BSG Beschluss v. - B 11 AL 25/22 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - fehlende Bestellung eines besonderen Vertreters - Vorliegen von Prozessunfähigkeit - Geschäftsunfähigkeit

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 72 Abs 1 SGG, § 104 Nr 2 BGB, § 105 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: S 73 AS 2301/19GeBvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 11 AL 80/20 Urteil

Gründe

11. Nach § 72 Abs 1 SGG kann für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormunds, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren ein besonderer Vertreter bestellt werden. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil der Kläger prozessfähig ist.

2Ein Beteiligter ist prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs 1 SGG). Daran fehlt es ua bei Personen, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 105 Abs 1, § 104 Nr 2 BGB). Prozessunfähigkeit setzt also die Aufhebung freier Willensbestimmung voraus, die auf anhaltende psychische Störungen erheblichen Ausmaßes zurückzuführen sein muss; solche psychischen Störungen sind möglichst exakt zu beschreiben und bedürfen der Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen (ausführlich dazu letztens - vorgesehen für SozR 4-1500 § 71 Nr 4 RdNr 10 ff mwN). Wie der mit dem erkennenden Senat personengleich besetzte 4. Senat des BSG in jüngerer Zeit bereits mehrfach entschieden hat ( BH und B 4 AS 63/22 BH, , ), liegen bei dem Kläger entsprechende psychische Störungen und damit Prozessunfähigkeit nicht vor. Seiner Einschätzung legt der Senat die dem Kläger bekannten medizinischen Gutachten vom , und zugrunde, aufgrund derer sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt sieht. Eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands macht der Kläger nicht geltend. Eine solche Verschlechterung ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Hierauf ist der Kläger bereits in den Parallelverfahren hingewiesen worden.

3Mit der seine Prozessfähigkeit bejahenden Rechtsprechung des 4. Senats setzt sich der Kläger weder auseinander, noch benennt er medizinische Befunde, die seine gegenteilige Annahme stützen würden. Die bloße Schilderung des bisherigen Prozessverhaltens ist demgegenüber nicht aussagekräftig, um daraus eine spezifische psychische Beeinträchtigung abzuleiten. Dass der Kläger im bisherigen Verfahren - ebenso wie in zahlreichen Parallelverfahren - Schwierigkeiten hatte, seine Rechtspositionen adäquat geltend zu machen, begründet zwar fachkundigen Vertretungsbedarf, stellt aber seine Prozessfähigkeit nicht infrage (vgl auch hierzu - vorgesehen für SozR 4-1500 § 71 Nr 4 RdNr 18 mwN). Der Vortrag, es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger eine Vielzahl von Klagen aus querulatorischen Gründen erhoben habe, und er müsse deshalb prozessunfähig sein, überzeugt ebenfalls nicht.

42. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht in der gebotenen Weise bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

5Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

6Die Beschwerde macht zum einen geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft trotz Prozessunfähigkeit des Klägers ohne Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs 1 SGG entschieden. Insoweit fehlt es schon - anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen zur Prozessfähigkeit des Klägers - an der erforderlichen substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen der Kläger prozessunfähig gewesen sein sollte.

7Auch soweit zum anderen die Beschwerde als Verfahrensfehler geltend macht, das LSG habe gegen § 123 SGG verstoßen, weil über einen Anspruch des Klägers nicht entschieden worden sei, fehlt es an einer ausreichend substantiierten Begründung (vgl zu den in diesem Punkt bestehenden Anforderungen etwa - RdNr 6 ff). Die Rüge bezieht sich auf den klägerischen Antrag festzustellen, dass er in den Jahren 2017 bis 2019 in einem Versicherungspflichtverhältnis zu der Beklagten zu 2. gestanden und dadurch die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Das LSG habe die Feststellungsklage zu Unrecht als unzulässig angesehen, weil es fälschlicherweise davon ausgegangen sei, auch dieser Antrag sei erstmalig klageerweiternd im Berufungsverfahren gestellt worden. Damit fehle es seinem Urteil zugleich an diesbezüglichen Entscheidungsgründen. Dieser absolute Revisionsgrund (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO) ist schon deshalb nicht dargetan, weil der Kläger die - vermeintlich falsche - Begründung selbst wiedergibt. Im Übrigen kann dahinstehen, ob der klägerische Vortrag nicht eher den Vorwurf rechtfertigen würde, das LSG habe verfahrensfehlerhaft ein Prozessurteil anstelle eines Sachurteils erlassen (hierzu etwa - juris RdNr 2 mwN). Denn zumindest erschließt sich aufgrund der Beschwerdebegründung nicht, warum die Entscheidung des LSG auf einem solchen Verfahrensmangel beruhen könnte. Es wird nicht deutlich, warum der angesprochene Feststellungsantrag - neben der Anfechtungs- und Leistungsklage bezüglich der Gewährung von Arbeitslosengeld - zulässig gewesen sein sollte. Insoweit zeigt die Beschwerdebegründung weder ein Feststellungsinteresse auf noch lässt sie erkennen, warum im vorliegenden Fall ausnahmsweise ein anspruchsbegründendes Merkmal eines (ggf künftigen) Rechtsverhältnisses Gegenstand einer zulässigen Elementenfeststellungsklage (dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 55 RdNr 9 f mwN) sein sollte.

8Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil diese nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 SGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:010323BB11AL2522B0

Fundstelle(n):
EAAAJ-43766