BSG Beschluss v. - B 9 V 21/20 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Versäumung des Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist - keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fehlende Reaktion des Gerichts auf eingereichten Antrag - Nachfrageobliegenheit des Prozessbevollmächtigten - Büroversehen - Verschulden - Unkenntnis der Fachkraft über bestehende Weisung

Gesetze: § 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 2 S 1 SGG, § 67 Abs 2 S 2 SGG, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 160a Abs 2 S 2 SGG, § 85 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: S 13 VE 42/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 13 VG 70/16 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im zugestellt am , mit einem am beim BSG eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde ist mit Schriftsatz vom begründet worden. Mit Beschluss vom hat der erkennende Senat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil sie nicht bis zum Ablauf der am endenden Frist begründet und ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist nicht gestellt worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Begründungsfrist seien weder vorgebracht noch ersichtlich.

2Nach Erhalt dieser Entscheidung am hat der Prozessbevollmächtigte mit einem am beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag unter Bezugnahme auf die vorliegende Begründung beantragt, "dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 67 SGG zu gewähren" und "die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu verlängern", weil er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein in seinem Büro rechtzeitig vorbereiteter Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei während seines Urlaubs von der dafür zuständigen und zuverlässigen Fachkraft nicht fristgerecht weitergeleitet worden.

3II. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde ist abzulehnen.

4Der Kläger hat die Frist zu Begründung der Beschwerde nicht schuldlos versäumt. Die Nichteinhaltung der zweimonatigen Frist zur Begründung der Beschwerde beruht auf einem Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten. Dieser hat es nach seinem Vorbringen und den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen versäumt, die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht zu begründen.

5Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl - juris RdNr 6; - SozR 4-1500 § 67 Nr 15, RdNr 7, jeweils mwN). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl BSG, aaO, mwN). In diesem Sinne ist das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BSG, aaO, mwN). An diesen Darlegungen fehlt es.

6Zwar kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist noch gestellt werden, wenn über den Rechtsbehelf selbst - wie vorliegend - bereits entschieden wurde (vgl - juris RdNr 3; III ER 414.60 - BVerwGE 11, 322; - juris RdNr 2; - NVwZ-RR 2006, 852; offengelassen von - juris RdNr 8; vgl auch IVb ZB 825/81 - juris RdNr 5). Allerdings kann vorliegend eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gewährt werden, weil der Kläger keine Tatsachen vorgetragen oder glaubhaft gemacht hat, aus denen sich ergibt, dass er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten.

7Die Versäumung der Begründungsfrist kann nicht damit entschuldigt werden, die Verlängerung der Begründungsfrist sei ohne Verschulden zu spät beantragt worden. Bei der in § 160a Abs 2 Satz 2 SGG enthaltenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor deren Ablauf handelt es sich nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist (vgl zur entsprechenden Vorschrift in § 116 Abs 3 Satz 4 FGO: - juris RdNr 3 mwN). Wenn ein Kläger wegen eines unvermeidlichen Büroversehens in der Sphäre seines Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für seine Beschwerde rechtzeitig an das BSG zu übermitteln, entschuldigt dies nicht deren Versäumung, sondern nur die - insoweit unerhebliche - rechtzeitige Stellung des Verlängerungsantrags (vgl - juris RdNr 3 mwN). Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 2 SGG soll demgegenüber gerade verhindern, dass ein Wiedereinsetzungsantrag insoweit erforderlich werden könnte (vgl - juris RdNr 4 mwN).

8Die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde ist schließlich dessen unbeschadet nicht wegen eines Büroversehens entschuldbar. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers davon ausgegangen sein sollte, dass sein Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist abgesandt worden ist, so hätte er zumindest bei Gericht nachfragen müssen, ob mit einer Verlängerungsbewilligung zu rechnen sei (vgl B 7a AL 234/05 B - juris RdNr 3 mwN). Der Prozessbevollmächtigte hätte angesichts des Umstandes, dass seitens des BSG trotz des nach seinen Angaben bereits mit Schriftsatz vom gestellten Verlängerungsantrags keinerlei Reaktion (Verlängerungsbewilligung durch die Vorsitzende, Rückfrage, Auflage oÄ) erfolgt war, unter entsprechender Unterrichtung seiner Vertretung bei urlaubsbedingter Abwesenheit (vgl Beschluss vom - B 5 RE 6/18 B - juris RdNr 11 mwN) unbedingt rechtzeitig vor Ablauf der zu verlängernden Begründungsfrist, also vor dem (s Senatsbeschluss in dieser Sache vom ) bei der Geschäftsstelle nachfragen müssen, welche Hinderungsgründe der begehrten Entscheidung entgegenstünden und ob überhaupt mit einer Verlängerungsbewilligung zu rechnen sei.

9Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist zwar darauf hin, dass die Arbeitsanweisungen in seiner Kanzlei für die dortigen Fachkräfte im Fall einer Fristverlängerung Sicherungsmaßnahmen vorsehen, die die Einholung einer Einzelanweisung bei fehlender Fristverlängerung am Tag des Fristablaufs vorsehen. Dies sei jedoch unterblieben, weil im Fristenkalender "Fristverlängerung beantragt" vermerkt worden und die betreffende Fachkraft sich sicher gewesen sei, den Fristverlängerungsantrag gefaxt zu haben. Dass sie aufgrund der nicht gestrichenen Frist nochmals hätte Rücksprache mit dem urlaubsvertretenden Rechtsanwalt hätte nehmen müssen, sei ihr nicht bewusst gewesen. Diesem sei seitens der Fachkraft hinsichtlich der Frist mitgeteilt worden, "dass die Fristverlängerung entsprechend des Vermerks im Fristenkalender am versandt wurde und erledigt sei". Dieses Vorbringen belegt jedoch kein entschuldbares Büroversehen, sondern spricht für eine Unkenntnis der Fachkraft über den Arbeitsablauf im Falle einer Fristverlängerung, die auch nach der Arbeitsanweisung nicht durch eine bloße Antragstellung erledigt wird. Dass dies der Bürofachkraft nicht bewusst war, stellt ein Organisationsverschulden wegen fehlerhafter Unterweisung bzw Kontrolle dar. Dieses Verschulden muss sich der Kläger als Verschulden seines Bevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser war verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist nicht notwendig wird (vgl 5a RKn 8/81 - SozR 1500 § 67 Nr 16 S 39 f mwN).

10Tatsächlich ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom nach Ablauf der Begründungsfrist ohne eine entsprechende Nachfrage zur Verlängerungsbewilligung oder Eingang eines Fristverlängerungsantrags abgegeben worden. Bei Beachtung dieser jeder gewissenhaften prozessführenden Person einsichtigen Vorsichtsmaßnahmen wäre es aller Voraussicht nach nicht zu der Fristversäumung gekommen (vgl insoweit auch - juris RdNr 4).

11Einer nachträglichen Entscheidung der Vorsitzenden über den Antrag auf Verlängerung bedarf es daher nicht (vgl B 7a AL 234/05 B - juris RdNr 3).

12Es bleibt damit beim Beschluss des Senats vom .

13Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:271120BB9V2120B0

Fundstelle(n):
AAAAH-73668