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Grundlagen - Stand: 26.03.2020

Jahresabschlussanalyse 10: Krisenwarnfunktion von Kennzahlen

Prof. Dr. Mathias Graumann

In zwölf Grundlagen-Beiträgen werden anhand eines durchgängigen Fallbeispiels Ideen, Methoden, praktische Umsetzung sowie die besonders wichtige Interpretation der Kennzahlen praxisnah erläutert.

Hinweis:

Dieser Teil enthält ausschließlich das vom Verfasser konzipierte, im Hinblick auf den Krisenfall für das Jahr 20t2 modifizierte Fallbeispiel aus Kapitel IV. unter Verweis auf einschlägige Rechtsnormen bzw. Standards. Aus diesem Grund wird in diesem Teil auf die Angabe von Fußnoten und Quellen verzichtet.

1. Modifizierte Fallbeispiel im Krisenfall

1.1 Krisenursachen und Krisenchronologie

820Ziel dieses Abschnitts ist es, abseits der bei mittelständischen Unternehmen nur schwer vermittelbaren neuronalen Netze oder Diskriminanzanalysen, die Krisenwarnfunktion der in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Jahresabschlusskennzahlen praxistauglich zu illustrieren. Hierfür wird das in Kapitel IV. dargestellte Fallbeispiel in ein Krisenszenario überführt. Das verfügbare Repertoire an mathematisch-statistischen Instrumenten wird im folgenden Kapitel vorgestellt.

821Krisen sind selten nur auf eine Ursache zurückzuführen. Erst die Kombination mehrerer Auslöser, die sich oftmals wechselseitig verstärken, gefährdet ein Unternehmen. Bei den innerbetrieblichen Ursachen sind meist Managementfehler und eine mangelnde Eigenkapitalausstattung maßgebliche Gründe. Erstere betreffen i. d. R. die Geschäftsführung bzw. Organisation, Kalkulationsfehler, die Investitionspolitik sowie das Produktprogramm.

822Bei der Unternehmensführung wirken sich vor allem eine mangelhafte Unternehmerqualifikation, ungenügende Führungskenntnisse und ein unzureichender Informationsstand negativ aus. Krisenursachen im Absatzbereich resultieren aus einer Vernachlässigung bzw. Unterschätzung der Marktrisiken, einer falschen Marktbeurteilung, einer unzureichenden Produktpalette und Problemen aus der Auftragsstruktur (z. B. Bindung an einen Großkunden). Weitere Schwachstellen sind eine schlechte Akquisitionstätigkeit, eine fehlerhafte Preisgestaltung, Mängel in der Distribution und im Service sowie zu hohe Vertriebskosten.

823Im Bereich der Produktion sind vor allem Kapazitätsprobleme und eine unrationelle Produktionstechnik krisenfördernd. Bei der Beschaffung liegen häufige Schwachstellen vor allem in falschen bzw. zu wenigen Beschaffungsquellen sowie nicht marktgerechten Beschaffungspreisen und Zahlungsmodalitäten.

824Strategische Krisen betreffen die schleichende Erosion oder auch plötzliche Zerstörung zentraler Erfolgspotenziale des Unternehmens wie Innovativität, Qualität oder Preiswürdigkeit der Leistungen. Sie resultieren z. B. aus einem Verpassen des technologischen Anschlusses oder einer nicht zielgruppengerechten Marketingstrategie. Bei operativen Krisen bestehen Mängel vor allem im Bereich der Leistungserstellung, z. B. Abhängigkeiten von Lieferanten, Mängel in der Produktivität oder Fehlkalkulationen.

825Die operative Krise mündet in rückläufige (absolute) Erfolgs- bzw. (relative) Rentabilitätskennzahlen. Hieraus folgen eine Auszehrung der Eigenkapitaldecke und das Erfordernis einer verstärkten Mittelaufbringung im Wege der Fremdfinanzierung. Bei anhaltender Erfolglosigkeit kommt es zum Unvermögen, fällige Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.

1.2 Die Abbildung der Krise im Jahresabschluss

826Grundsätzlich muss es Ziel der Unternehmensanalyse sein, eine Krise bereits im frühest möglichsten Stadium zu erkennen. Dies ist allein anhand jahresabschlussbezogener Informationen nicht möglich, da diese lediglich Spätindikatoren indizieren. Die strategische Krise als Auslöser ist nicht im Jahresabschluss ersichtlich. Insoweit ist naturgemäß die Frühwarnfunktion der Jahresabschlussanalyse eingeschränkt.

827Die sich an die latente strategische Krise anschließende, manifeste Erfolgskrise beginnt am point of sale und ist mit einem Rückgang der Umsatzerlöse quantifizierbar. Im Beispiel soll angenommen werden, dass die Umsatzerlöse um 10 % gegenüber Vorjahr sinken.

828Bei häufig vorzufindenden Abstimmungsschwächen zwischen Absatz- und Produktionsplanung wird zumindest zeitweise „auf Halde“ produziert. Im Beispiel sollen die Vorräte um 11 % steigen. Mit Zeitverzögerung wird versucht, die Lagerbestände durch für den Kunden günstigere AGB zu reduzieren. Im Beispiel wird unterstellt, dass die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen um 12,5 % gegenüber Vorjahr zunehmen. Hierbei handelt es sich noch um vergleichsweise „harmlose“ Szenarien.

829Im nächsten Schritt wird von Seiten des Managements versucht, das Anlagevermögen und damit die Kapitalbindung sowie die daraus resultierenden Leerkosten zu reduzieren.

830Aufgrund der mangelnden Fungibilität des Anlagevermögens (mit Ausnahme von Immobilien und Finanzanlagen, die aber krisenbedingt ebenfalls einem Wertverfall unterliegen dürften) wird das nur schwer möglich sein, insbesondere, wenn branchenweite Überkapazitäten existieren. Gebrauchte Sachanlagen werden in der Krise nur schwer einen Abnehmer finden. Somit wird zumeist der Effekt aus dem Aufbau des working capital überwiegen. Selbst in der Krise steigt somit die Bilanzsumme.

831Auf der Passivseite sinkt verlustbedingt das Eigenkapital bei gleichzeitig steigender Bilanzsumme. Somit muss das Fremdkapital überproportional zunehmen. In der Krise werden bonitätsbedingt die Kreditinstitute nur zögerlich langfristige Kredite ausreichen, so dass das akquirierte Fremdkapital weit überwiegend (im nachfolgenden Beispiel zur Gänze) kurz befristet ist.

832Auf der Ertrags- und Aufwandsseite soll im best case unterstellt werden, dass es gelingt, die Materialaufwendungen proportional zum Umsatz um 10 % gegenüber Vorjahr zur reduzieren, die sonstigen betrieblichen Aufwendungen sogar überproportional um 12,5 %. Bei letzteren handelt es sich vielfach um kurzfristig abbaubare Werbe- und Beratungsaufwendungen, Reisekosten oder Spesen.

833Der Personalaufwand soll nur um geringfügige übertarifliche Benefits um 2 % reduziert werden können. Die Abschreibungen bleiben konstant. Die Zinsaufwendungen nehmen aber zu, da einerseits das zinslastige Kapital zunimmt und andererseits bonitätsbedingt der Zinssatz steigt.

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