Nichtannahmebeschluss: Zur Beitragspflicht für Abfindungen einer berufsständischen Versorgungseinrichtung gem § 229 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB V (juris: SGB 5) - Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Begründung unzulässig
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 229 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 5
Instanzenzug: Az: B 12 KR 67/14 B Beschlussvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 63/12 Urteilvorgehend SG Dresden Az: S 18 KR 674/11 Gerichtsbescheid
Gründe
1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung für Leistungen einer Pensionskasse nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (im Folgenden: SGB V).
I.
2Die Beschwerdeführerin war zuletzt als Steuerbevollmächtigte selbständig tätig. Sie war ab dem freiwilliges Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse und später auch deren Pflegekasse, ab dem pflichtversichertes Mitglied als Altersrentenbezieherin.
3Die Deutsche Steuerberaterversicherung, nach ihrer Satzung eine berufsständische Versorgungseinrichtung zur Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung der Angehörigen der steuerberatenden Berufe und deren Mitarbeitern in Form von Renten- und Kapitalleistungen, ausgestaltet als Pensionskasse in Form eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (im Folgenden: Steuerberaterversicherung), zahlte der Beschwerdeführerin 2009 eine Kapitalabfindung aus. Die Krankenkasse, zugleich handelnd für die Pflegekasse, stellte die Beitragspflicht für diese Kapitalabfindung nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V fest. Das hiergegen gerichtete Klageverfahren vor den Sozialgerichten blieb erfolglos.
II.
4Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde jedenfalls mangels einer den § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig ist. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
5Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 <19>; 89, 155 <171>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 115, 166 <179 f.>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 123, 186 <234>; 140, 229 <232 Rn. 9>).
61. Die Beschwerdeführerin hat hinsichtlich des aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes weder den zur Prüfung notwendigen Sachverhalt dargelegt noch sich mit der dazu bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGK 13, 372 <380 ff.>; 13, 431 <437 f.>) auseinandergesetzt. In beiden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht auch die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Übergangsregelung verneint.
72. Die Beschwerdeführerin vermag ebenso wenig die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot darzulegen. Ihre Argumentation zeigt eine Entscheidung, die unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wäre oder auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <215 f.>), nicht auf, sondern sie setzt ihre eigene Rechtsauffassung zur Auslegung einfachen Rechts der Auffassung in den angegriffenen Entscheidungen entgegen.
83. Die Beschwerdeführerin hat auch eine mögliche Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeiner Gleichheitssatz nicht substantiiert gerügt.
9a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfGE 138, 136 <180 f. Rn. 122> m.w.N.; stRspr). Vorliegend knüpft der Tatbestand von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V an Vertragsgestaltungen an, auf die der Betroffene durch das Ausüben seiner Wahlmöglichkeiten bei der Altersvorsorge freien Einfluss hat.
10Die Verletzung des Gleichheitssatzes setzt eine unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte voraus. Daher sind von einem Beschwerdeführer konkrete Vergleichsgruppen zu benennen (vgl. BVerfGK 16, 245 <248> m.w.N.) und darzulegen, inwieweit es sich bei den von ihm gebildeten Vergleichsgruppen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt (vgl. BVerfGE 130, 151 <174 f.>). Außerdem muss er sich mit den in den angegriffenen Entscheidungen diskutierten oder naheliegenden sachlichen Gründen für eine Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 131, 66 <82>).
11Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung liegt vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder der Lückenfüllung zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung oder zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Gleichbehandlung von Ungleichem gelangen (vgl. BVerfGE 58, 369 <374>; 69, 188 <205>; 70, 230 <240>; 84, 197 <199>). Könnte der Gesetzgeber ohne Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG eine Rechtslage nicht schaffen, die dem Ergebnis der hier angegriffenen Rechtsprechung entspricht, so verstößt die Rechtsprechung ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGK 18, 99 <102>).
12Bei der Ordnung von Massenerscheinungen steht dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung eine Typisierungsbefugnis zu (vgl. BVerfGE 151, 101 <145 Rn. 113 ff.>). Er ist berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 84, 348 <360>; 145, 106 <146 Rn. 108>), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 63, 119 <128>; 84, 348 <360>; 143, 246 <379 Rn. 362>). Bei der Frage, unter welchen Schwierigkeiten diese Härten vermeidbar wären, sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (vgl. BVerfGE 9, 20 <31 f.>; 151, 101 <146 Rn. 118>).
13b) Die Beschwerdeführerin hat zwar als Vergleichsgruppe in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Rentner, die Leistungen einer privaten Altersvorsorge beziehen, benannt, jedoch sich mit den naheliegenden sachlichen Gründen für die Differenzierung und den Maßstäben, die sich aus den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu Renten aus Direktversicherungen ergeben, nicht hinreichend befasst.
14aa) Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Abgrenzung der Vergleichsgruppe, die in Abgrenzung von öffentlich-rechtlich ausgestalteten Versorgungssystemen mit Pflichtmitgliedschaft und privatrechtlich ausgestalteten Systemen mit einer vergleichbaren gesetzlichen Regelungsdichte auf privatautonomen Belieben unterliegende sonstige Alterssicherungen, die nicht von § 229 Abs. 1 SGB V erfasst seien (etwa jede beliebige private Lebensversicherung), abstellt, vermag nicht zu überzeugen. Auch privatrechtlich organisierte Pensionskassen unterliegen zahlreichen allgemeinen Vorgaben namentlich des Versicherungsvertragsgesetzes. Vorgaben des Betriebsrentengesetzes können aufgrund der tatbestandlichen Ausgestaltung lediglich in § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V Berücksichtigung finden, jedoch nicht bei der Auslegung von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V in Abgrenzung zu privater Altersvorsorge.
15bb) Die Beschwerdeführerin hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht die institutionelle Abgrenzung im Rahmen von § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bereits grundsätzlich gebilligt hat (vgl. BVerfGK 18, 4 ff.; 18, 99 ff.) und weshalb das hierfür maßgebliche Argument eines formal einfach zu handhabenden Kriteriums (vgl. BVerfGK 18, 4 <9>; 18, 99 <103>) nicht auf § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V übertragen werden kann, obwohl es im dortigen Tatbestand angelegt ist. Den beruflichen Bezug ihrer Kapitalauszahlung, der die Beitragspflicht auf Versorgungsbezüge aufgrund des Solidaritätsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt (vgl. BVerfGE 79, 233 <237 f.>), hat sie nicht entkräftet. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Zahlungen aus Direktversicherungen beinhalten indes keine Differenzierung nach der die Einzahlung finanzierenden Person. Die Beschwerdeführerin hat sich zwar auf den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1660/08 - (BVerfGK 18, 99 ff.) bezogen, jedoch dessen Inhalt verkannt und keine vergleichbare Konstellation, die dem Verlassen des institutionellen Rahmens des Betriebsrentenrechts entsprechen könnte, dargelegt.
16Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
17Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20200617.1bvr113415
Fundstelle(n):
TAAAH-54125