USt-Ausweis in einer Rechnung über eine Geschäftsveräußerung
Gesetze: UStG § 1 Abs. 1a
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Vorsteuern aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), die R-GmbH (GmbH), erwarb von Frau N das Lokal ”L”. In der schriftlichen Vereinbarung vom , bei der die GmbH anwaltlich vertreten war, wird als ”Abstandszahlung” für das Lokal (Inventar und den Geschäftswert) ein Betrag von ”86 000 DM inkl. 15% MwSt” ausgewiesen. Die GmbH trat in den Pachtvertrag für die Räume als neue Pächterin ein.
In der unter Mitwirkung eines Steuerberaters angefertigten, am abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 1995 erklärte die GmbH steuerpflichtige Umsätze von 11 595 DM (Steuer 1 793,29 DM) und Vorsteuerbeträge von 12 991,49 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) forderte die GmbH durch ein am zur Post gegebenes Schreiben auf, die Vorsteuern durch Vorlage von Belegen in Kopie nachzuweisen.
Darauf sandte der Prozessbevollmächtigte der GmbH dem FA am eine Kopie über die Vereinbarung der erwähnten ”Abstandszahlung” und beantragte, das Umsatzsteuerguthaben für Juli 1995 nunmehr auszuzahlen. Daraufhin setzte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juli 1995 durch Bescheid vom fest, ohne die in dem Betrag der Abstandszahlung von 86 000 DM enthaltene Umsatzsteuer von 11 217,39 DM als Vorsteuer zu berücksichtigen, weil dieser Betrag in der Vereinbarung vom nicht als Steuerbetrag gesondert ausgewiesen worden war.
Am beantragte die GmbH, die Zahlung rückständiger Umsatzsteuer mit Rücksicht auf das ”Guthaben von 11 217,39 DM” aus der Vereinbarung über den Erwerb des erwähnten Lokals zinslos zu stunden. Zur Begründung legte die GmbH dar, Versuche seien gescheitert, die Verkäuferin zur Ergänzung der Vereinbarung um den Steuerausweis zu veranlassen, weil sie unbekannt verzogen sei. Die Klägerin fügte ihrem Stundungsantrag eine entsprechende Auskunft des Einwohnermeldeamtes aufgrund von Ermittlungen am bei.
Nach einem Aktenvermerk vom hatte das für die Verkäuferin zuständige FA die Umsatzsteuer für 1995 gegen sie aufgrund von geschätzten Besteuerungsgrundlagen festgesetzt, weil sie unbekannt verzogen war.
In der am abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung für 1995 meldete die GmbH keinen Vorsteuerabzug aus dem erwähnten Erwerb des Lokals an.
Den am von der GmbH gestellten Antrag, den Vorsteuerabzug aus dem geschilderten Geschäft aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 i.V.m. Abschn. 202 Abs. 7 der Umsatzsteuer-Richtlinie (UStR) zuzulassen, lehnte das FA durch Bescheid vom ab. Es wies den dagegen gerichteten Einspruch nunmehr gegen die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der GmbH durch die Einspruchsentscheidung vom zurück und führte zur Begründung sinngemäß aus: Die Gewährung des Vorsteuerabzugs wegen sachlicher Billigkeit sei erst in Betracht zu ziehen, wenn eine vollständige oder nachträgliche Beschaffung von Unterlagen nicht möglich oder für den Unternehmer mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden sei. Habe der Unternehmer für die empfangene Leistung keine ordnungsgemäße Rechnung erhalten, finde die Billigkeitsmaßnahme keine Anwendung. Außerdem sei in dem vorgelegten Schriftstück (Vereinbarung vom ) nicht über eine Leistung abgerechnet, sondern nur eine Vereinbarung über eine Abstandszahlung getroffen worden. Die Mängel könnten auch nicht durch Schätzung behoben werden.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA in dem angefochtenen Urteil, im Rahmen des Umsatzsteuerbescheids für 1995 weitere Vorsteuern in Höhe von 11 217,39 DM zu berücksichtigen.
Das FG war der Auffassung, dass ein Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen auch dann zugelassen sei, wenn mit einer Urkunde ohne gesonderten Steuerausweis abgerechnet worden sei. Andernfalls würde gegen das Neutralitätsgebot und damit gegen Ziel und Zweck des Gesetzes verstoßen, wenn die grundsätzlich vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin mit der Umsatzsteuer endgültig belastet werde. Billigkeitsgründe seien gegeben, wenn die Abrechnung ohne gesonderten Steuerbetrag deswegen nicht mehr korrigiert werden könne, weil der Aufenthaltsort des Ausstellers unbekannt sei.
Der Verpflichtung zur Zulassung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen stehe auch nicht entgegen, dass eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung (§ 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1993 —UStG 1993—) vorliege, weil erst aufgrund des (BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695) ein Abzug der nicht geschuldeten Steuer als Vorsteuer als unzulässig erkannt worden sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1250 veröffentlichte Urteil des FG Bezug genommen.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 163 AO 1977 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993. Auf den Ausweis des Steuerbetrages in einer Rechnung könne auch nicht aus Billigkeitsgründen verzichtet werden, wenn diese Voraussetzung bei der Ausstellung der Rechnung ohne weiteres hätte erfüllt werden können. Weil das Fehlen des Steuerbetrages leicht nachprüfbar gewesen sei, hätte die Zahlung des Abstands noch von der Ergänzung der Rechnung abhängig gemacht werden können. Deswegen reduziere sich das Ermessen der Finanzbehörde —was das FG verkannt habe— auf die Ablehnung des Billigkeitsantrags (umgekehrte Ermessensreduzierung auf Null).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat sich nicht geäußert.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Das FG ist in der Vorentscheidung davon ausgegangen, dass eine die Steuer mindernde Berücksichtigung der in dem Kaufpreis für das Lokal enthaltenen, aber nicht gesondert als Steuerbetrag ausgewiesenen Umsatzsteuer der Billigkeit entspreche, weil die Klägerin berechtigt gewesen wäre, den Steuerbetrag als Vorsteuer abzuziehen, wenn er gesondert ausgewiesen worden wäre. Dies trifft jedoch nicht zu.
1. Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuern nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Auch ein Vorsteuerabzugsanspruch kann nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 berücksichtigt werden, wenn seine Nichtberücksichtigung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre (vgl. zur Anwendung von § 163 AO 1977 auf den Vorsteuerabzug , BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; vom V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345; Beschluss vom V B 92/93, BFH/NV 1995, 653).
Im Streitfall ist die Nichtberücksichtigung des begehrten Vorsteuerabzugs nicht unbillig, weil ein Vorsteuerabzug auch dann unzulässig gewesen wäre, wenn ein Steuerbetrag gesondert ausgewiesen worden wäre.
a) Die Vereinbarung vom über die Zahlung des Abstands für das Lokal L beschreibt —wovon auch das FG ausgegangen ist— eine Geschäftsveräußerung i.S. von § 1 Abs. 1a UStG 1993. Die Geschäftsveräußerung ist nicht steuerbar. Umsatzsteuer entsteht nicht.
Wenn sie gleichwohl ausgewiesen worden wäre, hätte sie nicht abgezogen werden dürfen. Als Vorsteuer abziehbar ist nur der für einen Umsatz von Gesetzes wegen geschuldete Steuerbetrag. Dies entspricht richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993 (BFH-Urteil in BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695 im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom Rs. C-342/87 —Genius Holding— Slg. 1989, 4227, 4242, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1990, 113, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1991, 83). Dies gilt nicht erst für Sachverhalte nach der Veröffentlichung der erwähnten Entscheidung des BFH.
b) Die Klägerin kann sich nicht auf § 176 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AO 1977 berufen, weil der in der Vorschrift vorausgesetzte Änderungsbescheid nicht vorhanden ist.
Sie hat auch keinen Vertrauensschutz aufgrund des (UR 1999, 83). Ein derartiger Vertrauensschutz kommt allenfalls dann in Betracht, wenn ein Steueranspruch gegen den Geschäftsveräußerer, der mit gesondertem Steuerausweis abrechnet, wegen des unberechtigten Steuerausweises (§ 14 Abs. 2 UStG 1993, Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG) vorhanden ist. Im Streitfall besteht gegen die Verkäuferin des Lokals kein Steueranspruch, weil sie Umsatzsteuer nicht gesondert ausgewiesen hat und weil die Geschäftsveräußerung nicht steuerbar ist.
2. Die Vorentscheidung, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 829
BFH/NV 2003 S. 829 Nr. 6
LAAAA-70729