BFH Beschluss v. - VII B 67/02

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzgericht (FG) ein bei ihm anhängiges Verfahren zu Recht ausgesetzt hat.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) nahm den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für nicht abgeführte Lohn-, Körperschaft- und Umsatzsteuer einer GmbH in Anspruch. Gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ist beim FG seit dem ein Klageverfahren anhängig, über das noch nicht entschieden ist.

Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom setzte das FA die Einkommensteuer für die zusammenveranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) fest. Unter Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuern ergab sich ein Erstattungsbetrag. Unter dem Abrechnungsteil des Einkommensteuerbescheides befindet sich der Hinweis, dass das Guthaben auf ein Konto bei der X-Bank erstattet werde.

Das Guthaben gelangte jedoch nicht zur Auszahlung. Vielmehr erklärte das FA gegen den Erstattungsbetrag die Aufrechnung mit den Haftungsschulden des Klägers.

Auf die Einwendungen der Kläger erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, gegen den Klage erhoben worden ist. Das FG hat das Klageverfahren mit Beschluss ausgesetzt, weil der Rechtsstreit gegen den Haftungsbescheid vorgreiflich sei.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde. Die Klage sei entscheidungsreif. Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des FA sei auf Grund des zwischenzeitlich eingereichten Antrages auf Aussetzung der Vollziehung nicht fällig. Die Aufrechnung könne daher nicht wirksam erklärt werden. Auch habe das FA mit rechtskräftigem Auszahlungsbescheid entschieden, dass das Guthaben an die X-Bank überwiesen werde. Soweit nunmehr eine Aufrechnung erfolgen solle, hätte es einer Änderung dieses Bescheides bedurft, was nicht geschehen und nunmehr nicht mehr möglich sei. Die Vorgreiflichkeit der Haftungsbescheide sei daher nicht relevant.

Die Kläger beantragen, den Beschluss des FG über die Aussetzung des Verfahrens aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens liegen vor.

1. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann ein finanzgerichtliches Verfahren ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.

Eine solche Situation ist im Streitfall gegeben. Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit der Steuererstattungsanspruch der Kläger aufgrund der Einkommensteuerveranlagung 2000 durch Aufrechnung mit Gegenforderungen des FA (Haftungsschulden des Klägers) erloschen ist. Die Entscheidung im Anfechtungsverfahren über den materiell-rechtlichen Bestand der Haftungsbescheide ist vorgreiflich für das vorliegende Verfahren über die Wirksamkeit der Aufrechnung.

Das FA kann —anders als der Steuerpflichtige aufgrund des für das FA nicht anwendbaren § 226 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977)— grundsätzlich auch mit solchen Forderungen aufrechnen, die vom Aufrechnungsgegner bestritten und noch nicht rechtskräftig festgestellt sind; es sei denn, die Gegenforderung beruht auf einem Verwaltungsakt, dessen Vollziehung ausgesetzt worden ist (Senatsurteil vom VII R 58/94, BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55). Die Anfechtung der Haftungsbescheide durch den Kläger stellt daher ebenso wie die beantragte, aber (bislang) nicht gewährte Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide kein (formelles) Aufrechnungshindernis dar. Nach den vom Senat in dem vorgenannten Urteil dargelegten Erwägungen steht die Anhängigkeit eines Aussetzungsantrages der (von der Behörde oder dem Gericht angeordneten) Aussetzung der Vollziehung nicht gleich.

Die Aufrechnung durch die Behörde ist aber nur wirksam (§ 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. §§ 387, 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches), wenn die Gegenforderung materiell-rechtlich besteht, was im Falle der Anfechtung der dieser Forderung zugrunde liegenden Verwaltungsakte erst feststeht, wenn die Anfechtungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind (Senatsurteil vom VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285). Die diese betreffenden Streitverfahren sind mithin gegenüber den Streitverfahren wegen des Abrechnungsbescheides vorgreiflich.

2. Die Aufrechnung ist auch nicht durch den eingangs bezeichneten Hinweis auf dem Einkommensteuerbescheid von vornherein ausgeschlossen. Dieser stellt —anders als die nach § 36 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes vorzunehmende Anrechnung— keine verbindliche Regelung eines Einzelfalls (vgl. § 118 AO 1977) dar. Der Regelungsgehalt des Abrechnungsbescheides erschöpft sich, anders als die Kläger meinen, in der Feststellung, dass den Klägern ein Erstattungsanspruch zusteht. Eine darüber hinausgehende Regelung des Inhalts, dass das FA sich zur Auszahlung verpflichtet und damit eine etwaige Aufrechnung ausschließen will, ist in dem Abrechnungsbescheid nicht enthalten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 444
BFH/NV 2003 S. 444 Nr. 4
FAAAA-71097