Kein verfassungsrechtlicher Anspruch eines bargeldintensiven Betriebs auf nur teilweise Besteuerung der Bareinnahmen im Veranlagungszeitraum
2015 wegen eines strukturellen Erhebungsdefizits bei der Besteuerung bargeldintensiver Geschäftsbetriebe wie z. B. Gaststätten
und Hotels
Leitsatz
1. Die Besteuerung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 15 EStG) im Jahr 2015 ist verfassungsgemäß.
Es besteht bezüglich der Erfassung von Bareinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb bei bargeldintensiven Betrieben
(im Streitfall: Betreiberin von mehreren Gaststätten und Hotelbetrieben) – trotz bestehender Probleme bei der Erhebung und
Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven Geschäftsbetriebe, z. B. infolge manipulierbarer
Kassen – kein strukturelles Vollzugsdefizit. Eine „Gleichheit im Unrecht” und damit einen Anspruch auf Fehlerwiederholung
bei der Rechtsanwendung gibt es nicht (vgl. BVerfG-Rspr.).
2. Die bestehenden Möglichkeiten zur Manipulation von Kassenaufzeichnungen stellen ein ernstzunehmendes Problem für den gleichmäßigen
Steuervollzug dar. Anders als früher bei der Zinsbesteuerung liegt aber bei der Besteuerung gewerblicher Einkünfte kein Widerspruch
zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und einer nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel
vor. Vielmehr liegt im Bereich der Gewinneinkünfte, zu denen auch die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gehören, eine normative
Gestaltung vor, die gerade auf die Durchsetzung der pflichtbegründenden Steuernorm abzielt. Es besteht im Bereich der Einkünfte
aus Gewerbebetrieb auch ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko bei Manipulationen, z. B. durch umfangreiche Erklärungspflichten,
anonyme Anzeigen, Kassennachschau, Vergleiche mit Vorjahren oder Richtsätzen, Kontrollmitteilungen, Umsatzsteuer-Nachschau
und Außenprüfungen.
3. Die Besteuerung der vollständigen Einnahmen aus bargeldintensiven Betrieben wird nicht aus politischen Gründen nicht vollzogen.
Das vorhandene Vollzugsdefizit liegt im Tatsächlichen und lässt sich dem Gesetzgeber nicht zurechnen.
4. Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen neue Regelungen zur Durchsetzung
des Steueranspruchs geschaffen. Insoweit steht ihm eine Anlaufphase zu, innerhalb derer er die Wirksamkeit der neu geschaffenen
Regelungen prüfen und ggf. auftretende Umsetzungsprobleme beseitigen kann. Dies umfasst auch die Prüfung, ob und in welchem
Ausmaß die sog. „Flucht in die offene Ladenkasse” in der Praxis tatsächlich erfolgt und ob die gesetzlichen Maßnahmen zur
Beseitigung vorhandener Erhebungsprobleme bei bargeldintensiven Betrieben geeignet und ausreichend sind.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): BBK-Kurznachricht Nr. 12/2019 S. 571 EFG 2019 S. 173 Nr. 3 EStB 2019 S. 143 Nr. 4 GStB 2019 S. 215 Nr. 6 PStR 2019 S. 25 Nr. 2 StB 2020 S. 179 Nr. 6 SAAAH-08771
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Online-Dokument
FG Baden-Württemberg, Urteil v. 12.06.2018 - 8 K 501/17
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