BFH Beschluss v. - V B 86/01

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war von September 1994 bis Juli 1995 Geschäftsführer einer GmbH. Er war alleinvertretungsbefugt. Seit Januar 1995 war auch Herr U Geschäftsführer der GmbH.

Die GmbH wurde durch aufgelöst, nachdem der Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens vom mangels Masse abgelehnt worden war.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hatte festgestellt, dass die GmbH von Januar bis April 1995 Lieferungen an die ...handel GmbH ausgeführt und diese Umsätze in den Voranmeldungen für Januar bis April 1995 mit einer Bemessungsgrundlage von 1 041 065 DM angemeldet hatte. Die ...handel GmbH hatte als Leistungsempfängerin Verbindlichkeiten wegen dieser Umsätze von 1 792 068,20 DM (ohne Umsatzsteuer) in ihrer Buchführung aufgezeichnet. Von der ...handel GmbH erhielt die GmbH im ersten Halbjahr Zahlungen von mehr als 2,1 Mio. DM.

Das FA nahm den Antragsteller wegen der Umsatzsteuer von 97 380,10 DM für nicht erklärte, an die ...handel GmbH in den Monaten Januar bis April 1995 ausgeführte Umsätze im Umfang von 664 123 DM durch Haftungsbescheid vom in Anspruch, wies den dagegen eingelegten Einspruch zurück und lehnte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab.

Den darauf beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf AdV des Haftungsbescheids vom lehnte dieses durch Beschluss vom ab.

Das FG legte dar, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Antragstellers nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) durch den Haftungsbescheid vom erfüllt seien. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids seien nicht vorhanden, weil der Antragsteller grob fahrlässig die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten verletzt habe. Er sei trotz der Bestellung eines weiteren Geschäftsführers für die vollständige Anmeldung der ausgeführten Umsätze verantwortlich. Die Anfertigung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen durch ein Steuerbüro entlaste ihn nicht, weil diesem keine vollständigen Unterlagen vorgelegen hätten. Die Festsetzungsfrist für den Erlass des Haftungsbescheids sei bei dessen Bekanntgabe noch nicht abgelaufen, weil sie bei der vorliegenden Steuerverkürzung fünf Jahre betrage und erst mit Ablauf des Jahres 2002 ende.

Der Höhe nach seien die Umsatzsteuern, für die der Antragsteller haftbar sei, nicht zweifelhaft. Die von dem FA herangezogene Bemessungsgrundlage von 664 123 DM berücksichtige einen Sicherungseinbehalt von 10 v.H. Dieser hätte aber die Bemessungsgrundlage für die an die ...handel GmbH ausgeführten Umsätze der GmbH, deren Steuer nach vereinbarten Umsätzen entstehe, nicht vermindern dürfen.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde nimmt der Antragsteller auf sein Vorbringen im Antragsverfahren Bezug. Darin hatte er dargelegt, dass die Voraussetzungen für den gegen ihn gerichteten Haftungsanspruch nicht vorgelegen hätten, weil er nicht für die Abgabe der Steuervoranmeldungen verantwortlich gewesen sei. Der Haftungsanspruch sei zudem wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung erloschen. Schließlich sei die Haftungssumme zu hoch, weil die nachversteuerten Umsätze nicht während seiner Verantwortung als Geschäftsführer ausgeführt worden seien. Eine angekündigte ergänzende Begründung ist nicht eingegangen.

Der Antragsteller begehrt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids vom auszusetzen.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids bestehen nicht.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 143/94, BFHE 176, 263, BStBl II 1995, 262; vom III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, ständige Rechtsprechung). Derartige Umstände sind nicht vorhanden.

2. Nach § 69 AO 1977 i.V.m. § 34 AO 1977 kann ein Geschäftsführer einer Gesellschaft wegen rückständiger Steuern durch Haftungsbescheid nach § 191 AO 1977 in Anspruch genommen werden, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm auferlegten steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft nicht erfüllt und insbesondere nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern aus den Mitteln, die er verwaltet, entrichtet werden.

Der Antragsteller war in dem hier maßgeblichen Zeitraum von Januar bis April 1995 Geschäftsführer einer Gesellschaft, die ihre —zudem nur teilweise vollständig erklärten— steuerlichen Verbindlichkeiten nicht erfüllt hat. Das FA hat den Antragsteller deshalb durch Haftungsbescheid vom für die von der GmbH nicht entrichteten Umsatzsteuern für Januar bis April 1995 in Anspruch genommen. Die Angriffe gegen die Ausführungen des FG zur Höhe der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer für Lieferungen in den Monaten Januar bis April 1995 an die ...handel GmbH sind unberechtigt.

3. Es ist aufgrund des im summarischen Verfahren zu berücksichtigenden Sachverhalts nicht ernstlich zweifelhaft, dass der gegen den Antragsteller gerichtete Haftungsanspruch nach § 34 i.V.m. § 69 AO 1977 noch bestand, als er durch den angefochtenen Haftungsbescheid festgesetzt worden war. Er war nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AO 1977) erloschen (§ 47 AO 1977).

Nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO 1977). Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO 1977).

Da die Umsatzsteuer für Januar bis April 1995, für die der Antragsteller haftbar gemacht wird, leichtfertig verkürzt (§ 378 AO 1977) worden ist, beträgt die Festsetzungsfrist im Streitfall fünf Jahre (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO 1977). Vor ihrem Ablauf ist der angefochtene Haftungsbescheid ergangen.

Der Antragsteller hat nicht nur grob fahrlässig bei der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten der GmbH gehandelt, sondern hat auch leichtfertig als ihr Geschäftsführer Umsatzsteuer der GmbH verkürzt. Die leichtfertige Steuerverkürzung wird von einem Geschäftsführer einer GmbH begangen, wenn er bei der Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten der GmbH die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten imstande ist, obwohl sich ihm hätte aufdrängen müssen, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (Klein/Gast de Haan, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 378 Rz. 5, 6 und 12).

Dies erschließt sich bei summarischer Beurteilung daraus, dass die GmbH Lieferungen an die ...handel GmbH nur im Umfang von 1,04 Mio. DM erklärt hat, während diese von ihr Umsätze im Umfang von 1,79 Mio. DM empfangen und Zahlungen von 2,14 Mio. DM an sie, die GmbH, geleistet hat. Dem Steuerberater, der die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die GmbH angefertigt hat, sind somit falsche Zahlen über den Umfang der Umsätze genannt worden. Der Antragsteller kann seine Verantwortung dafür nicht ausschließen, weil eine Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche mit dem Mitgeschäftsführer nicht schriftlich vorliegt (vgl. zu den Pflichten mehrerer Geschäftsführer im Rahmen einer Gesamtverantwortung, 5 StR 221, 99, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 2000, 137). Dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der GmbH schon in der hier erheblichen Zeit von Januar bis April 1995 bestanden haben, ergibt sich aus ihrer Masselosigkeit kurze Zeit später. Der Antragsteller hat sich unter diesen Umständen mindestens leichtfertig nach dem dafür geschilderten Maßstab verhalten, wenn er sich um die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH nicht gekümmert und den Steuerberater nicht vollständig und richtig unterrichtet hat. Hinzu kommt, dass der Antragsteller auf die Beurteilung, zu der auch das FG in dem angefochtenen Beschluss gelangt ist, nur mit dem Hinweis auf das erstinstanzliche Vorbringen reagiert hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 755 Nr. 6
ZAAAA-68485