Rn. 20 f.; OLG Düsseldorf, StV 1983, S. 498; OLG Celle, NStZ 1997, S. 406; vgl. auch -, Rn. 15). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (vgl. -, Rn. 8), insbesondere, wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden nur für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das - anderenfalls notwendige - vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 15).

13Ein Ermittlungserzwingungsantrag unterliegt als Sonderform des Klageerzwingungsantrages (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 172 Rn. 19) jedenfalls insoweit grundsätzlich demselben Maßstab. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung daher bereits aus diesem Grunde unzulässig.

14b) Darüber hinaus kommt statt der Klageerzwingung eine bloße Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 175 Rn. 16 ff. m.w.N.).

15aa) Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgeklärt hat. In solchen Fällen kann das Oberlandesgericht ein auf Klageerzwingung gerichtetes Verfahren mit der Anordnung abschließen, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufzunehmen habe (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1995, S. 50 <51>; Beschluss vom - 2 Ws 396/16 -, Rn. 6 m.w.N.; OLG Zweibrücken, GA 1981, S. 94 <95>; KG, NStZ 1990, S. 355; Graalmann-Scheerer, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.).

16Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft letztlich nicht aus Rechtsgründen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen hat. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Kleve ihre Entscheidung formal - und in der Sache unzutreffend - darauf gestützt, dass gegen die an der Festnahme beteiligten Polizeibeamten schon kein Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO bestehe, gleichwohl aber zuvor Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht angestellt. Das zeigt insbesondere die Einholung eines forensisch toxikologischen Gutachtens und Nachfragen beim Obduzenten zu der (Mit-)Ursächlichkeit der Fixierung in Bauchlage et cetera, sodass es sich in der Sache um eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO handelt.

17Dem entsprechen auch die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf in ihrem Bescheid vom . Sie führt dort aus, dass ungeachtet der bereits in dem toxikologischen Gutachten nachgewiesenen Kokain-Konzentrationen im Blut des Opfers, die im formal-toxischen Bereich lagen und geeignet waren, zu dem eingetretenen Kreislaufzusammenbruch zu führen, Kausalverlauf und Todeserfolg für die eingesetzten Beamten auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen und der Inaugenscheinnahme des Handyvideos nicht vorhersehbar waren. In Anbetracht der Gefahr die von dem Opfer ausging, seien die getroffenen Fahndungsmaßnahmen und die Festnahme auch unter Anwendung von Zwangsmitteln aufgrund der massiven Gegenwehr erforderlich und geboten gewesen, sodass von der Inaugenscheinnahme des Handyvideos durch die Obduzenten kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei.

18bb) Soweit die Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund die Verletzung des aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Anspruchs auf effektive Strafverfolgung rügen, fehlt es sowohl an einer hinreichend substantiierten Auseinandersetzung mit den hierfür geltenden verfassungsgerichtlichen Maßstäben, als auch an einem den Verstoß belegenden Sachvortrag.

19Grundlage des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung ist vor allem die staatliche Schutzpflicht für höchstpersönliche Rechtsgüter. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichten den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo dieser nicht selbst für ihre Integrität sorgen kann (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 121, 317 <356>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1550/17 -, Rn. 38). Ein Anspruch auf bestimmte einklagbare Maßnahmen ergibt sich aus diesem aber grundsätzlich nicht, weil die Rechtsordnung in der Regel keinen grundrechtlich radizierten Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter kennt (vgl. BVerfGE 51, 176 <187>; 88, 203 <262 f.>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 710/01 -, Rn. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 859/17 -, Rn. 20; stRspr).

20Die Staatsanwaltschaft hat umfangreiche Ermittlungen dazu durchgeführt, inwieweit der Nachweis geführt werden kann, dass das Verhalten der an der Festnahme des Sohnes der Beschwerdeführer beteiligten Polizeibeamten (zumindest auch) todesursächlich war. Es ist nicht ersichtlich, dass die begehrten Ermittlungen oder Schlussfolgerungen geeignet wären, einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO - also die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung der Beschuldigten in einer Hauptverhandlung - zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1550/17 -, Rn. 21).

21cc) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführer angezeigt. Denn das Oberlandesgericht hat keine überzogenen Anforderungen an den Antrag nach § 172 Abs. 2 StPO gestellt.

223. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

23Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210223.2bvr130417

Fundstelle(n):
PAAAH-73731