BSG Beschluss v. - B 13 R 25/18 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - vermeintlicher Verstoß des LSG gegen § 123 SGG)

Gesetze: § 123 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 133 BGB

Instanzenzug: SG Schleswig Az: S 21 R 1/12 Gerichtsbescheidvorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Az: L 5 R 25/15 Urteil

Gründe

1I. Im Streit steht eine Entscheidung der Beklagten über eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens.

2Die Beklagte hatte der Klägerin die Zusage erteilt, dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bewilligen. Im März 2011 beantragte die Klägerin alsdann derartige Leistungen in "Form" eines Ausbildungskostenzuschusses für die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau im Reisebüro "R.". Dies lehnte die Beklagte ab. Nach hiergegen gerichteten ebenfalls erfolglosen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und Widerspruchs hat die Klägerin vor dem SG im Hauptsacheverfahren beantragt, "… die Beklagte unter Aufhebung … zu verpflichten, den Antrag … auf Gewährung eines Ausbildungszuschusses für eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden". Als das Reisebüro "R." im Jahr 2013 sein Ausbildungsangebot zurückzog, hat die Klägerin ihren Klageantrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr, "… festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid … ermessenfehlerhaft war". Diesem Begehren hat das ) stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das ) den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen.

3Gegen Letzteres wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie rügt einen Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

4II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung genügt nicht der vorgeschriebenen Form. Sie hat den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

5Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für dessen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.

6Die Klägerin rügt einen Verstoß des LSG gegen § 123 SGG, denn das LSG habe mit seiner Auslegung ihrer beiden Anträge aus dem Klageverfahren den Streitgegenstand verkannt. Sie hat das Vorliegen der einen derartigen Verfahrensfehler begründenden Tatsachen jedoch nicht hinreichend dargebracht.

7Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger (Klägerin) erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; Schmidt, aaO, § 112 RdNr 8). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen (vgl etwa 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65, juris RdNr 11). Dabei ist unter Heranziehung von § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen. Zugrunde zu legen sind insoweit der Wortlaut des Begehrens, aber auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind (vgl nur - juris RdNr 21; - SozR 4-1500 § 158 Nr 2 juris RdNr 1). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger (Klägerin) aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16). Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht ( - BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11, RdNr 15). Bei einem Rechtsanwalt oder anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist allerdings in der Regel anzunehmen, dass der Wortlaut des Antrags das wirklich Gewollte wiedergibt ( B 10 ÜG 29/13 B - juris RdNr 12).

8Die Beschwerdebegründung der Klägerin lässt bereits Darlegungen dazu vermissen, dass das LSG ihr Klagebegehren entgegen dem Wortlaut der Anträge verkannt haben soll.

9Sie bringt vor, ihr ursprünglicher Antrag sei auf die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung im Hinblick auf die Gewährung eines Ausbildungszuschusses für eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet gewesen. Nach der Aufgabe des Ausbildungsangebots durch das Reisebüro "R." habe sie dieses Begehren in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gewandelt, verbunden mit der Feststellung, dass der Ausgangsbescheid ermessensfehlerhaft gewesen sei, weil für den mit der Klage ursprünglich verfolgten Anspruch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Dass das LSG den ersten Antrag, den sie ausdrücklich in ein Verpflichtungsbegehren gekleidet hat, nicht als solches angesehen und behandelt hat, behauptet sie zwar. Dies widerspricht jedoch der von ihr selbst wiedergegebenen Entscheidungsbegründung des LSG. Sie führt ausdrücklich aus, das LSG habe ihren Antrag als "Verpflichtungsantrag" ausgelegt.

10Soweit sie vorbringen will, das LSG habe diesen Antrag entgegen ihres Begehrens einengend auf die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung über einen Ausbildungszuschuss für eine Ausbildung beim Reisebüro "R." ausgelegt, mangelt es an Darlegungen dazu, dass das LSG damit das wirklich von ihr Gewollte verfehlt hat. Insoweit genügt es angesichts der von ihr selbst dargestellten Begründung des LSG, insbesondere dessen Hinweis auf den Verfahrensgang und die Hintergründe des Rechtsstreits nicht vorzubringen, als anwaltlich Vertretene sei allein auf den Wortlaut des Antrags abzustellen. Rechtsprechung und Literatur gehen zwar davon aus, dass ein von einem Rechtsanwalt formulierter Antrag in der Regel das Gewollte zutreffend wiedergibt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; B 10 ÜG 29/13 B - juris RdNr 12). Andererseits schließt nicht allein der Umstand der anwaltlichen Vertretung eine an § 133 BGB orientierte Auslegung des Begehrens aus ( - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 - juris RdNr 24; Giesbert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 123 SGG RdNr 20), zumindest dann, wenn die gewählte Formulierung - wie hier - nicht eindeutig ist (vgl - SozR 4-1500 § 92 Nr 4 RdNr 11; - juris RdNr 25).

12Soweit die Beschwerdeschrift so zu verstehen sein sollte, dass das LSG das Begehren nicht mit der Begründung hätte ablehnen dürfen, es bestehe ein Ermessensspielraum, beträfe dies die materielle Richtigkeit der Entscheidung des LSG und kann nicht zum Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde führen.

13Schlussendlich mangelt es in der Beschwerdebegründung an Darlegungen zum Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensfehler. Es finden sich in der Beschwerdeschrift keinerlei Ausführungen zu dem bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage zwingend erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Insoweit hätte die Klägerin darlegen müssen, auch wenn sich das LSG unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung nicht dazu verhalten musste, dass und aus welchen Gründen es dieses hätte bejahen müssen und eine Revision zum Erfolg für sie führen könne.

14Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

15Der Klägerin kann für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht gewährt werden (vgl § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO), weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie bereits ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

16Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:090119BB13R2518B0

Fundstelle(n):
HAAAH-06906