Kindergeld für Kind mit zugesagtem Ausbildungsplatz
Leitsatz
Ein Kind ist nicht nur dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG für das Kindergeld zu berücksichtigen, wenn es noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c
Instanzenzug: (EFG 2000, 445) (Verfahrensverlauf), , ,
Gründe
I.
Der 1975 geborene S, der Sohn des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), war im Streitjahr 1998 bis zum 31. Mai als kaufmännischer Angestellter nichtselbständig tätig. Von Juni bis zum 14. September war er arbeitslos. Ab dem 15. September besuchte er die Staatliche Berufsfachschule für .... Für den Schulbesuch hatte S sich zunächst am anmelden wollen. Die Anmeldung war jedoch erst ein halbes Jahr vor Unterrichtsbeginn, also im März 1998, möglich. Als S im März 1998 erneut bei der Schule vorsprach, wurde ihm mitgeteilt, dass seine Daten noch von seinem Besuch im Januar gespeichert seien und er als angemeldet gelte.
Die Einnahmen und Bezüge des S im Jahr 1998 beliefen sich auf 17 826,38 DM. Davon entfielen 10 008,00 DM auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für die Monate Januar bis Mai 1998. In Höhe von 3 691,38 DM hatte er Arbeitslosengeld für die Monate Juni bis September 1998 erhalten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) lehnte mit Bescheid vom den Antrag des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld für S von März bis Dezember 1998 wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrages des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab. Der Einspruch des Klägers gegen den Bescheid hatte keinen Erfolg. Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass S aufgrund seiner Anmeldung bei der Berufsfachschule am ab Januar 1998 als ausbildungswilliges Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG anzusehen sei mit der Folge, dass die Einkünfte des S ab Januar 1998 zu berücksichtigen seien. Nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrages gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG sowie der Kostenpauschale von 360 DM ergaben sich danach Einkünfte und Bezüge des S in Höhe von 15 466,38 DM. Der Jahresgrenzbetrag von —im Streitjahr— 12 360 DM war damit nach Ansicht des Beklagten überschritten.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 445 veröffentlichten Gründen für die Monate September bis Dezember 1998 statt. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Er macht geltend, dass es nicht sachgerecht sei, die Ausbildungswilligkeit des S mit dem Beginn der Ausbildung (September 1998) gleichzusetzen. Ein Kind sei vielmehr ausbildungswillig, sobald es seinen Ausbildungswillen nach außen kundgebe. Dies sei nicht bereits mit Einholen von Informationen über einen Ausbildungsgang (Januar 1998) der Fall, wohl aber mit der Anmeldung an einer Schule.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin gehend abzuändern, dass der Beklagte verpflichtet wird, ihm Kindergeld für S auch für die Monate April bis August 1998 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet, soweit sie den Anspruch auf Kindergeld für die Monate April und Mai 1998 betrifft. Insoweit war sie zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld für die Monate Juni bis August 1998 ist die Revision begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Bescheides des Beklagten (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
1. Für die Monate April und Mai 1998 steht dem Kläger kein Kindergeld für S zu, weil dieser noch einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging. Nach ständiger Rechtsprechung schließt die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes eine Berücksichtigung für das Kindergeld aus, weil es an der typischen Unterhaltssituation der Eltern fehlt (, BFHE 197, 383, BStBl 2002, 484; vom VI R 174/00, BFH/NV 2002, 338; VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl 2002, 481; vom VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473; vom VIII R 90/01, BFH/NV 2002, 1023; vom VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551).
2. Für die Monate Juni bis August 1998 hat der Kläger hingegen Anspruch auf Kindergeld für S. S war in dieser Zeit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als ein Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann, für das Kindergeld zu berücksichtigen.
Ein Mangel eines Ausbildungsplatzes im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn das Kind noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (ebenso , EFG 1999, 298; , EFG 1999, 781; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2 K 597/98, EFG 2000, 797; , EFG 2001, 1301; Berlebach, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rn. 79; Greite in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rz. 50; Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz. 89; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 32 EStG Anm. 104; a.A. , EFG 1999, 298; Jachmann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rn. C 27).
a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Ein Kind, dem ein Ausbildungsplatz ab September eines Jahres zugesagt worden ist, kann in den Monaten zuvor seine Ausbildung nicht beginnen oder fortsetzen, weil es —noch— nicht über einen Ausbildungsplatz verfügt.
b) Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat die Vorschrift durch das Gesetz zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie —StSenkG 1986/88— vom (BGBl I 1985, 1153) deshalb in das EStG (damals: § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG 1986) eingefügt, weil in typisierender Weise davon ausgegangen werden kann, dass regelmäßig Unterhaltsaufwendungen für ein Kind erwachsen, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (BTDrucks 10/2884, S. 102 f.).
c) § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist auch nicht dahin gehend einschränkend zu interpretieren, dass die Vorschrift nur dann greift, wenn die Zeitspanne zwischen der Zusage des Ausbildungsplatzes und dem Ausbildungsbeginn mehr als vier Monate beträgt. Die Viermonatsfrist des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat auf die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nämlich keinen restriktiven Einfluss (ebenso FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil in EFG 2000, 797; FG Berlin, Urteil in EFG 2001, 1301, und Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes —DA-FamEStG— 63.3.4 Abs. 3 Beispiel 2, BStBl I 2002, 366, 369, 395; a.A. Hessisches FG, Urteil in EFG 1999, 781).
Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Auch bewirkt eine solche Auslegung nicht, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ins Leere geht.
aa) In der Begründung zum StSenkG 1986/88 ist ausgeführt, dass ein Kind in der Zeit, in der es eine Ausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann, stets zu berücksichtigen ist (BTDrucks 10/2884, S. 102 f.). Eine zeitliche Begrenzung war nicht vorgesehen.
Hieran hat die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 (vom , BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nichts geändert. Zwar wurde in diesem Zusammenhang der Tatbestand der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG aus dem Bundeskindergeldgesetz in das EStG übernommen. Der Gesetzgeber hat hierdurch aber keine Begrenzung des Tatbestandes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG angestrebt, sondern ausgehend von der Rechtsprechung zur steuerlichen Berücksichtigung eines Kindes während der Berufsausbildung (, BFHE 79, 188, BStBl III 1964, 300, betr. die Behandlung der Ferienzeit) klargestellt, dass ein Kind in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten berücksichtigungsfähig ist (BTDrucks 13/1558, S. 155).
bb) Diese Auslegung führt auch nicht dazu, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in der Zeit vor der Gesetzesänderung durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom (BGBl I 2001, 2074) keine eigenständige Bedeutung hat. Diese Norm stellt nämlich gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG eine vereinfachende Auffangvorschrift dar. Bei einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von nicht mehr als vier Monaten geht der Gesetzgeber typisierend davon aus, dass ein Kind gehindert ist, seine Ausbildung zu einem früheren Zeitpunkt fortzusetzen. Demgegenüber muss ein Kind bei Überschreiten dieser Frist, um nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden zu können, nachweisen, dass es sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, für den es auch objektiv geeignet ist.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 845
BB 2003 S. 2390 Nr. 45
BFH/NV 2003 S. 1643
BFH/NV 2003 S. 1643 Nr. 12
BStBl II 2003 S. 845 Nr. 16
DB 2003 S. 2474 Nr. 46
DStRE 2003 S. 1332 Nr. 22
FR 2003 S. 1293 Nr. 24
INF 2003 S. 889 Nr. 23
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