BFH Beschluss v. - XI B 123/17

Verfahrensmangel bei fehlerhafter Abweisung einer Klage durch Prozessurteil anstatt durch Sachurteil; Gegenstand der Anfechtungsklage nach außergerichtlichem Rechtsbehelf

Leitsatz

1. NV: Wird über eine Klage aufgrund der fehlerhaften Annahme, es liege kein anfechtbarer Verwaltungsakt vor, durch Prozessurteil entschieden, liegt darin ein Verfahrensmangel.

2. NV: Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, liegt auch dann vor, wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch die Einspruchsentscheidung aus einer möglicherweise schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht.

Gesetze: AO § 118 Satz 1; FGO § 40 Abs. 1; FGO § 44 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 116 Abs. 6;

Instanzenzug: (EFG 2017, 1052)

Tatbestand

I.

1 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) führt bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, eine Außenprüfung u.a. wegen Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer für die Besteuerungszeiträume 2008 bis 2012 durch. Im Rahmen dieser Prüfung legte die Klägerin die vom FA erbetene Verrechnungspreisdokumentation bezüglich bei ihrer niederländischen Muttergesellschaft eingekaufter Produkte vor. Diese Produkte hatte die Muttergesellschaft ihrerseits von der Schwestergesellschaft (X) der Klägerin mit Sitz in Hongkong bezogen. Das FA verlangte von der Klägerin streitgegenständlich einerseits mit Schreiben vom die Vorlage u.a. von Bilanzen und Gewinnermittlungen der X sowie von Berechnungen des Inhalts, welche Gewinngröße aufgeteilt worden und wie dieser Gewinn tatsächlich auf X und die Klägerin verteilt worden sei, andererseits mit Schreiben vom die Vorlage weiterer Unterlagen bezüglich der „Asian Sourced Products“. Die gegen die Vorlageverlangen eingelegten Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

2 Das Finanzgericht (FG) wies die betreffende Klage als unzulässig ab. Bei den Auskunfts- bzw. Vorlageverlangen des FA handele es sich nicht um anfechtbare Verwaltungsakte.

3 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision. Sie macht geltend, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) sowie wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

Gründe

II.

4 Der beschließende Senat ist zur Entscheidung der vorliegenden Streitsache berufen.

5 Gemäß Teil A Ergänzende Regelungen Nr. III.2. Satz 1 des Geschäftsverteilungsplans (GVPl) des Bundesfinanzhofs (BFH) für das Jahr 2018 entscheiden die Fachsenate grundsätzlich auch über Fragen der Abgabenordnung (AO) und der FGO; ist —wie vorliegend— eine Entscheidung angefochten und sind ausschließlich Fragen der AO oder FGO streitig, die mehrere Steuern betreffen, welche nach den Regelungen über die Zuständigkeit der einzelnen Senate in die Zuständigkeit mehrerer Senate fallen, ist gemäß Nr. III.2. Satz 3 i.V.m. Nr. II.2. Buchst. a Doppelbuchst. bb des GVPl des BFH der Senat zuständig, in dessen Aufgabengebiet die Sache mit dem höchsten Streitwert fällt.

6 Der erkennende Senat ist gemäß Teil A XI. Senat Nr. 2 des GVPl des BFH für das Jahr 2018 zuständig für Körperschaftsteuer mit Ausnahme der —vorliegend jeweils nicht einschlägigen— Nr. 1 bis 3 beim I. Senat, der Nr. 2 beim IV. Senat und der Nr. 2 beim V. Senat. Die Körperschaftsteuer bildet bei der Außenprüfung der Klägerin den Prüfungsschwerpunkt, worauf die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung der betreffenden verfahrensrechtlichen Fragen gründet.

III.

7 Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Zwar ist die Rüge der Klägerin, sie sei entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden, unbegründet; das angefochtene Urteil leidet aber an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, da das FG die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen hat.

8 1. Das FG war bei der Entscheidung der Streitsache vorschriftsmäßig i.S. des § 119 Nr. 1 FGO besetzt.

9 a) Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für diesen Zeitpunkt geltende GVPl des Gerichts; er regelt konstitutiv die Zuständigkeit des Spruchkörpers (vgl. z.B. , BFH/NV 2018, 205, Rz 4, m.w.N.).

10 b) Aus dem GVPl des FG für das Jahr 2017 ergibt sich hinreichend deutlich, dass der 6. Senat des FG den Streitfall zu entscheiden hatte. Seine (Spezial-)Zuständigkeit folgt aus Teil A I. 6. Senat Nr. 1 i.V.m. Teil B II., III. Satz 1 des GVPl des FG für das Jahr 2017, wonach u.a. auch Maßnahmen betreffend die Außenprüfung zur Spezialzuständigkeit eines Senats —hier für Körperschaftsteuer einschließlich damit in Zusammenhang stehender Umsatz- und Gewerbesteuer— gehören.

11 2. Das FG hat die Klage jedoch zu Unrecht als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, es lägen keine (selbständig anfechtbaren) Verwaltungsakte vor.

12 a) Wird über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden, so liegt darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 119 Nr. 3 FGO), d.h. ein Verfahrensmangel, der auf entsprechende Rüge im Verfahren über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision regelmäßig zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG führt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 180/13, BFH/NV 2014, 1723, Rz 7; vom IV B 85/16, BFH/NV 2018, 51, Rz 2; jeweils m.w.N.).

13 b) Die streitgegenständlichen Vorlage- und Auskunftsverlangen des FA vom 16. April und sind Gegenstand des Verfahrens dergestalt, die sie durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden haben (vgl. § 44 Abs. 2 FGO).

14 Daher bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, wie die Vorlage- und Auskunftsverlangen ursprünglich rechtlich einzuordnen waren, wobei im Umfeld von Außenprüfungen die Grenze zwischen reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und Verwaltungsakten nicht immer eindeutig zu ziehen ist (vgl. , BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, Rz 33). Denn das FA hat mit Einspruchsentscheidung vom den betreffenden Vorlage- und Auskunftsverlangen die Gestalt eines Verwaltungsakts gegeben, indem es die entsprechenden Einsprüche nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt hat, die betreffenden Ermittlungshandlungen seien rechtmäßig gewesen (vgl. allgemein in ständiger Rechtsprechung , BVerwGE 78, 3, Buchholz 310 § 79 VwGO Nr. 23, Rz 9; , Buchholz 232.01 § 15 BeamtStG Nr. 2).

15 Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, liegt daher auch dann vor, wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid —hier die Einspruchsentscheidung— aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht (, Sozialrecht 3-4100 § 34 Nr. 4; BVerwG-Beschluss in Buchholz 232.01 § 15 BeamtStG Nr. 2; jeweils m.w.N.).

16 3. Auf die Frage nach der schlüssigen Rüge und dem Vorliegen weiterer Revisionszulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 FGO kommt es unter den gegebenen Umständen nicht (mehr) an.

17 4. Der Senat hält es für sachgerecht, im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemäß § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:B.111218.XIB123.17.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 174 Nr. 6
BFH/NV 2019 S. 565 Nr. 6
IStR 2019 S. 670 Nr. 16
VAAAH-13435