BGH Beschluss v. - 1 StR 279/17

Strafverfolgungsverjährung bei Umsatzsteuerhinterziehung: Verjährungsunterbrechende Wirkung eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses hinsichtlich der Verfolgung des faktischen GmbH-Geschäftsführers

Gesetze: § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 78c Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 78c Abs 4 StGB

Instanzenzug: LG München I Az: 4 KLs 306 Js 219066/13nachgehend Az: 1 StR 279/17 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2Dagegen richtet sich seine auf zahlreiche Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der N.     GmbH im Veranlagungszeitraum 2009 verurteilt worden ist und zur Einstellung des Verfahrens insoweit. Die auf diesen Veranlagungszeitraum begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) war bereits vor Ergehen des tatgerichtlichen Urteils verjährt.

3Im Übrigen bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

4Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte, der nicht als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen war, die Geschäfte der im Juni 2009 gegründeten N.    GmbH (nachfolgend: N.   ) als faktischer Geschäftsführer. Er veranlasste, dass in den Umsatzsteuerjahreserklärungen der N.    für die Veranlagungszeiträume 2009 und 2010 jeweils lediglich ein Bruchteil der tatsächlich von dem Unternehmen getätigten Umsätze erklärt und dementsprechend auch nur die darauf entfallende Umsatzsteuer entrichtet wurde. Durch dieses Vorgehen wurden zugunsten der N.   Umsatzsteuern in Höhe von 46.133,51 Euro im Veranlagungszeitraum 2009 sowie 3.236.122,76 Euro im Veranlagungszeitraum 2010 verkürzt.

II.

5Über einen durch den Verteidiger Rechtsanwalt L.    gestellten, als „Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand“ bezeichneten Antrag vom hat der Senat nicht mehr zu entscheiden. Der Antrag ist als Wiedereinsetzungsgesuch zurückgenommen. Das ergibt sich aus Folgendem:

6Nachdem der weitere Verteidiger, Rechtsanwalt   K.  , mit Schriftsatz vom auf die Unzulässigkeit des vorgenannten Antrags als Wiedereinsetzungsgesuch aufmerksam gemacht und eine Umdeutung als Protokollberichtigungsantrag angeregt hatte, hat sich Rechtsanwalt L.   diesen Ausführungen mit Schreiben vom ausdrücklich angeschlossen. An einem mangels Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 45 StPO ohnehin unzulässigen Wiedereinsetzungsantrag wird damit nicht mehr festgehalten.

7Für die Entscheidung über einen eventuellen Protokollberichtigungsantrag ist der Senat nicht zuständig. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein solcher Antrag seitens des Angeklagten und seiner Verteidigung in der gebotenen Weise gestellt worden wäre. Eine Rückgabe der Akten an das Landgericht ist schon deshalb nicht veranlasst, weil nicht ausgeführt wird, in welcher konkreten Weise die Sitzungsniederschrift des Landgerichts berichtigt werden sollte.

III.

81. Die Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung der N.   für den Veranlagungszeitraum 2009 ist verjährt. Da die Verjährung bereits vor dem Ergehen des angefochtenen Urteils eingetreten war, hebt der Senat das Urteil insoweit auf (§ 349 Abs. 4 StPO) und stellt das die genannte Tat betreffende Verfahren gemäß § 206a StPO ein.

9a) Die entsprechende Umsatzsteuerjahreserklärung wurde am bei dem zuständigen Finanzamt abgegeben. Mit der Abgabe war vorliegend die auf den genannten Veranlagungszeitraum bezogene Steuerhinterziehung beendet, so dass der Lauf der Verjährungsfrist mit diesem Tag begann (§ 78a Satz 1 StGB). Bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer in der vorliegenden Konstellation tritt Beendigung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem der Täter die durch die Tat erlangten Vorteile gesichert hat (vgl. Klein/Jäger, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 203 bzgl. Umsatzsteuerhinterziehung; siehe auch , wistra 1983, 70 f.). Das ist bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Angabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung zwar an sich erst mit der Festsetzung der Steuer durch einen entsprechenden Steuerbescheid der Fall. Wegen des Systems der Selbstveranlagung bei der Umsatzsteuer (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO) erfolgt eine Festsetzung per Steuerbescheid (§ 155 AO) aber lediglich dann, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt, was vorliegend nicht der Fall war. Die Vorteile waren daher wegen der Selbstveranlagung bereits mit der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung gesichert.

10b) Die maßgebliche fünfjährige Verjährungsfrist aus § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB endete mit Ablauf des . Eine aufgrund § 376 Abs. 1 AO (i.V.m. § 370 Abs. 3 AO) verlängerte Verjährungsfrist liegt nicht vor, weil keines der Regelbeispiele aus § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1-6 AO eingreift; insbesondere ist kein Hinterziehungserfolg großen Ausmaßes (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) eingetreten.

11c) Vor Ablauf des hat keine den Lauf der Verjährungsfrist in Bezug auf den Angeklagten unterbrechende Handlung (§ 78c Abs. 1 StGB) stattgefunden.

12aa) Eine Unterbrechung gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB ist nicht durch die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des (Bl. 173 f. Band I der Strafakten) und vom (Bl. 171 f. Band I der Strafakten) herbeigeführt worden. Die genannten Beschlüsse sind jeweils auf die Durchsuchung der Geschäftsräume einer näher bezeichneten Prager Filiale der R.    bank A.S. gerichtet gewesen. Diese Bank hat eines der Geschäftskonten der N.   geführt.

13Den Beschlüssen kommt jedoch keine Unterbrechungswirkung zu. Sie beziehen sich nicht im Sinne von § 78c Abs. 4 StGB auf den Angeklagten. Verjährungsunterbrechende Wirkung entfalten solche richterlichen Entscheidungen gegen einen Tatverdächtigen lediglich, wenn sie sich bereits auf einen solchen beziehen (, NStZ 2008, 158 f.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die vorgenannten Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse richten sich als namentlich erfasste Beschuldigte gegen    G.    (Beschluss vom ) sowie gegen    Ku.    (Beschluss vom ). Unter diesen Namen sind die beiden in den hier fraglichen Veranlagungszeiträumen als Geschäftsführer der N.   in das Handelsregister eingetragenen Personen aufgetreten. Ausweislich der entsprechenden Beschlüsse sind diese gegen Ku.    bzw. G.   ergangen, weil sie als (eingetragene) Geschäftsführer verdächtigt wurden, Steuerhinterziehung zugunsten der N.   begangen zu haben.

14Auch wenn es sich nach den Feststellungen des Landgerichts bei Ku.   und G.    nicht um unter diesen Namen und den sonstigen bekannten Personaldaten (vor allem denjenigen aus den Identitätskarten bzw. Ausweisen) existierende Personen handelt, konnten die Durchsuchungsbeschlüsse keine Unterbrechungswirkung in Bezug auf den Angeklagten herbeiführen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowohl zum Straf- als auch zum Ordnungswidrigkeitenrecht können richterliche Handlungen die Verjährungsfrist lediglich gegen bestimmte Personen nicht aber gegen noch unbekannte Täter unterbrechen (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 55/72, BGHSt 24, 321, 323 und vom – KRB 1/07, NStZ 2008, 158 f., jeweils mwN; siehe auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 78c Rn. 14). Zwar braucht sich die Unterbrechungshandlung nicht gegen den Täter unter seinem richtigen Namen zu richten (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 55/72, BGHSt 24, 321, 323 und vom – 4 StR 394/96, BGHSt 42, 283, 290). Allerdings müssen Merkmale bekannt sein, die den Täter sicher individuell bestimmen. Dabei ist es wegen der Bedeutung der Verjährung und der Rechtssicherheit erforderlich, dass der Täter aufgrund bei den Akten befindlicher Unterlagen bestimmt werden kann (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 55/72, BGHSt 24, 321, 323 und vom – KRB 1/07, NStZ 2008, 158 f.). Er muss als Tatverdächtiger im Zeitpunkt der fraglichen Unterbrechungshandlung in den Akten genannt sein (, NStZ 2008, 158 f.).

15Diese Voraussetzungen einer Identifizierung des Angeklagten als Tatverdächtiger waren bei Ergehen der Durchsuchungsbeschlüsse nicht gegeben. Wie sich insbesondere aus dem Vermerk der zuständigen Dezernentin der Staatsanwaltschaft München I vom (Bl. 348 Band I der Strafakten) ergibt, ist den Ermittlungsbehörden erst zu diesem Zeitpunkt bekannt geworden, dass die bislang als Beschuldigte Geführten (u.a. G.   und Ku.   ) nicht existieren und möglicherweise der (jetzige) Angeklagte „Hintermann“ des Unternehmens N.   ist. Selbst am , mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist, lagen nach der in dem genannten Vermerk erfolgten Bewertung der Staatsanwaltschaft aber noch keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht gegen den Angeklagten vor. Dies schließt es aus, anzunehmen, der Angeklagte sei bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse im Juli 2013 als Tatverdächtiger in den Akten des Verfahrens genannt. Es handelt sich damit auch nicht um eine Konstellation, in der Unterbrechungshandlungen gegen eine bereits als Tatverdächtiger erkannte Person lediglich unter einem unrichtigen Namen durchgeführt werden. Das Strafverfahren hat sich jedenfalls bis Anfang Juli 2015 ausschließlich gegen die formellen Geschäftsführer der N.   gerichtet. Der Verdacht einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten als faktischer Geschäftsführer bzw. Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO (dazu näher , BGHSt 58, 218, 236 ff. Rn. 78 ff.) der N.   hat vor Anfang Juli 2015 nicht bestanden.

16bb) Der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des (Bl. 274 f. Band I der Strafakten) hat die Verjährung gegen den Angeklagten ebenfalls nicht auf der Grundlage von § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbrochen. Dieser Beschluss ordnet zwar die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Angeklagten an dessen Wohnsitz in Österreich an. Die richterliche Anordnung ist aber in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergangen, das gegen eine unter dem Namen   C.   als formeller Geschäftsführer einer T.    GmbH auftretende Person als Beschuldigten geführt worden ist. Es handelt sich um eine richterliche Durchsuchungsanordnung auf der Grundlage von §§ 103, 105 StPO, in der der Angeklagte als Inhaber der zu durchsuchenden Räumlichkeiten ausdrücklich als „unverdächtig“ bezeichnet ist. Unterbrechungswirkung kommt aber lediglich Handlungen zu, die sich auf eine bereits tatverdächtige Person beziehen.

17d) Sonstige Unterbrechungshandlungen vor Ablauf der Verjährungsfrist liegen ebenfalls nicht vor.

182. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung der N.   für den Veranlagungszeitraum 2010 hält rechtlicher Überprüfung stand.

19a) Die am beendete Tat ist angesichts der aus § 376 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO folgenden zehnjährigen Verjährungsfrist nicht verjährt.

20b) Die erhobenen Verfahrensrügen, soweit an ihnen nach den Schriftsätzen der Verteidiger Rechtsanwalt   K.  vom und Rechtsanwalt L.   vom überhaupt noch festgehalten werden sollte, dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.

21c) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen über die Stellung des Angeklagten als faktischer Geschäftsführer der N.  , der die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung für den Veranlagungszeitraum 2010 veranlasst hat, gehen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab aus und beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Sämtliche Schlüsse, die das Landgericht aus den Aussagen von für die Abnehmer der N.   tätigen Zeugen auf die Position des Angeklagten im Unternehmen gezogen hat, insbesondere die Anbahnung und Abwicklung aller Geschäfte über eine allein vom Angeklagten genutzte Mobilfunknummer, erweisen sich als möglich und sogar naheliegend. Sie sind deshalb rechtsfehlerfrei.

22d) Der Strafausspruch enthält keinen den Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler. Da das Landgericht bei der Bemessung der beiden von ihm verhängten Einzelstrafen keine Verknüpfung untereinander hergestellt hat, kann ausgeschlossen werden, dass die Höhe der den Veranlagungszeitraum 2010 betreffenden Einzelstrafe zu Lasten des Angeklagten durch die weitere verhängte Einzelstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe für den Veranlagungszeitraum 2009 beeinflusst ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:261017B1STR279.17.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2018 S. 43 Nr. 2
PStR 2018 S. 31 Nr. 2
wistra 2018 S. 122 Nr. 3
IAAAG-69047